«Ich will aufrütteln»

Kids, ab an den Herd! So heisst das Herzensprojekt von Spitzenkoch Rolf Caviezel, mit dem er sowohl gegen ein Nachwuchs- als auch ein Gesellschaftsproblem angehen will.
Interview: Virginia Nolan – Fotos: Njazi Nivokazi / z. V. g.
Veröffentlicht: 25.02.2020
Zurück zu den Wurzeln: Im «Projekt Kids, ab an den Herd» sollen Kinder zwischen acht und zwölf Jahren den richtigen Umgang mit Lebensmitteln lernen – und ganz viel experimentieren dürfen. Der Kurs kostet einen Fünfliber pro Kind.

«Wenn wir wollen, dass sich Jugendliche für den Kochberuf interessieren, müssen wir sie früh genug abholen.»

Im Rahmen Ihres Projekts «Kids, ab an den Herd» laden sie Kinder und Jugendliche in Ihre Restaurantküche ein oder besuchen sie in der Schule. Das Ziel: gemeinsam kochen. Was hat Sie dazu bewogen?
Rolf Caviezel: Einerseits will ich aufrütteln: In der Gastronomie fehlt uns der Nachwuchs, wir müssen etwas tun. Wenn wir wollen, dass sich Jugendliche für den Kochberuf interessieren, müssen wir sie früh genug abholen. Andererseits will ich mit den Kursen der Entwicklung entgegenwirken, die an den Schulen stattfindet: Das Fach Hauswirtschaft verschwindet zusehends oder befasst sich nur noch mit Theorie, kaum mehr mit Kochen. Ich behaupte aber, Kochen sollte in der Schule mindestens so wichtig sein wie Sport.

Warum?
Seit Projektbeginn habe ich 25 Kurse durchgeführt. Nachdenklich stimmt mich, wie viele Kinder und Jugendliche im Hinblick auf Nahrungsmittel den Kontakt zur Basis verloren haben: Die haben keine Ahnung, was ein Kopf- oder ein Eisbergsalat ist. Sie hatten ja auch nie die Gelegenheit, es zu lernen. Viele Eltern sind beruflich stark ausgelastet, zum Kochen bleibt keine Zeit, man drückt sich ein Sandwich rein. Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder und die der Gesellschaft, es geht aber auch etwas anderes verloren: Essen ist ein Stück Kultur und gleichzeitig sozialer Kitt – was verbindet Menschen mehr als, als gemeinsam zu kochen und zu essen? Wenn solche Rituale zu Hause nicht stattfinden, ist es umso wichtiger, dass die Schule sie aufgreift. Sonst haben Kinder keine Chance, den richtigen Umgang mit Lebensmitteln zu lernen – und der ist wichtig, auch im Hinblick auf Umwelt- und andere Probleme, die die Welt beschäftigen.

Was erwartet die Kinder im Rahmen Ihrer Kochkurse?
Zuerst ein bisschen Theorie – ich halte etwa ein Gemüse auf und frage, welches Produkt das ist. Saisonale Themen und die Nähe zum Produzenten spielen dabei eine wichtige Rolle. Dann gehts ans Eingemachte: In Gruppen kochen wir jeweils drei Gänge, ohne Rezepte und mit viel Spass. Die kindliche Experimentierfreude soll nicht zu kurz kommen, darum baue ich gerne Elemente der Molekularküche ein. Wir machen beispielsweise essbare Perlen, verschiedene Pulver oder Glace mit Stickstoff. Das kommt bei den Kindern super an, und ich freue mich, dass sie hautnah erleben, wie viel Kochen mit Forschen zu tun hat. Andere wichtige Themen wie etwa Foodwaste lassen sich nebenher ganz anschaulich vermitteln: Zum Beispiel machen wir aus Rüeblischalen eine Bouillon oder verarbeiten Eierschalen zu Kreide.

«Nachdenklich stimmt mich, wie viele Kinder und Jugendliche im Hinblick aufs Essen den Kontakt zur Basis verloren haben», sagt Rolf Caviezel. «Die haben keine Ahnung, was ein Kopf- oder ein Eisbergsalat ist.»

Wo sind Kurse möglich?
In Schulen, die sich dafür anmelden können und diese Gelegenheit immer häufiger nutzen, bei mir im Restaurant oder in den Räumlichkeiten von Partnern. Unser Hauptpartner ist Fors, der Spezialist für Küchen- und Haushaltsgeräte mit zwei Standorten in den Kantonen Bern und Zug, neuerdings stellt auch das Gastrocenter St. Gallen seine Küche zur Verfügung. Mittlerweile sind es über ein Dutzend Partner, die das Projekt materiell und finanziell unterstützen. Es hat wahnsinnig schnell Fahrt aufgenommen, das freut mich sehr.

Wie ist es für Sie als Profi, mit Kindern und Jugendlichen in der Küche zu stehen?
Sensationell. Kinder sind so ehrlich. Mögen sie das Essen nicht, sagen sie es frei raus, dann heisst es eben igitt, während Erwachsene in der gleichen Situation finden, das Ganze sei speziell. Damit kann ich als Koch nicht viel anfangen. Mich freut auch immer wieder zu sehen, mit wie viel Begeisterung die Kids bei der Sache sind – gerade jene, die durchaus skeptisch in den Kurs kommen und denken, Kochen sei langweilig.

Welche Pläne haben Sie in Zukunft für das Projekt?
Meine Vision ist es, eine Kids-Akademie mit entsprechendem Kursangebot aufzubauen, so eine Art Technorama, aber eben für Essen und Kochen. Das Food-Lab habe ich ja schon im Restaurant, die Infrastruktur ist damit gegeben. Dann möchte ich motivierten Kindern die Gelegenheit geben, Projekte in Eigenregie umzusetzen. Etwas in der Art haben wir vor kurzem probiert, es war ein schöner Erfolg. Wir hatten fünf ehemalige Kursteilnehmer dazu eingeladen, einen Dreigänger zu planen und zu kochen, das Ganze fand dann seinen Höhepunkt an einem Dinner für die Eltern. Ich könnte mir auch gut vorstellen, so etwas als Wettbewerb zu organisieren – und das Gewinnerteam in einer Hotelküche kochen zu lassen, beispielsweise. Und irgendwann möchte ich mit meinem Kursangebot auf Tour gehen, um damit möglichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen. Ich habe ganz viele Ideen und hoffe, dass sie so schnell Form annehmen, wie es bisher der Fall war.

Der Molekular- und Experimentalkoch Rolf Caviezel tanzt auf vielen Hochzeiten: Er hat sich als Autor von 14 Kochbüchern einen Namen gemacht, führt das Restaurant Station 1 in Grenchen sowie sein Unternehmen Freestyle Cooking, das sich neuen Kocharten und -techniken widmet. Das Projekt «Kids, ab den Herd» lancierte er 2019. Seither hat Caviezel 25 Kinderkochkurse realisiert. Die zweieinhalbstündigen Kurse finden an verschiedenen Standorten statt und richten sich an Kinder und Jugendliche zwischen acht und zwölf Jahren. Den Kurs bietet Caviezel auch für interessierte Schulen an. Das Kursgeld beträgt einen Fünfliber pro Kind, den Rest übernehmen Caviezel und beteiligte Partner. Mehr Informationen zum Projekt gibts hier.



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