Anders sind die Andern

Was Reto Hasler kann, zeigt sich rasch: Sprüche klopfen, zum Beispiel, die Inszenierung seiner selbst feiern. Und kochen. Deutlich wird aber auch: Dafür musste der Überflieger erst mal untendurch.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Veröffentlicht: 06.02.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2015
Reto Hasler

«Der Kochberuf hat nur mit Liebe zu tun.»

 

Darf man schwarz auf weiss feststellen, dass einer schlicht eine grosse Klappe hat? Bei Reto Hasler lässt sich das kaum vermeiden. Der 28-jährige Küchenchef des «Dieci al Lago» in Rapperswil klopft Sprüche, wie er kocht: mit Hingabe, Inbrunst und Tempo, frisch, frech und frei, laut und leidenschaftlich. Auf dem Teller macht das ungeheuer Spass. Das scheinen auch die Tester von Gault & Millau so zu sehen, bedachten sie ihn heuer doch mit einem 15. Punkt. Hasler freuts, wobei er null Bereitschaft zeigt, sich deswegen zu verbiegen. Überhaupt mag er sich in keine Schublade stecken lassen und experimentiert zwar lustvoll über die Grenzen sämtlicher Kochstile hinweg, bleibt dem soliden Handwerk aber treu. Anders, frotzelt er, seien sowieso die Andern. Und dann zeigt er im Interview, dass er auch selbst mehr als eine Seite hat. Im Nu sind Schenkelklopfer oder derbe Witze verflogen und offenbart sich ein ernsthafter junger Mann mit klaren Visionen.Wieder spricht Reto Hasler so, wie er kocht.

Sie führen in jungen Jahren ein Punktelokal, ohne dass Sie sich in Ihrer Karriere je einmal um eine Stelle beworben hätten. Wie geht das?
Reto Hasler:
Ich rutschte in meine Position einfach rein. Eigentlich wollte ich nicht einmal Koch werden, sondern befolgte lediglich den Rat meiner Mutter, in einer Küche zu schnuppern. Nach der Lehre im «Frohberg» bei Ewald Mandl wechselte ich direkt ins «Dieci al Lago». Hier lernte ich meinen Meister kennen: Der damalige Küchenchef Rino Cariglia zeigte mir, was Kochen bedeutet, wie viele Emotionen dabei eine Rolle spielen. Er lehrte mich: Der Kochberuf hat nur mit Liebe zu tun. Ohne die kommt man nicht weit. Fünf Jahre arbeitete ich unter ihm, dann ging er ins Schloss Rapperswil und ich wurde gefragt, ob ich bereit sei, seine Nachfolge anzutreten. Ich war 24.

Und was antworteten Sie?
«Na klar, parat geboren», sagte ich. Aber bald stellte sich heraus, dass ich alles andere als bereit gewesen war.

Woran machen Sie das rückblickend fest?
Ich hatte keine Ahnung von Teamführung. Doch plötzlich waren mir Leute unterstellt, und ich ging damit völlig falsch um, legte einen sehr harten Ton an den Tag, schrie und schmiss Dinge in der Küche herum. Ich trat die Arbeit schon mit einem gewissen Aggressionspegel und zitternden Händen an. Bis ich merkte: Das macht mich kaputt, ist alles zu viel, die Menschen verlieren den Respekt vor mir, halten mich bloss noch für einen schrecklichen Choleriker. Zu lernen, wie man mit einem Team umgeht, war eine wichtige – und schwierige – Lektion für mich. Denn ohne Team bin ich nichts.

Wie beschreiben Sie Ihren Führungsstil denn heute?
Ruhig, denn ohne Ruhe ist keine Präzision möglich. Wer verunsichert oder gestresst ist, wer zittert, der macht Fehler.

Sie sprechen aus Erfahrung.
Absolut, das habe ich in meinen Anfängen als Küchenchef ja selbst erlebt. Und gleichzeitig musste ich damals meinen Kochstil entwickeln, brauchte plötzlich eine eigene Handschrift. Dabei hatte ich gerade mal in zwei verschiedenen Küchen gearbeitet.

Sie sagen es selbst: Besonders viel haben Sie von der Kochwelt bislang nicht gesehen. Möchten Sie das nachholen?
Das ist eine schwierige Frage. Am Punkt, an dem ich heute bin, weiss ich echt nicht, ob ich mich noch unterordnen kann und ob das wirklich nötig ist. Immerhin ist alles, was ich bisher erreicht habe, auf meinem Mist gewachsen: Ich hatte kaum die Gelegenheit, andere zu kopieren, musste mein eigenes Ding finden. Ich besitze weder Kochhefte noch Kochbücher und esse praktisch nie auswärts ...

Woher kommt dann die Inspiration?
Das weiss ich wirklich nicht. Vielfach entstehen meine Ideen, wenn ich mit befreundeten Köchen ausgehe, wir übers Kochen reden, uns mitten in der Nacht an den Herd stellen und rumprobieren. Da kommen extrem gute Sachen heraus – und wenn man die am nächsten Morgen noch weiss, ist es umso besser. Manchmal wache ich auch auf und notiere, was mir in den Sinn gekommen ist. Grundsätzlich sind die Kombinationen, die wir im «Dieci» machen, aber ohnehin nicht von zu weit hergeholt. Ich möchte das kochen, was schon meine Mutter kochte.

Ihre Mutter spielt eine entscheidende Rolle in Ihrem Leben.
Sie erkannte sehr früh, dass ich kreativ bin, und unterstützte mich darin immer. Als Kind malte ich viel, und ich bastelte. Durch meinen Vater fand ich früh den Weg zur Informatik. Später schnupperte ich in diversen Berufen, aber nichts passte. Eines Tages, als wir gerade zusammen kochten, schlug meine Mutter vor, ich solle doch mal in einer Küche schnuppern. Und hier bin ich.

Zurück zur Kreativität: Wie viel auf dem Teller stammt von Ihnen, wie viel vom Team?
Wie ein Gericht auf den Teller kommt, hängt mehrheitlich von mir ab – darauf habe ich auch hingearbeitet. Aber ich zwänge nichts gegen den Willen des Teams durch. Wenn eine Idee meinen Kollegen nicht passt – wie soll sie dem Gast gefallen? Immerhin hege ich den Anspruch, dass der Gast mein Lokal mit einem «Wow» verlässt. Wenn einer am Ende sagt, es sei gut gewesen, habe ich etwas falsch gemacht. Das reicht mir nicht. Gut sind viele, kochen können wir als ausgebildete Profis alle – was zählt, sind die Details, ist der «touch of magic», der Hauch von Säure, der im Gaumen den Unterschied macht, sind die kleinen Feinheiten.

Brönnimann-Dry-Aged-Rindsentrecôte, Rande, Catalogna, Mais
Reto Hasler
Moscardini, Markbein, Peperoni, Tomate, Rotwein

Kann man diese erlernen?
Nun ja, an die Erkenntnis, dass es ums Detail geht, führte mich Rino Cariglia heran. Er trichterte es mir regelrecht ein. Aber der Wille dazu muss in einem stecken, denn der Aufwand ist gross. Ich habe diesen Willen.

Belohnt wurden Sie dieses Jahr von Gault & Millau – mit dem 15. Punkt. Rechneten Sie damit?
Ehrlich gesagt erwartete ich ihn schon einen Moment. Er war mir megawichtig. Wer etwas anderes behauptet, dem glaube ich nicht: In jungen Jahren eine solche Auszeichnung – das will doch jeder. Aber ich koche aus Passion, nicht der Punkte wegen. Und ich würde mich deswegen niemals verändern. Ich will einen 16. Punkt, ich will einen Michelin-Stern – verbiegen werde ich mich dafür aber nicht. Ich möchte ihn erreichen, während mir das Kochen Freude macht. Sobald mich Punkte und Sterne unter Druck zu setzen beginnen, muss ich aufhören.

Inwiefern nimmt Ihr finanzieller Background im «Dieci» Druck von Ihnen?
Selbstverständlich muss auch ich meine Zahlen abliefern und meine Gerichte kalkulieren. Ich bin aber in der glücklichen Lage, mit dem Besitzer Rocco Delli Colli einen Menschen im Hintergrund zu haben, der mich unterstützt, und ein Team, das das Rechnen für mich übernimmt – denn ein Koch ist per se kein Mathematiker. Ich habe sehr viele Freiheiten, aber ganz alles, was ich will, bekomme ich dann auch wieder nicht.

Sie räumen aber schon ein, dass Sie kein günstiger Koch sind.
(lacht) Das ist wahr. Und natürlich verstehe ich, dass mein Ruf nach dem Vakuumsrotationsverdampfer etwas weit geht. Ich hätte trotzdem schaurig gern einen. Aber ich will ehrlich sein: Ich könnte mir meine Situation nicht besser vorstellen, als sie zurzeit ist. Ich bin happy, habe etwas erreicht und will das als ehrgeiziger Mensch weiterhin.

Wohin zieht Ihr Ehrgeiz Sie?
Ich probiere einfach gern Neues aus, das war schon immer so. Ich schaute mir zum Beispiel intensiv die molekulare oder auch die Neue Nordische Küche an, kam wieder davon weg und behielt nur einzelne Komponenten davon bei. Ich lasse das Verspielte in die klassische Küche einfliessen. Sehr wichtig ist für mich mein «Big Green Egg», weil man damit einen Fleischgeschmack erreicht, der beim Gast gute Erinnerungen weckt: an Grill und Holzkohle. Erinnerungen und Emotionen – darum gehts.

Apropos Fleisch: Ihr Rindsentrecôte wird exklusiv für Sie gereift.
Richtig, und dahinter steckt eine eigene Geschichte. Als ich als Küchenchef startete, arbeitete ich mit Dry Aged Beef, das mit Edelschimmel gereift worden war. Ich stellte aber fest, dass Menschen mit Asthma oder Lungenproblemen aus meinem persönlichen Umfeld darauf mit Atemnot reagierten – und fand, das dürfe nicht sein. Ich unterhielt mich darüber mit dem Metzger Ernst Brönnimann aus Jona, er schaffte sich einen Reifeschrank an und wir begannen, Rindsentrecôtes ohne Starterkulturen oder Pilze reinzuhängen. Anfangs mussten wir ziemlich experimentieren, damit das Fleisch zart wird, die Textur stimmt und der Verlust nicht zu gross ist. Es war eine Herausforderung, aber heute haben wir ein fünf, sechs Wochen gereiftes Dry Aged Beef von Tieren aus der Umgebung – das mit allem mithalten kann. Wir reifen mittlerweile sogar Lamm.

Dafür sucht man vegetarische Gerichte auf Ihrer Karte fast vergeblich.
(lacht) Nun ja, ich habe schlicht nicht die Kapazitäten, für Vegetarier so ausgiebig zu kochen, wie ich es für Fleisch- und Fischesser tue. Klar habe ich etwas in petto, wenn ein Gast eine vegetarische Variante wünscht, aber ich biete diese nicht aktiv an. Andere Köche sind darauf spezialisiert, mich interessiert das weniger. Vielmehr geniesse ich es, dass ich im Gourmetbereich ein Menü konzipieren und zu einem gewissen Grad vorgeben kann, was der Gast bekommt. Ich stehe hinter dem, was bei uns serviert wird.

Es geht dabei um Sie persönlich?
Um mich, mein Team, meine Kochkunst.

Zählen Sie sich eigentlich zur Generation der jungen Wilden in der Gastronomie?
Gar nicht, nein. Ich finde sogar, dass genau diese die klassische französische Kochkunst ein Stück weit verdrängen.

Wie meinen Sie das?
Die klassische Küche wurde auseinandergenommen, man begann, zu machen, was man will, hat das Kochen total vereinfacht, weil es keine Regeln mehr zu befolgen gab. Ich habe den Eindruck, dass die Gastronomie früher anspruchsvoller war und bewundere die klassische französische Kochkunst sehr. Sie basiert auf Perfektion, kommt ohne Schischi aus, das Produkt spricht für sich. Heute ist sehr vieles Spielerei.Wahrscheinlich sollte man die zwei Bereiche aber gar nicht miteinander vergleichen – sie sind völlig verschieden und haben beide ihre Berechtigung. Für mich ist einfach klar: Zu den jungen Wilden gehöre ich nicht.

Wo positionieren Sie sich denn dann?
Ich mache meinen Job, und ich mache ihn gern.Warum also soll ich mich irgendwo einreihen?

Der Werdegang von Reto Hasler ist schnell erzählt: Nach der Lehre im «Frohberg» in Jona bei Ewald Mandl wechselte er ins Gourmetlokal des Restaurants Dieci al Lago in Rapperswil. Unter Rino Cariglia lernte der Zürcher Oberländer fünf Jahre lang die Essenz des Kochens kennen, bis es diesen ins Schloss Rapperswil zog. Im zarten Alter von 24 Jahren übernahm Hasler den Posten des Küchenchefs. Das war vor vier Jahren. Heute ist er, so sagt er selbst, mit seinem Berufsleben so glücklich wie nie zuvor.

Dieci al Lago, Fischmarktplatz 1, 8640 Rapperswil, 055 210 12 20, www.dieci.ch



Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse