Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Gewürz – oder ein Gericht – entwickeln?
Am Anfang steht die Inspiration. Die kommt auf vielen Wegen: auf Reisen, über Gerichte von anderen Köchen, aus Büchern, oft auch beim Musikhören oder Schwimmen. Zuerst erstelle ich eine Liste, auf der ich grob zusammenfasse, was ich mir vorstelle: In welche Richtung geht die Kreation, welche Zutaten spielen eine Rolle? Dann experimentiere ich in der Küche. Meistens kommt es zuerst anders raus, als ich es mir vorstellte. Das ist ein Prozess.
Wie viel Bestätigung brauchen Sie dabei von aussen?
Durch die Selbstständigkeit bekomme ich davon nicht wahnsinnig viel. Als Angestellter war das anders. Im Hiltl entwickelte ich auch Rezepte – aber die wurden dann von einem Gremium analysiert. Heute ist meine Partnerin die Erste, die meine neu entwickelten Gerichte probiert. Wobei ich natürlich versuche, sie zu verschonen, wenn es gar nicht schmeckt.
Sind Sie grundsätzlich ein Einzelkämpfer?
Im Gegenteil. Ich musste mir sogar schon anhören, ich sei wie ein Pferd im Rennstall, das alles um sich herum braucht, damit es Gas geben kann. Das war damals zwar als Kompliment verpackt, aber so sicher bin ich mir da nicht. Ich glaube, dass ich von der Selbstständigkeit auch deshalb profitiere, weil ich die Erfahrung mache, selber für alles verantwortlich zu sein. Und ich geniesse die Zeit, die ich für mich habe, um an meinen Ideen zu feilen. Aber ich freue mich auch auf den Moment, wenn wieder Projekte stattfinden und ich mehr Austausch habe.
Dabei beharren Sie auf einer gewissen Ernsthaftigkeit.
In meinen Kursen suche ich schon eine echte inhaltliche Auseinandersetzung. Für ein bisschen Party und ein bisschen Kochen ist das Thema zu spannend. Hülsenfrüchte, Gemüse, Früchte und Getreide lassen sich schier unendlich kombinieren. Da braucht es eigentlich gar keine Optionen, die an Fleisch erinnern.
Eigentlich?
Für mich darf es schon mal eine Fleischalternative sein. Denn Essen ist auch Geborgenheit. Wir alle erinnern uns gern an die Leibspeisen unserer Kindheit, und in unseren Breitengraden spielt Fleisch da oft eine Rolle. Da sind vegane Fleischalternativen sinnvoll. Für mich ist es der Fleischkäse mit Kartoffelsalat meiner Mutter. Das ging so weit, dass sie mir jeweils eine Portion davon in die Wohnung stellte, wenn ich von meinen Reisen heimkam. Heute bereite ich mir eine Alternative auf der Basis von Weizengluten und Räuchertofu zu, mit der ich sehr glücklich bin. Und den Kartoffelsalat kriege ich inzwischen auch so cremig hin, wie er in meiner Kindheit war.
Fleischalternativen werden sich noch viel stärker etablieren, sagen Sie.
Davon bin ich überzeugt. Dass die Leute noch immer so viel Fleisch essen, hängt auch damit zusammen, dass es bequem ist. Ein Gemüsegericht ist in der Zubereitung unter Umständen aufwendiger. Wenn es irgendwann Produkte auf dem Markt gibt, die genauso gut schmecken und im Handling ebenso simpel sind, aber ohne tierische Komponenten auskommen, setzen sich diese sicher in der breiten Masse durch. Ich zum Beispiel wäre mega happy, wenn es am GC-Match einen richtig geilen veganen Burger gäbe.
Zeit für einen Exkurs: Fussball spielt in Ihrem Leben eine nicht ganz unwichtige Rolle.
GC gehört zu meinem Leben, ich bin von Kindesbeinen an an den Matchs im Hardturm-Stadion, die blau-weisse DNA ist in meinem Blut. Klar, was da in den letzten Jahren beim Verein lief, ist alles andere als gut, aber ich bin ein loyaler Mensch. Fabian Fuchs, Küchenchef im Equitable, und ich nennen uns gern die letzten Mohikaner, weil wir dem Club die Treue halten und in den letzten Jahren viele Spiele zusammen besuchten. Im Stadion philosophieren wir, tauschen uns aus – auch übers Kochen. Aber ganz ehrlich: Fussball hilft mir zudem einfach, den Kopf mal frei zu machen. Ich kann loslassen und die Verantwortung abgeben.
Die ist für Sie als Selbstständiger ein grosses Thema. Fühlen Sie sich wohl damit?
Es ist nicht immer lustig, klar, aber für mich passt die Situation so. Am Anfang sagten mir viele, ich solle das besser nicht wagen, dass das nie so rauskommen werde, wie ich mir das vorstelle. Und natürlich ist es anders. Aber: Vieles, was ich mir vornahm, liess sich tatsächlich realisieren, dazu entstand Neues. Ich werde auch heute noch oft gefragt, ob ich denn Geld verdiene mit dem, was ich tue.
Und?
Natürlich, ich muss ja auch Rechnungen bezahlen. Und ich bin dankbar, in der Situation zu sein, dass die Aufträge, die ich annehme, auch mit meiner Philosophie übereinstimmen.
Gibt es denn ein Wunschprojekt?
Ich würde gern noch ein Buch in Angriff nehmen, vielleicht zum Thema Hülsenfrüchte – da sehe ich viel Potenzial. Ich arbeite oft damit, als Beilage zum Gemüse, das die Hauptrolle spielt.
Gemüse ist Ihr Steckenpferd. Was können Sie zu diesem Thema abschliessend sagen?
Die Gemüseküche ist nicht nur wahnsinnig spannend, sie hat sich auch stark verändert. 1810 schrieb der Autor von «Almanach des Gourmands»: «Denn ein Mann, der wirklich des Titels eines Feinschmeckers würdig ist, betrachtet Gemüse und Obst immer nur als Mittel zum Zähnereinigen und Mundspülen, nicht aber als Erzeugnisse, die befähigt wären, einen starken Appetit zu stillen.» Davon sind wir heute zum Glück weit entfernt. In meiner Lehrzeit erlebte ich aber noch, dass als Gemüsegerichte die immer gleichen drei Klassiker hinhalten mussten. Und auch heute scheint Gemüse für manchen Koch eine grosse Herausforderung in Sachen Kreativität, Saisonalität, Zubereitung, Geschmack und Präsentation zu sein. Da versuche ich, Unterstützung zu bieten – damit das Gemüse noch öfter die Nummer eins auf dem Teller ist.