Vernunft über Herz

Mit dem Bündner Edelhahn zeigte Freddy Christandl auf beispiellose Art, wie eine tierfreundliche und ökologische Pouletproduktion aussieht. Jetzt ist alles Geschichte.
Interview: Virginia Nolan – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 22.06.2018
Amrock-Hähne sind eine alte Landrasse. Es handelt sich wie bei allen «Edelhähnen» um eine Zweinutzungsrasse, bei der die Hennen gute Eier legen und die Hähne qualitativ hochstehendes Fleisch liefern. Rassen hingegen, die in der Massentierhaltung übrig sind, werden nur auf einen bestimmten Zweck hin gezüchtet – so werden männliche Küken in Eierbetrieben oft vergast oder geschreddert, in Mastbetrieben droht weiblichen das Gleiche.

«Ich bin überzeugt, dass die Sache in ein paar Jahren funktionieren wird.»

Nach sieben Jahren hängen Sie das Projekt «Bündner Edelhahn» an den Nagel. Warum?
Freddy Christandl: Weil ich meiner Vernunft Raum geben musste, der Einsicht, dass dieses Projekt finanziell nicht aufgeht. Leider ist es derzeit wirtschaftlich nicht tragbar, Poulet nach diesen hohen Standards zu produzieren.

Wieso nicht?

Der Edelhahn kostet pro Kilogramm fast 65 Franken, also fünfmal so viel wie Fleisch aus konventioneller Mast. Von allen tierischen Produkten sind Poulet und Eier wohl die, bei denen die Herdengrösse den stärksten Einfluss auf den Preis hat. Unsere Bauern hielten maximal 80 Hennen und Hühner, wogegen heute selbst Demeter-Bauern 2000 Tiere haben dürfen. Zudem verwerten alte Landrassen Futter anders als hochgezüchtete Masttiere. Sie erreichen ihr Schlachtgewicht erst mit sechs Monaten statt mit fünf bis sechs Wochen, was in unserem Fall auch damit zusammenhängt, dass sich die Tiere viel im Freien bewegen. Nicht nur ihre Lebensdauer, auch die Futterkosten erhöhen sich damit aufs Sechsfache. Dann die Schlachtung: Üblicherweise werden die Tiere kopfüber an ein Förderband gehängt, maschinell geköpft und dann in einer Art Tumbler gerupft. Wir machten alles von Hand und ohne Wasser. So schlachtet man in einer Stunde höchstens zehn Tiere statt ein paar Hundert. Das alles hat seinen Preis, und es gibt zu wenige regelmässige Abnehmer, die ihn zu zahlen bereit sind.

In der Spitzengastronomie hatten Sie mit Andreas Caminada, Raphael Tuor oder Jan Gassen ein paar treue. Wie haben die Köche auf das Aus reagiert?
Viele sind traurig darüber, einige berichteten mir, Gäste hätten bereits zum neuen Schlachttermin im Winter reserviert. Aber wir liessen wirklich nichts unversucht, um die Preise etwas zu reduzieren. Zum Beispiel machten wir mit Bresse-Hähnen einen Versuch, die Preise etwas zu drücken. Diese Rasse, deren Fleisch in der Spitzengastronomie beliebt ist, wächst schneller, Schenkel und Brust sind optimal proportioniert. Aber was Geschmack und Konsistenz betrifft, kann sie schlichtweg nicht mithalten mit den alten Landrassen – darin waren sich alle beteiligten Köche einig. Auch, wenn wir das Projekt nun auf Eis legen, bin ich überzeugt, dass die Sache in ein paar Jahren funktionieren wird. Das Know-how dafür haben wir uns schon mal erarbeitet.

Freddy Christandl hat neue Pläne: Im kommenden Winter lanciert der Genusstrainer und Koch ein Projekt mit Bergobst aus dem Bündnerland.

Welche Pläne haben Sie nun?
Ich will den Bergkartoffeln aus dem Albulatal mehr Zeit widmen und da ein Stück weit zu meiner Kernkompetenz zurückkehren, dem Kochen. Das heisst, ich möchte nach und nach Köche, die unsere Kartoffeln beziehen, besuchen und während ein paar Tagen mit ihnen kochen. Ich will mehr erfahren über ihre Philosophie und ihnen meine noch näher bringen.

Was ist mit neuen Produkten – haben Sie da etwas auf dem Radar?
Ja, aber die Sache steckt noch in den Kinderschuhen. Es geht um ein Bergobstprojekt mit Wildfrüchten – Zwetschgen, Äpfeln, Birnen, was alles so wächst in der Bergen. Der Naturpark Parc Ela ist mit der Idee auf uns zugekommen. In den Bergregionen gibt es viele Hochstammbäume, die nicht mehr abgeerntet werden. Die meisten von ihnen tragen nur alle zwei Jahre. Im vergangenen Herbst haben wir ihre Früchte zu Säften verarbeitet, die in Hofläden der Region sehr gut ankamen. Wir haben letzten Winter schon einige Gastronomen beliefert und wollen das jetzt noch ausbauen.

Freddy Christandl kommt aus der Steiermark und ist gelernter Koch. Seinen Beruf übte er während 30 Jahren aus, zuletzt als Küchenchef im ehemaligen Restaurant Chrueg in Wollerau, in dem er sich 16 Gault-Millau-Punkte erkochte. 2007 entschied sich Christandl, neue Wege einzuschlagen. Er machte unter anderem eine Ausbildung zum Genusstrainer. Heute vermittelt er die mannigfaltigen Facetten von Essen und Genuss, dabei steht Nachhaltigkeit an erster Stelle. In den vergangenen Jahren hat Christandl zusammen mit Kleinbauern verschiedene Produkte lanciert, einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist er als Mitinitiator der Bergkartoffeln aus dem Albulatal, die in der gehobenen Gastronomie viel Zuspruch erhalten.

Mehr Informationen zu Freddy Christandl und seinen Projekten gibt es hier.



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