Der Mann fürs Olivenöl

Nächste Woche findet in Florenz der wichtigste Olivenöl-Wettbewerb Il Magnifico statt. Der Schweizer Silvan Brun ist der einzige und erste Nicht-Italiener in der Jury.
Text: Virginia Nolan – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 09.03.2019
«Olivenöl ist nicht kulinarisches Beiwerk, sondern Basis-Ingredienz, die viel geschmackliche Variation zulässt und zur Raffinesse eines Gerichts beiträgt. Gastronomen nutzen dieses Potenzial viel zu wenig», sagt Silvan Brun.

«Die Suche nach einem guten Olivenöl gleicht der nach dem heiligen Gral.»

Sie sind in den Kreis von Italiens renommiertesten Olivenölexperten aufgenommen worden. Was bedeutet Ihnen der Einzug in die Final-Jury am international Olivenöl-Wettbewerb Il Magnifico?
Silvan Brun: Die Einladung nach Florenz freut mich sehr. Sie ist ein Zeichen der Anerkennung unseres unermüdlichen Engagements für besseres Olivenöl. Denn Papier – die Etikette – nimmt bekanntlich alles an.

Worauf müssen wir beim Olivenölkauf achten?
Das ist die häufigste und schwierigste Frage, die man mir stellt, weil es darauf keine pauschale und somit einigermassen zufriedenstellende Antwort gibt. Fakt ist: Die Suche nach einem guten Olivenöl gleicht der nach dem heiligen Gral.

Viele Konsumenten orientieren sich dabei am Prädikat extra vergine, wähnen sich also auf der sicheren Seite, wenn sie natives Olivenöl extra kaufen.
Vom nativen Olivenöl extra wird weltweit deutlich mehr vermarktet, als zurzeit produziert werden kann. So ist Olivenöl in Deutschland und den USA das meistgefälschte Lebensmittel, das zeigen Erhebungen. In der Schweiz gibt es dazu keine offiziellen Zahlen, aber die Situation dürfte ähnlich sein. Was wir aus methodisch-systematischen Datensammlungen wissen: Rund 75 Prozent des Olivenöls, das hierzulande als extra vergine in den Handel kommt, entspricht den Kriterien für diese Deklaration nicht. Beachten wir dabei die Tatsache, dass die günstigen Öle einen deutlich höheren Absatz haben, haben wir es sogar bei 98 Prozent des in der Schweiz als nativ extra verkauften Olivenöls mit Etikettenschwindel zu tun. Der ist zwar verboten, wird von den Behörden aber allzu oft toleriert. Den meisten Detailhändlern ists recht so.

Welche Kriterien mĂĽssen fĂĽr die GĂĽteklasse extra vergine erfĂĽllt sein?
Sie sind zahlreich, relativ komplex und betreffen sowohl chemisch-physikalische als auch sensorische Aspekte. So bezeichnet das Prädikat nativ extra zum Beispiel Öle, die ausschliesslich aus der Frucht des Olivenbaumes und allein durch mechanische Verarbeitung gewonnen werden. Dies bedeutet, die Früchte erfahren keine andere Behandlung als Waschen, Dekantieren, Zentrifugieren, Pressen und Filtrieren. Ausserdem gibt es bestimmte chemisch-analytische Grenzwerte, etwa für den Gehalt an freien Fettsäuren, er darf nicht mehr als 0,8 Gramm pro 100 Gramm Öl betragen. Wobei es absurd ist, diesen Wert überhaupt ins Regelwerk aufzunehmen, er ist um ein Vielfaches zu hoch. Ein Öl mit diesem Gehalt an freien Fettsäuren schmeckt und riecht mit hoher Wahrscheinlichkeit schlammig, stichig und ranzig. Es würde somit bereits beim Sensorik-Test durchfallen – der ersten grossen Hürde auf dem Weg zum Prädikat extra vergine.

Riesige Geschmacksvielfalt: Es gibt rund 1500 verschiedene Olivenölsorten. Davon wachsen allein 644 in Italien.

Worauf kommt es dabei an?
Das Öl soll, vereinfacht gesagt, im Gaumen und in der Nase fruchtig daherkommen. Zudem muss es frei von sensorischen Fehlern sein – und die Liste der Kriterien, wie ein gutes Olivenöl nicht schmecken sollte, ist lang. Es gibt 21 geschmackliche Fehlerattribute, deren Abwesenheit der Sensorik-Test bestätigen muss, bevor ein Olivenöl als nativ extra deklariert werden kann. Besteht ein Öl die sensorische Prüfung, ist meist auch seine chemische Zusammensetzung einwandfrei. Was selbst der geschulte Gaumen nicht herausschmeckt, sind jedoch zum Beispiel Rückstände von Weichmachern oder Pestiziden. Dafür braucht es das Labor. Grundsätzlich gilt: Ein gutes Olivenöl erkennt nur, wer schon ein solches probiert hat. Wenn der Gaumen diese Erfahrung ein paarmal macht, wird das Geschmackserlebnis, wie es sein sollte, mit der Zeit abrufbar.

Wie verlässlich sind Auszeichnungen und Preise, wie sie etwa der Wettbewerb Il Magnifico vergibt?
Die Detailhändler sind mittlerweile zu Recht skeptisch, was Ölprämierungen angeht. Wir haben es mit einer Wettbewerbsflut zu tun, die nicht unbedingt Licht ins Dunkel bringt. Es kommt nämlich durchaus vor, dass Produzenten für einen Wettbewerb einen 250-Liter-Tank feinstes Top-Öl herstellen, dafür einen Preis bekommen – und dann, kaum ist die Prämierung vorbei, in einem zweiten Anlauf 50000 Liter Öl von minderwertiger Qualität abfüllen, die dann mit dem Prämierungsstempel in den Handel gelangen. Mit dem neuen Sterne-Bewertungssystem, das Il Magnifico in diesem Jahr einführt, will man dieser Entwicklung mit strengeren Auflagen und einem Rückkontrollsystem entgegenwirken. Das bedeutet unter anderem, dass die im Detailhandel gehandelten Sieger-Öle regelmässig zurückgekauft und überprüft werden. Produzenten, deren Öle nicht tadellos daherkommen, werden verzeigt und verlieren die Auszeichnung. Diese Bemühungen sind begrüssenswert, in der Schweiz werden sie allerdings kaum spürbar sein. Il Magnifico ist ein hochstehender und der vermutlich gewichtigste Wettbewerb, wenn es um Olivenöl geht – er bleibt bis dato aber ein vorwiegend italienisches Ereignis.

Qualitativ hochwertiges Olivenöl wird meist mit italienischer Herkunft assoziiert – zu Recht?
Nein. Was die Qualität des Öls und die Professionalität des Produktionsprozesses betrifft, hat Spanien im Vergleich zu Italien die Nase vorn. Das zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die jüngste, von Hitze und Unwettern geplagte Ernte 2018, die in Italien mengen- und qualitätsmässig schlecht ausfiel. Das Land produzierte nur etwa 180000 Tonnen Olivenöl, Spanien dagegen ungefähr 1,6 Millionen Tonnen. Für die industrielle Produktion, mit der Supermärkte und Discounter bedient werden, ernten die Spanier bereits überreife Oliven bis zum Mai, die Spitzenöle werden demgegenüber lange vor dem Jahreswechsel aus vorwiegend unreifen Oliven gewonnen. In Spanien ist die Produktion vergleichsweise intensiv. Gerade in Andalusien gibt es riesige Olivenhaine, die mithilfe von Chemie bewirtschaftet werden. Diese Böden erodieren langsam, aber sicher weg. Die italienische Produktion punktet demgegenüber mit mehr Biodiversität. Hier wird oft noch traditionell angebaut. Alte Olivenhaine mit grossen Baumabständen und Mischkulturen sind heute noch die Regel. Dieses kulturelle Erbe, das aufgrund wirtschaftlichen Drucks zunehmend gefährdet ist, gilt es zu schützen. Ausserdem bietet Italien eine beeindruckende Sortenvielfalt: Von den weltweit etwa 1500 registrierten Olivensorten sind 644 in unserem südlichen Nachbarland beheimatet. Daraus resultiert ein riesiges geschmackliches Potenzial. 

Wie gut schöpft es die Gastronomie aus?
Mit Verlaub, viel zu wenig. Da liegt noch so viel Potenzial brach. Fleisch, Fisch oder Gemüse, das der Produzent bringt, kontrolliert der Küchenchef in der Regel persönlich. Ganz anders verhält es sich beim Olivenöl, das die meisten immer noch als rein funktionelles Lebensmittel betrachten – man braucht es ja nur zum Braten oder als Dressing. Das greift zu kurz.

Warum?
Hochwertiges Olivenöl ist als Basis-Ingredienz so wichtig wie gutes Fleisch. Das beweisen mittlerweile einige innovative Küchenchefs, die hochwertiges Olivenöl entsprechend nutzen und ihre Gerichte damit gezielt veredeln. Johan Breedijk vom Art Deco Hotel Montana in Luzern oder Philipp Tresch vom Ristorante La Perla, ebenfalls in Luzern, sind zwei dieser cleveren Köpfe. Sie sind für unsere Spitzengastronomie wichtige Vorbilder. Auch das Grand Resort Bad Ragaz um Küchenchef Renato Wüst und Vizedirektor Andreas Demont hat sich in der Verbreitung der Olivenöl-Botschaft verdient gemacht. Zusammen mit dem Resort haben wir 2018 La Serata d’Oro ins Leben gerufen, einen Abend ganz im Zeichen des Olivenöls. Dabei kamen Spitzenproduzenten aus ganz Europa nach Bad Ragaz, ebenso drei vom Olivenölführer Flos Olei als beste Olivenölköche ausgezeichnete Küchenchefs, die verschiedene Themengerichte zubereiteten: Michele Martinelli aus Italien, Vasilis Leonidou aus Griechenland und Philipp Tresch aus der Schweiz. Solche Veranstaltungen sollen qualitativ hochwertigem Olivenöl eine Plattform geben und die Wertschätzung von Köchen und Gästen gegenüber dem Produkt steigern.

Silvan Brun ist Master of Olive Oil OOSS, anerkannter Olivenölverkoster und Direktor der Olive Oil School Switzerland. Er berät Olivenölproduzenten, -kooperativen und -bauern und betreibt mit der Evoo AG das Schweizer Kompetenzzentrum für natives Olivenöl extra. Am renommierten internationalen Olivenölwettbewerb Il Magnifico, der nächste Woche in Florenz stattfindet, wird Brun Teil der Final-Jury sein. 



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