Dorfbeiz ohne Teerdisch

Nach der Pandemie werden all jene Restaurants profitieren, die eine eigene Stilistik pflegen. Ein bisschen Langeweile in der Umgebung wird 2021 eher als Standortvorteil gelten – so wie im Moseldorf Piesport.
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: Sebastian Caspary, Roswitha Kaster, Lukas Kirchgasser, Susanne Schug
Veröffentlicht: 06.04.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2021

Hier ein Restaurant zu eröffnen, noch dazu ein richtig gutes, kann als mutig bis verrückt angesehen werden. 

«Ich hätte mal wieder Lust, an die Töpfe zu gehen», sagt Thomas Schanz und seufzt, mitten im Corona-Lockdown. Und das glaubt man umso eher, als der Mann in Piesport wohnt. Ein Ort, den man sich ungefähr so vorstellen muss: ein paar bekannte Weinberge auf der einen Seite der Mosel, ein paar nicht ganz so berühmte auf der anderen. Dazwischen vor allem Langeweile mit Vorgarten, blühend im Mai, golden im Herbst, aber ziemlich grau zwischen November und März. Nach Piesport zieht niemand, der nicht muss oder sich nicht konkrete Vorteile verspricht – oder der so verliebt ist in den Mosel-Riesling, dass er es nicht ohne diesen vor der Haustür aushalten kann. Hier ein Restaurant zu eröffnen, noch dazu ein richtig gutes, kann als mutig bis verrückt angesehen werden. 99 Prozent der Gastronomie zwischen Koblenz, wo die Mosel in den Rhein mündet, und der alten Römerstadt Trier begnügen sich ja mit Pizza-Schnitzel-Einerlei. Wenn es althergebrachte Sattmacher wie Teerdisch gibt, eine regionale Spezialität aus Kartoffeln und Sauerkraut, ist das schon als positiv zu vermerken.

Man kann sich vorstellen, wie sehr die Piesporter irritiert waren. Damals, vor zehn Jahren, als der junge Koch Thomas Schanz zurückkam. Nach einer Ausbildung in der Traube Tonbach in Baiersbronn, dem Drei-Sterne-Paradies im Schwarzwald. Nach Erfahrungen beim ebenso hoch ausgezeichneten Kollegen Klaus Erfort in Saarbrücken. Schliesslich nach Jahren als Souschef im Sonnora, dem berühmten Eifel-Restaurant. Im Nichts ein Gourmetlokal zu eröffnen und erfolgreich zu führen, lernte Schanz spätestens dort.

Teufelskreis Mosel
Ohne den Hintergrund der Familie, die eigene Weinberge besitzt und ein kleines Hotel führt, hätte Schanz 2011 den Schritt zur grossen Gastronomie aber wohl nicht gewagt. Die bedeutende Zeit der Mosel war schliesslich lange vorbei. An jene Epoche, als Heinz Rühmann und die halbe Berliner Jeunesse dorée hierherkamen, um ein paar Wochen Ferien zu verbringen, an die reichen Kaiserreich-Weinhändler mit ihren Villen, erinnern noch Orte wie Bernkastel und Traben-Trarbach, alte Speisekarten und historische Fotos. Dann kamen Kriege und Billig-flüge dazwischen, weshalb die schicken Berliner spätestens in den Siebzigerjahren lieber nach Mallorca flogen, als an die Mosel zu reisen. Aber da war eh schon alles zerstört, was mit gastronomischer Kultur zu tun gehabt hatte. Übrig blieben die Campingwagenfahrer aus den Niederlanden, die sich noch heute wochenlang Stellplätze am Ufer sichern und Dosenravioli aufwärmen, aber nur selten für Umsatz bei den ortsansässigen Wirten sorgen. Was das Angebot nochmals nach unten drückt. Ein Teufelskreis.

Doch man kann ihn durchbrechen. Immer mehr Winzer haben das in den letzten 20 Jahren versucht. Bei Johannes Selbach im nicht weit entfernten Zeltingen schauen seit einiger Zeit immer mal wieder Neugierige aus den USA vorbei, und in den angesagten Restaurants von Kopenhagen oder Stockholm ist Mosel-Wein populärer als in der deutschen Spitzengastronomie.

Wein lockt, Persönlichkeit auch
Wenn die neuen Weintouristen mal da sind, bleiben sie zum Essen. «In den letzten Jahren kamen viele Skandinavier», sagt Schanz, «aber auch Schweizer.» Die Luxemburger reservieren sowieso, schliesslich ist die Grenze nah und wird im Fürstentum traditionell mehr Geld fürs Essen ausgegeben als in Deutschland. Auch untertags. Schanz kann ein gutes Lunchgeschäft vermelden – am Freitag und am Sonntag, wenn das Restaurant auch mittags auf und nicht selten voll ist. Vielleicht ein Fingerzeig darauf, dass ein Trendwechsel bevorsteht.

Auch der Trend zur Klassik mit Individualität ist nicht zu leugnen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Küche verändert. «Man wird mutiger», stapelt Schanz tief. Am Anfang ging es noch klassisch zu, die Kritiker fühlten sich beim einen oder anderen Gang an den Küchenstil erinnert, den Klaus Erfort (Gästehaus Erfort) und Helmut Thieltges (Sonnora) pflegten. Dann kam Eigenes hinzu, immer mehr, und inzwischen gilt Schanz als einer der heissesten Anwärter auf den dritten Stern. Der Gault & Millau kürte ihn eben zum Koch des Jahres, für den Gusto rangiert er nur einen Wimpernschlag hinter der Höchstnote von zehn Pfannen.

Thomas Schanz hat inzwischen seinen Küchenstil gefunden.
Gänseleber mit Tomaten-Kirsch-Relish: verblüffende Kombination
Die Saucen machen es aus: Zitronenmyrte-Jus zum Hunsrücker Rehrücken.
Vacheringlace mit Himbeeren und Sauerampfer

Und das, obwohl hier nicht die ach so trendige Regionalküche mit nur heimischer Ware gekocht wird. Stattdessen steht der roh marinierte Mittelmeer-Schwertfisch mit Staudensellerie, Williams-Christ-Birne und Ingwer-Beurre-blanc auf der Karte. Zur Taubenbrust mit Weinbergsfeldsalat und Innereienpraline serviert Schanz einen roten Paprikasud und eine Schwarztee-Glace, zum Rehrücken gibt es Zitronenmyrte-Jus. Welche Aromen, welche Präzision! Und welche Zusammenstellungen! «Ich versuche, die Leute zu überraschen», sagt Schanz. Nicht mit der Holzhammermethode, nicht mit absolutem Purismus, bei dem man nachdenken muss, ob es noch genial oder schon banal ist. Stattdessen herrscht unglaubliche Subtilität vor. Wie beim Wacholder, den jeder kennt. Man denke, so Schanz, dass er etwas Normales sei. «Aber zum Fisch ist er dann wieder speziell.» Ein Adjektiv, das auch fürs walisische Lamm mit Artischocken-Bries-Chartreuse, Paprika und griechischem Joghurt gilt. Da ist nichts plakativ, aber alles durchdacht. Die Säure, die da und dort zu schmeckenden Röstaromen, die Spielereien, die mit Schanz’ Trüffelei zu Beginn ihren Anfang nehmen, aber nie albern wirken. Moselaner neigen nicht zu Übertreibungen.

Stutzen, schmecken, noch mal schmecken, die Augenbrauen hochziehen. Das Schanz-Rezept. Und warum nicht auch mal eine gewisse Opulenz einbauen – wie bei der kraftvollen Birne mit Sanddorn zum Dessert. Zumal ja danach noch ein erfrischendes Mojito-Sorbet mit Staudenselleriesüppchen folgen könnte. Vielleicht wird es nach Abklingen der Pandemie so sein, dass die Gäste nicht immer nur federleichte Schäume haben wollen, sondern wieder Handfestes erwarten. Waren die Zwanziger des vergangenen Jahrhunderts nicht auch eine Epoche, in der die Lust auf Genuss nach Entbehrungen neue Höhen erklomm und man freudig zuschlug?

Die Mosel von morgen
Schanz scheint aufs richtige Pferd gesetzt zu haben, sieht eine positive Entwicklung in seiner Heimat. «Die Gegend ist illustrer geworden.» Nachwuchswinzer wie Julian Haart, wenige Strassen weiter, erzielen mittlerweile Weinpreise, wie sie seit fast 100 Jahren undenkbar waren. Und hätte vor 20 Jahren einer gedacht, dass der portugiesische Weinmacher Dirk van der Niepoort ein Mosel-Projekt namens Fio startet, gleich ums Eck des Restaurants?

Was an Nachteilen noch vorhanden ist, verwandelt Schanz in Vorzüge. Weil Piesport auch in zehn oder 20 Jahren noch kein zweites Kitzbühel oder St. Moritz sein wird, muss er mit hoher Fluktuation bei den Mitarbeitern leben. Wer aber kommt von weiter her, gibt für begrenzte Zeit alles. «Da kann man sicher sein, dass sie was lernen wollen», sagt Schanz. Was soll man denn auch sonst machen in Piesport, als zu kochen, Wein zu trinken oder durch die Eifel zu spazieren? Das nächste ernstzunehmende Nachtleben findet fast 45 Autominuten entfernt statt. Wirkliche Entspannung beim Personal ist übrigens für Schanz auch nach Corona nicht in Sicht. Viele seien aus der Gastronomie rausgegangen, hat er in den letzten Monaten beobachtet. An der Begeisterung («für mich ein Traumjob»), mit der Schanz sein Lokal führt, ändert das nichts. Reservierungen nimmt man hier zwar schon an, aber es dürfte wohl noch etwas dauern, bis wieder Speisen serviert werden können. Nach der Pandemie aber, so Schanz, werde die ganze Gastronomie profitieren. So war es ja schon nach dem ersten im Mai beendeten Lockdown. Alle werden wieder rauswollen, essen, geniessen. Warum nicht auch in Piesport?

Schanz
Bahnhofstrasse 8a, D-54498 Piesport
+49 6507 92520
schanz-restaurant.de

Die ganz neue Mosel
Allmählich wandelt sich die Mosel, es entsteht Neues. Winzer-Quereinsteiger wie Julian Haart (julian-haart.de) und Fio (fio.wine), aber auch aufstrebende Familienbetriebe wie Hain (weingut-hain.de), Reinhold Haart (haart.de) oder Johannes Selbach (selbach-oster.de) machen von sich reden. Autor Wolfgang Fassbender hat sich schon vor Jahren durchverkostet. Das Buch «Die neue Mosel. Von Weinen und Winzern» mit Texten von ihm sowie Fotos von Andreas Durst ist zum Preis von 48.90 Franken im Buchhandel erhältlich.



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