Ganz allein

Einzelgäste sind eine Herausforderung. Auch weil die Gastronomie nicht auf sie ausgerichtet ist. Wie man mit Menschen umgeht, die alleine ins Restaurant kommen.
Text: Tobias Hüberli – Illustrationen: Philip Schaufelberger
Veröffentlicht: 10.01.2017 | Aus: Salz&Pfeffer 4/2016

Der alleinreisende Gast ist in bester Gesellschaft. Laut einer schweizweiten Erhebung von Hotelleriesuisse nächtigten letztes Jahr 45 Prozent aller Hotelgäste in einem Einzelzimmer. In den Stadthotels lag die Quote sogar noch höher, nämlich zwischen 60 und 70 Prozent, derweil in ländlichen Ferienhotels deutlich mehr Doppelzimmer gebucht wurden.

Gründe, allein zu reisen, gibt es unzählige. Die Geschäfte zum Beispiel, die regelmässig einen Kurztrip in die Schweiz erforderlich machen, oder das Schwarzgeld, das diskret verwaltet werden muss und von dem niemand etwas mitkriegen soll. Vielleicht spioniert man aber aber auch einfach nur seiner offiziell ohne Begleitung reisenden Ehefrau hinterher, versucht, in Ruhe einen Roman zu schreiben, oder fühlt sich schlicht wohler, ganz allein mit sich selbst. Die Frage ist: Wie geht die Gastronomie mit dieser Art Gast um?

Einer, der sich damit bestens auskennt, ist der Chef Concierge Jérémy Varry vom Fünf-Sterne-Hotel Baur au Lac in Zürich. «Wir haben relativ viele Alleinreisende, die meisten sind geschäftlich hier, verbringen den Tag im Büro, gehen abends rasch joggen und bestellen dann Roomservice.» Bei diesen Gästen müsse alles sehr schnell gehen. Wenn trotzdem jemand in der Stadt essen möchte, empfiehlt Varry jeweils ein möglichst lebendiges Restaurant, etwa die «Kronenhalle» oder ein Zunfthaus, auf jeden Fall einen Ort, «an dem es etwas zu sehen gibt.»

Sepp Wimmer, Wirt im Zürcher Zunfthaus zur Waage, betreut regelmässig Einzelgäste und geht dabei unterschiedlich vor. «Wenn jemand alleine speisen will, ist das kein Problem.» Ist allerdings der Platz knapp, setzt er auch schon mal zwei Einzelgäste zusammen. Eine heikle Angelegenheit, die viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung erfordert. «Tischmanagement» nennt es Wimmer mit einem Augenzwinkern. «Das ist die Champions League der Gastronomie, einfach nur Essen und Trinken verkaufen, das kann doch jeder.»

Das unkomplizierte Zusammensetzen von Gästen kennt Wimmer aus seiner Kindheit. «Ich bin in einem österreichischen Wirtshaus aufgewachsen, bei uns war es ganz normal, dass man unterschiedliche Gäste zueinander hinsetzt.» In der Schweiz sei diese Kultur nicht vorhanden. «Die Schweizer sind ja auch im Zugabteil lieber alleine, das ist einfach so.» Wimmer entscheidet jeweils spontan, ob er zwei sich unbekannte Gäste an den gleichen Tisch setzen will. Sehr oft komme das nicht vor, gibt er zu. «In jedem Fall muss man beiden Gästen die Gelegenheit lassen, abzulehnen.» Niemals ein Problem sei das übrigens mit Amerikanern. «Die kann man immer zusammensetzen, Russen hingegen nie.

«Insbesondere für viele Frauen ist es höchst unangenehm, alleine im Restaurant zu essen.»
Wissenschaftlich fundierte Thesen zum alleinessenden Gast existieren übrigens nicht. Das sagt zumindest Claus Lampert. Der deutsche Psychotherapeut beschäftigt sich seit seiner Studienzeit mit psychologischen Phänomenen in der Gastronomie. Eine wichtige Rolle spiele bei Einzelgästen die Fantasie. «Wer alleine ein Restaurant besucht, entschwindet automatisch in einer eigenen Gedankenwelt, stellt sich Geschichten vor und unterhält sich damit quasi selbst», so Lampert. Um aber gedanklich zu «verreisen», muss sich der Gast möglichst wohl fühlen und genau darin liegt die Herausforderung für jeden Gastgeber: Er muss innert Sekunden das psychologische Profil seines Gastes einschätzen.

Der schizoide Typ zum Beispiel ist eine kontrollierte, sachliche Person, die eher den Rückzug als die Geselligkeit sucht. Etwa fünf Prozent aller Gäste gehören diesem Typus an, sagt Lampert. «Solche Menschen setzt man an einen etwas zurückgezogenen Ort und betreut sie am besten freundlich distanziert.». Ganz anders liegen die Dinge beim histrionischen Typ, der sehr theatralisch die Aufmerksamkeit geradezu sucht und sich deshalb in der Mitte des Restaurants, am wohlsten fühlt.

Natürlich erkennt auch der beste Gastgeber nicht immer sofort, wie eine Person tickt. Es ist deshalb durchaus angebracht, den Gast einfach zu fragen, wie er es denn am liebsten hätte. Das empfiehlt auch Marlies Nussbaumer, Geschäftsführerin des Restaurants Belvoirpark sowie Vizedirektorin der gleichnamigen Hotelfachschule in Zürich. «Die Wahl des Tisches ist für den alleinessenden Gast wichtiger als für ein Paar, das im Zweifelsfall ja immer noch sich selbst hat.» Es sei die Aufgabe des Services, den Gast nach seiner Präferenz zu fragen und ihm wann immer möglich die Tischwahl zu überlassen.

Dem Argument, Einzelgäste würden nicht rentieren, da ein Platz ungenutzt bleibe und der Konsum generell tiefer sei, tritt Nussbaumer klar entgegen. «Das ist der falsche Ansatz, Gastronomen sehen oft nur den Moment.» Ein zufriedener Gast kommt wieder, oder er spricht zumindest gut über das Restaurant, was Folgegäste aus seinem Bekanntenkreis nach sich ziehen kann, so Nussbaumer.

Ganz und gar nicht gerne allein isst Beatrix Révész alias Miss Paprika: «Insbesondere für viele Frauen ist es höchst unangenehm, alleine im Restaurant zu essen.» Vor einem Jahr lancierte die in Basel lebende Bernerin deshalb das Projekt «m-eating-table». Es handelt sich dabei um einen speziell ausgeschriebenen Gemeinschaftstisch, der für gesellige Einzelgäste reserviert ist. Etwa 33 Restaurants und Hotels bieten in der Schweiz mittlerweile einen «m-eating-table» an, bis im Juni sollen es 50 Betriebe sein. Die Feedbacks seien gut, so die Gründerin, vor allem Hotels, aber auch Beizen oder Stadtlokale zeigen ein reges Interesse. Allerdings räumt Révész auch ein, dass der «m-eating-table» (noch) kein Selbstläufer sei. «Als Gastgeber muss man das Angebot aktiv und mit Freude promoten, von nichts kommt auch nichts.»

Und natürlich gibt es auch Einzelgäste, die sich im Spitzenrestaurant ein Sechs-Gang-Menü leisten und dabei stundenlang mit sich alleine bleiben. Im «The Restaurant», dem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Lokal des Zürcher Hotels The Dolder Grand bilden Einzelgäste zwar eine Minderheit, jedoch eine gern gesehene. Speziell bedient werde dieses Kundensegment nicht, erklären die Verantwortlichen, man achte jedoch darauf, dass diese Art Gast vom Service etwas mehr unterhalten wird, sofern dies gewünscht sei. Ähnlich geht auch Stephan Nitzsche vor. Der Maître d’hôtel im Restaurant Einstein Gourmet in St. Gallen parliert in der Regel mehr mit Einzelgästen als mit Gruppen und hält auch eine passende Lektüre bereit, um dem Gast die Wartezeiten zu überbrücken. «Oft wollen Einzelgäste aber auch einfach die Atmosphäre des Restaurants auf sich wirken lassen und sind vollkommen zufrieden.» 

Bei der Recherche angetroffen
Claus Lampert ist Psychotherapeut und beschäftigt sich seit seiner Studienzeit intensiv mit der Gastronomie. 2013 veröffentlichte er das Buch «Hotel- und Barpsychologie: Psychologie für die Gastronomie». Eine empfehlenswerte und kurzweilige Lektüre für den Gastroprofi. Mehr Informationen zum Autor gibts im Internet.
www.barpsychologie.de

«Alleine essen ist nicht lustig», findet Beatrix Révész alias Miss Paprika und lancierte deshalb vor einem Jahr das Projekt «m-eating-table». Es handelt sich dabei um einen Gemeinschaftstisch für Einzelgäste. Es ist eine unverbindliche Einladung an Alleinreisende, gemeinsam zu Speisen. Gekennzeichnet sind die Tische mit einem von Tobias Gutmann gestalteten Steller. Bis jetzt haben sich 33 Gastronomie- und Hotelbetriebe dem Projekt angeschlossen. Der Jahresbeitrag beläuft sich auf 250 Franken. Als Gegenleistung stellt Révész Marketingmaterial sowie einen Online-Eintrag zu Verfügung.
www.m-eating-table.com



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