Alte Landmimose

Ohne die berüchtigte Walliser Sturheit gäbe es den Cornalin nicht mehr. Die rote Diva ist ein Essensbegleiter mit Charisma. Würde die Sorte entsprechend beworben, hätte sie das Zeug zum internationalen Star.
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: z.V.g.
Veröffentlicht: 11.02.2020 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2020

«Es gibt immer mehr Connaisseure, die sich für diese Sorte interessieren.» 

Cornalin ist nicht gleich Cornalin, aber das ist sein geringstes Problem. Schwerer wiegt, dass die Sorte weder einfach anzubauen noch zu verstehen ist. Hat der Winzer Pech, keltert er nur kleine Mengen und zahlt drauf. Hat der Weintrinker Pech, bekommt er einen eher hellen, nicht allzu tiefgründigen und recht rustikalen Wein, der merkliche Säure aufweist und niemanden vom Hocker reisst. Kein Wunder, dass manche Winzer sorgenvoll schauen, spricht man sie auf den Walliser Veteran an. «Wir ernten gerade heute den letzten Cornalin», sagt Olivier Mounir von der Cave du Rhodan auf unsere Anfrage im letzten Herbst. Schönes Mostgewicht, gute Säure, auch die Farbe stimme. Aber die Menge! Nach 2018 (gut!) eine eher überschaubare Ausbeute. «Alternierende Erträge sind aber normal bei dieser Mimose», seufzt Mounir. Für die Situation vor zwei Jahren jedoch konnte der Cornalin selbst wenig. «2017 war sehr schwierig», so Denis Mercier, einer der profiliertesten Cornalin-Macher. Damals hatte der Frost zugeschlagen, man kann den Jahrgang nur in homöopathischen Mengen bekommen.

Verständlich, dass die einst als Alter Landroter bezeichnete Sorte vor ein paar Jahrzehnten vor dem Aussterben stand. Moderne Sorten waren angesagt, solche, die mehr Ertragssicherheit boten. Ein pfiffiger Walliser kam damals auf den Gedanken, den Namen zu ändern. Cornalin klang doch gut und war ja schon bekannt – nicht im Wallis, sondern im Aostatal. Erst später fand man heraus, dass der dortige Cornalin im Wallis als Humagne Rouge bekannt ist und mit dem Alten Landroten, einer Kreuzung aus Mayolet und Petit Rouge, nicht identisch ist. Ein Verwirrspiel.


Sarah, Gérald und Patricia Besse keltern Cornalin mit verblüffender Eleganz.
Olivier und Sandra Mounir von der Cave du Rhodan können mit der Mimose Cornalin umgehen.
Der Cornalin von Madeleine, Denis und Anne- Catherine Mercier ist immer schnell ausverkauft.

Dass sich die Bestände wieder erholt haben, ist weniger dem Namenswechsel als vielmehr der Beharrlichkeit weniger Erzeuger zu verdanken. Mercier pflanzte die schon im Mittelalter bekannte Sorte Mitte der Achtziger an und schafft es als einer der wenigen Winzer, den Barriqueausbau (wenig neues Holz!) so zu justieren, dass Struktur und Würze die Finesse nicht überdecken. Anders sieht es in der Cave du Rhodan aus. Biodynamisch arbeitet Winzer Mounir beim Cornalin namens Domaine Trong, lässt die Maische spontan gären und baut im Stahltank aus. Nichts soll die Frucht des Weins beeinflussen. Das Ergebnis duftet nach Kirschen, reifen roten Beeren, besitzt Länge und knackige Säure. Allzu dunkel sind auch die Cornalins von Jean-René Germanier kaum, aber nach zehn und mehr Jahren verschmelzen Säure, Frucht und Würze zu einer unvergleichlichen Melange. Er passt zu vielen Fleischgerichten, zu denen andere Rotweine zu mächtig wirken. Wildgeflügel und Cornalin? Muss man ausprobieren. Anna-Lena Junge, Sommelière auf Schloss Schauenstein in Fürstenau, kann ihn sich allerdings auch zu Geschmortem vorstellen, empfiehlt ihn sogar zu Deftigem. «Zu Gerstensuppe oder Bündner Platte.»

Er scheint nicht nur eine Diva zu sein, sondern auch ein Chamäleon. Und ein Profiteur der aktuellen Situation. Man könne gewissermassen sagen, die Sorte sei an den Klimawandel angepasst, findet Mercier. Warme Lagen, in denen es für den Pinot noir zu hitzig wird, passen dem spätreifenden Cornalin gut. Die Rebfläche hat sich von fast nichts auf heute mehr als 150 Hektar vergrössert, allerdings nennt die Statistik ausserhalb des Wallis nur winzigste Flächen in Genf und Tessin. Die Zukunft? Scheint rosig. «Es gibt immer mehr Connaisseure, die sich für diese Sorte interessieren», so Mercier. Würde sie, zusammen mit ähnlich divenhaften Schweizer Compagnons wie etwa Completer, Humagne Rouge oder Lafnetscha, auch ausserhalb des Landes als spannende eidgenössische Spezialität vermarktet, könnte man wohl von einem Boom sprechen.

Schweizer Weinraritäten trinken – aber wo?

In manchen Lokalen muss man ganz schön suchen, um Cornalin und andere spannende Schweizer Weine zu entdecken. Doch einige Wirte haben sich einen Namen gemacht für Weinkarten, die die heimische Rebkultur in ihrer ganzen Breite abdecken. Das eine oder andere Gourmetrestaurant ist darunter, aber auch engagierte Hotels und Insider-Beizen trumpfen auf. Manchmal findet der neugierige Weintrinker dort sogar Raritäten, die beim Winzer selbst schon lange ausverkauft sind.

• Cornalin von Denis Mercier in mehr als einem halben Dutzend Jahrgängen ab 2001:
Frutt Lodge in Melchsee-Frutt, fruttlodge.ch

• Regionalität als Grundprinzip und viele spannende Schweizer Weine:
Wirtschaft zum Neumarkt in ZĂĽrich, wirtschaft-neumarkt.ch

• Grossartige Waadtländer Weine, Kooperationen mit Winzern und kompetente Empfehlungen von Sommelière Nathalie Ravet:
L’Ermitage des Ravet in Vufflens-le-Château, ravet.ch

• Walliser Weine zum Fondue, darunter natürlich der berühmte Gletscherwein:
Chez Crettol in KĂĽsnacht, 044 910 03 15

• Die wohl weltbeste Auswahl an Cornalins und viele andere Walliser Weine:
Château de Villa in Sierre, chateaudevilla.ch

Die besten Cornalin-Erzeuger der Schweiz

• Denis und Anne-Catherine Mercier, mercier-vins.ch

• Domaine Jean-René Germanier, jrgermanier.ch

• Cave du Rhodan, rhodan.ch

• Gérald Besse, besse.ch

• Domaine des Muses, domainedesmuses.ch

• Marie-Thérèse Chappaz, chappaz.ch



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