Sprung über den Tellerrand

Köche sind als Werbeträger hoch im Kurs. Die Arbeit als Testimonial eröffnet ihnen Chancen, birgt jedoch auch Stolpersteine.
Text: Virginia Nolan – Illustrationen / Foto: Philip Schaufelberger / z. V. g.
Veröffentlicht: 16.11.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2021

«Das ist jetzt mehr ein Bubentraum, der in Erfüllung geht.»

Luxusuhren, Edelkarossen und Motorräder gelten nicht als Standardaccessoires verdienter Köche, doch darüber könnte Werbung glatt hinwegtäuschen: Da kurvt Andreas Caminada im Audi-Spot durch die Berge, Fernsehkoch René Schudel hält seine Breitling-Uhr in die Kamera, und Nenad Mlinarevic erklärt der Porsche-Times, was ihn antreibt – unter anderem ein brandneues Elektrogefährt des Hauses. Sämtliche Formate räumen der Persona des Kochs viel Platz ein; fast scheint es, als sei es seine Strahlkraft, die auf Statussymbole abfärben soll, nicht umgekehrt.

Folgeaufträge statt Bares
Küchenchefs sind zu begehrten Markenbotschaftern avanciert, auch für Dinge weit ausserhalb ihrer Wirkungsstätte. Menschen hätten sich noch nie so intensiv mit ihrer Ernährung auseinandergesetzt wie heute, sagen Trendforscher. Wenn Essen, wie das Gottlieb Duttweiler Institut festhält, «der neue Pop» ist, sind die Köche folgerichtig die neuen Stars. Das Rock ’n’ Roll-Image komme ihnen sicher zugute, es spreche aber auch ein weiterer Grund für Köche als Markenbotschafter, sagt Reto Krattiger, Marketingchef bei Breitling Schweiz: «Kulinarik ist sehr zugänglich: Mit gutem Essen lassen sich viele Menschen erreichen.»

Nenad Mlinarevic, Gault-Millau-Koch des Jahres 2016 und heute selbstständiger Gastronom, gehört zu den Schweizer Küchenchefs mit dem grössten Werbepotenzial. «Ich werde für alles Mögliche angefragt», sagt der 40-Jährige. Markenpartnerschaften gehe er aber nur mit Unternehmen ein, deren Produkte er auch privat kaufen würde: «IWC und Porsche beispielsweise fragten erst an, nachdem ich mir die Uhr und das Auto schon geleistet hatte.» Geld spiele in Markenpartnerschaften eine untergeordnete Rolle, so Mlinarevic. Vielmehr gehe es darum, Synergien derart zu nutzen, dass für alle ein Mehrwert entstehe. «Ich versuche daher auch, meine Partnerschaften zu kombinieren», sagt er. «Beispielsweise im Rahmen eines Pop-ups, bei dem Miele die Geräte stellt und IWC als Gastgeber fungiert. Auf diese Weise erhalten wir alle die Möglichkeit, uns neue Zielgruppen zu erschliessen.»

«Wir versuchen stets zur Stelle zu sein, wenn Nenad Geräte benötigt», sagt dazu Barbara Kaiser, ihres Zeichens Mediensprecherin bei Miele. «So kommen unsere Geräte in seinen Restaurants zum Einsatz, aber auch in seinem Atelier.» In Letzterem servierte Mlinarevic Porsche-Kunden unlängst einen Sechsgänger. «Es sind nicht Kampagnen, die Markenpartnerschaften attraktiv machen, sondern Folgeaufträge daraus», erklärt er. «Events money can’t buy», nennt man bei BMW Schweiz solche Formate, zu denen ausgewählte Kunden eingeladen werden. Ein Stelldichein mit dem Spitzenkoch sei dabei eine gefragte Variante, sagt Nicolao Colombo, Leiter Kooperationen und Partnerschaften bei BMW Schweiz: «Unsere Zielgruppe kann zwar auch privat im The Dolder Grand essen gehen, aber ein familiäres Treffen mit Heiko Nieder ist auch für sie etwas Besonderes.»

Es reicht nicht, den Kopf hinzuhalten
«In der Gastronomie wirst du nicht reich», befindet indes Rolf Caviezel. «Das gilt auch in Bezug auf Markenpartnerschaften.» Der selbstständige Molekularkoch pflegt allesamt langjährige Markenpartnerschaften, unter anderem mit Turm-Kaffee, Sbrinz-Käse, der Brauerei Schützengarten oder dem Teigwarenhersteller Bschüssig. «Alles sind Schweizer Traditionsfirmen», sagt Caviezel. «Auf solche Dinge lege ich Wert.» In diesem Zusammenhang trage er auch bei seinem Projekt Kids ab an den Herd eine Verantwortung. «Hier geht es um Sensibilisierungsarbeit, nicht zuletzt für lokale Produkte», sagt Caviezel. «Kinder sollen sehen, dass wir auch eine heimische Teigwarentradition oder mit dem Sbrinz ein lokales Pendant zum Parmesan haben. So habe ich besagte Firmen selbst angefragt, ob sie mit mir zusammenarbeiten wollen.» Aktuell plant Caviezel mit Partnern die Nachwuchsaktion Kid’s Day 2022. Als Testimonial entwickelt er ausserdem Rezepte, hält Referate oder führt Kochkurse durch. Die Partnerfirmen wiederum pushen diese Inhalte in den sozialen Medien und steigern seine Reichweite. «Es ist ein Geben und Nehmen», sagt Caviezel. «Die Zeiten, in denen es Geld für ein Logo auf der Kochbluse gab, sind vorbei.»

Das bestätigt Jasmin Riesen, Leiterin Marketing Relations der Haushaltgeräteherstellerin V-Zug, die über ein Dutzend Spitzenköche als Markenbotschafter engagiert hat. «Es reicht nicht mehr, den Kopf in die Kamera und den Daumen hoch zu halten», sagt sie. «Heute zielt eine Markenpartnerschaft auf gemeinsame Projekte ab.» Beispiele dafür seien etwa Hintergrundreportagen, Produzentenbesuche, Kochkurse oder Rezeptbeiträge der Köche, die V-Zug via soziale Medien verbreite. «Umgekehrt unterstützen wir unsere Köche wo immer möglich in ihren Projekten», sagt Riesen. «Unseren Food-Truck beispielsweise nutzen viele gern.» So auch Markenbotschafter Fabian Fuchs vom Restaurant Equitable in Zürich. «Solche Leistungen, aber auch das Netzwerk von V-Zug sind für mich interessant», sagt er. «Die Reichweite der Marke ist enorm, und vor allem sind es sinnvolle Geschichten, die wir umsetzen. Oft kann ich dabei Kleinproduzenten eine Plattform geben.» Seit Kurzem wirbt Fuchs auch für Ducati. «Das ist jetzt mehr ein Bubentraum, der in Erfüllung geht», sagt er. «Ich verdiene damit kein Geld. Aber als begeisterter Töff-Fahrer poste ich meine Touren jeweils auf Instagram. Jetzt kann ich jede beliebige Maschine testen, das ist toll.»

Kratzer am Image
«Freundschaftliche Deals», nennt Heiko Nieder solche Arrangements, die er selbst mit der Uhrenmarke Parmigiani und dem Autohersteller BMW pflegt. Beides habe sich durch die Verbindungen des Hauses ergeben, sagt der Küchenchef im Zürcher The Dolder Grand – die Unternehmen fungieren als Sponsoren beim hoteleigenen Genussfestival Epicure. «Meine Wirkung als Testimonial beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Uhr zu tragen und das Auto zu fahren», sagt Nieder. «Dafür bekomme ich kein Geld. Es sind Annehmlichkeiten, aber keine Verpflichtungen. Anders würde ich es nicht wollen.» Allzu schnell, glaubt Nieder, erwecke man sonst den Eindruck, man sei käuflich – eine «Brand Bitch», wie böse Zungen es nennen würden.

Mit diesem Vorwurf sah sich Gastronom René Schudel schon oft konfrontiert: Jahrelang spannte er mit Mc Donald’s zusammen, brachte als dessen Testimonial eigene Burger-Kreationen auf den Markt. Sein Engagement beim Fast-Food-Riesen trug Schudel viel Häme ein. Was Medien als Fehltritt werteten, betrachtet er selbst nicht als solchen. «Mc Donald’s hatte mich um Unterstützung gebeten, als es darum ging, mit neuen, überraschenden Rezepturen auf das wachsende Bedürfnis der Gäste nach einer ausgewogenen Verpflegung einzugehen. Ich finde dieses Anliegen wichtig», sagt er. «Und vor allem bin ich überzeugt, dass ich mit diesem Engagement etwas bewirken kann – weil das Resultat eine breite Öffentlichkeit erreicht.» Die Reichweite, so Schudel, sei auch mit ein Grund für seine nunmehr zwölfjährige Markenpartnerschaft mit Lidl. Gemeinsam riefen der Koch und der Discounter unter anderem die Plattform Zero Foodwaste Kitchen ins Leben, eine Sammlung von über 150 Rezepten, die dabei helfen sollen, Lebensmittelabfälle zu vermeiden. «Über die Grossen wird gerne geschimpft», sagt Schudel, «aber manchmal verändert ein Blick hinter die Kulisse die Sichtweise. So ist Lidl beispielsweise seit 2018 der wichtigste Sponsor von Bio Marché, dem grössten Biomarkt der Schweiz, und hat Bio-Produkten im Discounter zum Durchbruch verholfen.»

Die Spreu vom Weizen trennen
Markenpartnerschaften bergen nicht nur im Hinblick auf Imagefragen Stolpersteine. Die Herausforderung liegt auch darin, unter den Anfragen die Spreu vom Weizen zu trennen, weiss Caviezel: «Eigentlich bräuchte man Marketingberater – aber die kann sich kein selbstständiger Koch leisten.» Davon kann Jungtalent Norman Hunziker ein Lied singen. Der ehemalige Captain der Schweizer Junioren-Kochnationalmannschaft eröffnete 2019 das Pop-up-Restaurant Artist im gleichnamigen Hotel in Biel, daneben ist er als Private Chef und Caterer unterwegs. Der Jungkoch ist bei vielen Firmen als potenzielles Testimonial auf dem Radar und pflegt etwa Markenpartnerschaften mit der Mercedes-Benz Automobil AG und dem Küchenbauer Hans Eisenring. Bei der Wahl potenzieller Partner strategisch richtig vorzugehen, sei nicht einfach, sagt Hunziker, dessen Restaurant in einem Schweizer Uhren-Hauptquartier liegt: «Bei uns gehen Marketingverantwortliche etlicher Hersteller ein und aus, und viele haben mir schon eine Markenpartnerschaft angeboten.» Bisher habe er abgelehnt. «Aus Sorge, mich in die Nesseln zu setzen», sagt er. «Das sind alles meine Gäste. Ich fürchte, der Omega-Vertreter wäre nicht sehr erfreut, wenn an meinem Handgelenk eine Rolex prangen würde.»

Gewisse Marken würde er aus anderen Gründen nicht repräsentieren wollen, so Hunziker. «Nehmen wir Kapselkaffee als Beispiel», sagt er. «Für einen Betrieb, der das kulinarische Handwerk grossschreibt, seine Zulieferer sorgfältig auswählt und auf die Herkunft der Rohstoffe achtet, wäre das ein Bruch mit der Philosophie. Auch in der Sterne-Gastronomie – und da ist er durchaus im Einsatz – ist ein solcher Kaffee aus meiner Sicht falsch platziert. Auf diesem Niveau ist das der Arbeit des Küchenteams nicht würdig.»

«Viele unterschätzen den Zeitaufwand»

Julia Faulhaber berät unter anderem Spitzenköche in Sachen Markenstrategie und Kommunikation. Sie erklärt, was eine erfolgreiche Markenpartnerschaft ausmacht und worauf Köche als Werbeträger achten sollten.

Warum sind Köche so begehrte Markenbotschafter?
Julia Faulhaber: Vermutlich aus ähnlichen Gründen wie Spitzensportler: Sie erbringen unter extremen Bedingungen Höchstleistungen. Das trägt ihnen unsere Bewunderung ein. Dass Köche so gefeiert werden, hat aber auch viel damit zu tun, dass sich die Spitzenküche gewandelt und für ein breiteres Publikum geöffnet hat: Weg vom klassischen, starren Setting hin zu teils mutigen Nischen. Das erlaubt dem Koch, eine individuelle Handschrift zu entwickeln. Und je ausgeprägter sein Profil, desto interessanter ist er für Marken, die sich ähnlich positionieren und mit seinem Image in Verbindung gebracht werden wollen.

Welche Vorteile bringt eine gute Markenpartnerschaft?
Es soll eine Win-win-Situation für beide Parteien sein: Die Marke soll die Reichweite und Sichtbarkeit des Kochs stärken und umgekehrt, und die Zusammenarbeit soll beiden Partnern Möglichkeiten bieten, sich neue Gäste oder Kunden zu erschliessen. Voraussetzung dafür ist aus meiner Sicht ein langfristiges gegenseitiges Engagement, damit man sich überhaupt richtig kennen lernt und damit eine sinnvolle Grundlage für gemeinsame Aktivitäten hat.Manche Köche bekommen sehr viele Anfragen.

Wie trifft man unter potenziellen Markenpartnern die richtige Wahl?
Ein potenzieller Markenpartner soll sich in der Liga bewegen, in der auch der Koch spielt. Dann haben beide dasselbe Publikum im Blick. Für einen Sterne-Koch beispielsweise ist es sinnvoll, auch ein High-End-Produkt zu bewerben. Klar könnte man entgegnen, dass ihm ein breiteres Zielpublikum womöglich höhere Sichtbarkeit verschafft – aber die entscheidende Frage lautet: Holt er da potenzielle Gäste? Wichtig ist auch, dass ein Koch hinter der Marke steht. Wer eine Uhr bewirbt, die er privat nie tragen würde, wirkt unglaubwürdig.

Welche weiteren Stolpersteine birgt der Job als Testimonial?
Viele unterschätzen den Zeitaufwand. Ich würde daher raten, gegenseitige Bedürfnisse genau zu klären und als Koch vorweg einmal grob zu überschlagen, wie viel Arbeitszeit ich überhaupt freischaufeln kann. Denn seien es Werbespots, Events für die Partnermarke oder andere gemeinsame Aktivitäten: All das bedeutet Arbeit und nimmt Zeit in Anspruch, die teuer sein kann, wenn sie beispielsweise dem eigenen Restaurant abgeht. Bevor man also zu viele Deals eingeht, sollte man sich überlegen, mit wem es wirklich Spass macht.

Haben Sie einen weiteren Tipp für Köche?
Ja: Sie sollten auf potenzielle Partner zugehen. Statt auf Anfragen zu warten, empfehle ich, selbst aktiv zu werden. Sich Gedanken zu machen: Wer könnte zu mir passen und warum, was wären mögliche Formen der Zusammenarbeit? – Und dann als Koch gleich selbst beim Unternehmen anklopfen.

Julia Faulhaber ist Gründerin und Inhaberin von Faulhaber Marketing Services und bietet Medienberatung, Brand Management und Kommunikationslösungen für die Hotel-, Gastro- und Tourismusbranche. Zu ihren Kunden zählen zum Beispiel die Spitzenköche Stefan Heilemann, Jeroen Achtien, Stefan Jäckel, Mattias Roock und Peter Knogl.



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