Der Architekt

Rolf Fliegauf kocht in Ascona mit Begeisterung und einem glasklaren Stil. Die Bedingungen in der Zwei-Sterne-Küche sind mittlerweile zwar eng geworden, die Stimmung aber ist lustig.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 08.05.2018 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2018
Lamm aus der Romandie, Aubergine, Paprika, Miso

«Die meisten Gerichte haben ein ähnliches Gerüst.»
Sie gehen mit dem Restaurant Ecco in Ascona bereits in die zwölfte Saison. Wie fühlt sich das an?
Rolf Fliegauf:
Es ist schon etwas Besonderes. Die ganze Geschichte war nicht so geplant. Ich blieb vorher nie lange an einem Ort und war relativ schnell von etwas gelangweilt. Im Ecco übernahm ich meine erste Küchenchefstelle. Und es ist extrem viel passiert hier, vieles ist gewachsen. Das macht es spannend, und deshalb sind es mittlerweile elf Jahre geworden. Es ist verrückt.

Zu Beginn waren Sie ein glühender Verfechter der molekularen Küche, gab Ihnen die Hotelleitung freie Hand?
Mehr oder weniger. Es war mit dem Hotelier-Ehepaar Daniela und Philippe Frutiger abgesprochen, dass wir uns im Ecco in eine bestimmte, in die molekulare Richtung bewegen wollten. Es ging damals auch darum, aus dieser Bude, die vorher eine einfach Osteria war, etwas Spezielles zu machen. Wir brauchten einen Aufhänger, und die Molekularküche war damals sehr modern.

Wo holten Sie sich das Rüstzeug, für diese Art zu kochen?
Vor der Eröffnung absolvierte ich während fast eines Jahres zahlreiche Stages. Bei Juan Amador war ich am längsten. Ich ging aber auch ins The Fat Duck von Heston Blumenthal, zu Jonnie Boer und immer mal wieder zu Joachim Wissler. Das waren spannende Stationen, an denen nicht rein molekular gekocht wurde, das war aber auch im Ecco nie mein Ziel.

2010 warfen Sie das molekulare Konzept, mit dem Sie seit 2007 einen Stern hielten, komplett über den Haufen. Wieso?
Damals veränderte sich unsere Küche in die Richtung, wie sie heute immer noch ist. 2009 arbeitete ich ein paar Wochen im Restaurant Noma und kam richtig niedergeschlagen zurück. 2010 gingen wir dann mit einer ganz anderen Küche in die Saison.

Warum waren Sie niedergeschlagen?
Ich war einfach unzufrieden mit dem, was wir machten. Wir nahmen sehr viel Geld in die Hand für Luxusprodukte wie Steinbutt, Trüffel oder Kaviar, legten aber sehr wenig Wert auf die Randprodukte. Es war uns völlig wurst, woher die Tomaten kommen. Wir haben im Tessin dann relativ schnell gute Partner gefunden, mit denen wir bis heute zusammenarbeiten.

Ein krasser Richtungswechsel, der aber fast postwendend mit einem zweiten Stern belohnt wurde.
Das Ganze ist natürlich etwas schwierig, normalerweise geht man als Küchenchef hin und kocht seine Linie. Die hatte ich als 25-Jähriger aber schlicht nicht. Ich kochte einfach, was ich anderswo gesehen hatte, war noch zu wenig gefestigt und dadurch auch leicht beeinflussbar von links und rechts. Der eigene Stil kam erst mit den Jahren.

Beschreiben Sie Ihren Stil.
Wir machen eine moderne Küche auf einer französischen Basis und – seit etwa zwei Jahren – mit japanischen Einflüssen. Wir sind nicht strikt regional ausgelegt, obwohl wir natürlich versuchen, Produkte aus der Schweiz zu kaufen. Wir wissen zum Beispiel sehr genau, woher unser Gemüse kommt. Mit Stefan Brunner vom Eichhof in Aarberg haben wir auf diese Saison hin einen genauen Plan entworfen und lassen Gemüse speziell für uns anbauen.

Sie sind der Architekt der Ecco-Küche. Wie stark sind Ihre Vorgaben an Zwei-Sterne-Koch Stefan Heilemann, der das Restaurant Ecco in Zürich führt?
Wir haben eine gemeinsame Philosophie, und das Ecco-Konzept setzt uns mit klaren Richtlinien Leitplanken, an denen wir uns orientieren wollen. Es ist aber auch klar, dass ein Koch mit zwei Sternen Freiraum braucht, um seine eigene Handschrift zu entwickeln. Mein Einfluss ist daher sehr gering. Es gibt jedoch viele Dinge, die wir einst zusammen als Ecco-Küche definiert haben.

Die da wären?
Die Gerichte sollen säurebetont sein, leicht, und sie müssen Spannung erzeugen, zum Beispiel mit unterschiedlichen Konsistenzen und Temperaturen, aber auch mit dem Geschmack, etwa im Zusammenspiel mit Säure und Schärfe. Die meisten Gerichte, ob in Zürich, St. Moritz oder Ascona, haben ein ähnliches Gerüst.

Carabinero, Dim Sum, Biokarotte und Kaffirlimette
Von links: Simon Unterholzner (Chefpatissier), Fabio Toffolon (Souschef), Moritz Katz, Rolf Fliegauf, Phillip Schnabel, Matthias Koppenwallner (Souschef), Reto Brändli
Balfego-Thunfisch, Gillardeau-Auster, Meerrettich
Rhabarber aus dem Thurgau, Zitronenverveine, Sesam, Kalamansi

Was wäre aus Ihnen geworden, würde der Kochberuf nicht existieren?
Nix wahrscheinlich. Die Frage ist schwierig zu beantworten, meine Eltern führten ein kleines Restaurant. Die Küche hat mich immer fasziniert, es stand nie zur Debatte, ob ich Koch werde oder nicht. Das war immer klar. Komisch eigentlich, aber ich machs einfach gern.

Wer kochte im Restaurant Ihrer Eltern?
Das war meine Mutter. Es gab eine sehr rustikale, typisch bayrisch-schwäbische Küche, zum Beispiel Zwiebelrostbraten mit Spätzle oder Maultaschen. Aber meine Mutter entwickelte den Ehrgeiz, möglichst alles selbst zu machen. Das beeindruckte mich als Kind. Allein schon weil sie dadurch extrem viel zu tun hatte. Ich realisierte, dass man für Sachen, die man will, hart arbeiten muss.

Sie waren mit 29 der jüngste Koch Europas, der je mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Was wollen Sie noch erreichen?
Ich stehe nach wie vor mit Begeisterung mit meinen Jungs in der Küche. Bei den Zielen bin ich realistisch. Natürlich bin ich ehrgeizig, aber es ist kein dummer Ehrgeiz. Nach dem zweiten Stern war mir klar, dass da eine relativ grosse Pause kommen wird. Wir wären auch nicht bereit gewesen, weder persönlich noch mit unserer Kocherei, um an etwas anderes zu denken als zwei Sterne. Das heisst aber nicht, dass ich mich jetzt mit diesem Niveau bis zur Pension zufriedengebe. Wir wollen immer Gas geben, nicht um drei Sterne zu erkochen, sondern um besser zu werden und um uns weiterzuentwickeln.

Wo liegt für Sie der Unterschied zwischen zwei und drei Sternen?
Es geht viel um Konstanz. Man muss über lange Zeit beweisen, dass man das Niveau halten kann. Es ist schwierig, den Unterschied zwischen einem Zwei-Sterne- und einem Drei-Sterne-Gericht zu erklären. Ich glaube, es geht auch um Momente, etwa bei der Zubereitung oder beim Aufwand, wo der Gast dann sagt: Boah, wie hat er das so perfekt hingekriegt?

Hat Instagram Ihre Küche beeinflusst?
Nein, wir richten ein Gericht nicht anders an, aus Angst, jemand könnte es auf Instagram posten. Wir sind längst nicht perfekt, bei uns passieren genügend Fehler, und zu denen stehen wir auch.

Ihre Küche scheint irgendwie zu klein für die Brigade.
Die Infrastruktur ist ein Problem. Die Küche ist keine 20 Quadratmeter gross. Am Anfang, mit einem Stern und drei Köchen, ging das gut, aber mittlerweile stehen wir zu siebt darin. Man muss sich zu helfen wissen. Wir reichen die Dinge von einem Koch zum anderen weiter, vieles werfen wir uns zu. Abends ist es leichter, da es während des Services immer die genau gleichen Arbeitsschritte sind. Und es gibt Pläne, die Küche zu erweitern.

Wie stehts eigentlich um die Rentabiliät der Restaurants?
Nächste Frage (lacht). Unser Ziel ist es, eine schwarze Null aufs Papier zu bekommen. Aber es ist verdammt schwierig. Nur schon wegen der Luxusprodukte, die wir auf der Karte haben. Dazu kommt der hohe Mitarbeiteraufwand. Viele Dinge sind auch schlicht nicht messbar. Es ist zum Beispiel nicht klar, wie viele Gäste explizit wegen des Ecco anreisen und deshalb auch im Hotel übernachten.

Sie sprechen viel in der Wir-Form.
Das höre ich oft. Ich spreche vom Wir, weil es einfach ein Wir ist. Auch wenns darum geht, mich selbst zu hinterfragen. Da ziehe ich meine Mannschaft gerne zu Rate. Wir entwickeln die Sachen gemeinsam. Und so wie ich von Wir spreche, hoffe ich, dass meine Köche das Ecco als Teil von sich sehen. Deswegen ist es mir wichtig, dass jeder stark eingebunden ist.

Wie lautet ihre Führungsphilosophie?
Wir sind ein lustiger Haufen und pflegen keine klassische Hierarchie, wie man sie etwa von den französischen Sterne-Restaurants kennt. Das Verhältnis ist sehr freundschaftlich. Auch bei der Auswahl eines neuen Mitarbeiters geht es nicht nur um seine Qualifikationen, er muss auch zu uns passen, aufgeschlossen sein. Wenn jemand zwölf Stunden am Tag nur aufs Schneidebrett schaut und nicht gerne lacht, ist er bei uns nicht gut aufgehoben.

Sie kommen von der Wintersaison in St. Moritz. Wie wars?
Die Bedingungen in den Bergen sind schwieriger, vor allem was das Gemüse anbelangt. Persönlich bin ich nicht so der Wintermensch, mir gefällts am Lago besser als in den Bergen. Dennoch ist St. Moritz extrem wichtig für uns, nur schon, weil wir unseren Mitarbeitern dadurch Zehn-Monats-Verträge bieten können. Die Gäste im Ecco St. Moritz sind anders, aber auf ihre eigene Art und Weise sehr spannend.

Beschreiben Sie die Klientel.
Über die Weihnachtszeit haben wir sehr viele arabische, chinesische und russische Gäste. In den Sportferien wiederum kommen viele Schweizer und Deutsche zu uns. Im Gegensatz zu Ascona werden in St. Moritz öfter mal eine Tomatensuppe oder ein gemischter Salat bestellt.

Im Zwei-Sterne-Restaurant?
Ich erkläre das meinen Jungs immer so: Diese Gäste kommen eine Woche in die Berge und können sich die besten Restaurants leisten. Aber man kann nicht sieben Tage in Folge die grosse Oper essen, und daraus resultieren dann solche Bestellungen ausserhalb des Menüs. Wir machen natürlich auch sehr gute Salate, aber zu Beginn waren wir oft nicht darauf vorbereitet. Mittlerweile haben wir auch diesbezüglich viel Erfahrung.

Rolf Fliegauf (37) wuchs in einem kleinen Restaurant in Nördlingen in Bayern auf. Es stellte sich nie die Frage, welchen Beruf er dereinst ergreifen soll. Nach der Kochlehre in einem einfachen Tagungshotel heuerte Fliegauf 2000 in der Traube Tonbach in Baiersbronn an. 2003 zog er in die Schweiz und wurde unter Küchenchef Urs Gschwend im Hotel Lenkerhof zuerst Chef de Partie und später Souschef. 2007 eröffnete er als Küchenchef das Gourmetrestaurant Ecco im Fünf-Sterne-Hotel Giardino in Ascona und erhielt für seine molekular ausgerichtete Küche gleich im ersten Jahr einen Michelin-Stern. 2010 verabschiedete sich Fliegauf von der molekularen Küche und wurde 2011 der jüngste Koch Europas mit zwei Sternen. Im Dezember des gleichen Jahres bestritt Fliegauf mit seiner Brigade erstmals die Wintersaison im Restaurant Ecco in Champfèr bei St. Moritz. 2015 öffnete im Zürcher Fünf-Sterne-Hotel Atlantis by Giardino ein weiteres Ecco-Restaurant unter der Leitung von Stefan Heilemann seine Tore. Heilemann, mittlerweile ebenfalls mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet, und Fliegauf verfolgen dabei die gleiche Philosophie, die sogenannte Ecco-Küche. Rolf Fliegauf ist seit dem Mai 2016 verheiratet, hat einen drei Jahre älteren Bruder, fährt nicht Ski, reist dafür unglaublich gern in ferne Länder.

Restaurant Ecco,
Hotel Giardino, Via del Segnale 10, 6612 Ascona, 091 785 88 88
www.giardino-ascona.ch



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