20.11.2016 Salz & Pfeffer 1/2016

Achtung: Ein Mangel an Warnhinweisen kann Ihre Gesundheit gefährden

Text: Monsieur Tabasco
Laut international renommierten Medien wie «20 Minuten» gibt es in New York neuerdings nicht wenige Speisekarten, auf denen bei manchen Gerichten ein kleines Icon mit einem Salzstreuer vor einem hohen Salzgehalt warnt. Das ist hilfreich. Zum Beispiel für Mitmenschen mit einer gehörlosen Zunge im Mund.
tabasco_wall2.jpg

Oder für Mitmenschen, die das Gehirn unter ihrer Schädeldecke lediglich im Teilzeitpensum beschäftigen. So wissen sie sofort: Hoppala, jetzt wollte ich Pommes frites, aber Jesses, die sind ja gesalzen, das hat man so noch nicht gehört, schon wieder was gelernt, dann doch lieber ein besonders salzarmer Frozen Yoghurt XXL. Und warum nicht eine dicke zwölfsprachige Salzwarnung auf dem Salzstreuer? Es würde die Sterberate bei jener Konsumentengruppe senken, die das Frozen Yoghurt XXL mit Streusalz etwas auftauen will.

Klar, New York ist weit weg und die Amerikaner sind das auch. Aber Bern ist nicht weit weg und Nationalrat Manuel Tornare auch nicht. Der sozialdemokratische Volksvertreter aus Genf sagte laut «20 Minuten» zu «20 Minuten»: «Dass die Restaurants vor Speisen mit hohem Salzgehalt warnen, halte ich für unumgänglich. » Und dass er einen Vorstoss im Nationalrat plane, der entsprechende Warnhinweise für Gerichte in Restaurants und Fertigprodukte in Läden verlange.

Nun mag man spotten über die Warnrufer bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, über all ihre furchtbar erregten Krebse und die übrigen unerfreulichen Begleiterscheinungen ungesunden Ernährungsverhaltens. Und man mag spotten darüber, dass US-Amerikaner stets zur Bestform auflaufen, wenn sie gewarnt sind. Vor Salz und Gluten, Sonne und Regen, Cholesterin und Kohlehydraten, Demokraten und Republikanern, Zucker und Fett, Muslimen und Kommunisten, denn all das sind Gefahren, und wenn es gefährlich wird, dann stehen Amerikaner zusammen und stramm, drucken Warnhinweise und stellen ihren Kindergärtlern die Schusswaffen entsichert bereit, weil sie nichts lieber tun, als einem gesunden Überlebensstil zu frönen.

Der Überlebenssinn hat mit dem ausgeprägten Geschichtsbewusstsein der Amerikaner zu tun. Ihnen ist präsent, dass unsere Vorfahren keine Warnhinweise auf ihren Nahrungsmitteln hatten. Und man sieht ja, was aus unseren Vorfahren geworden ist. Sie sind gestorben. Allesamt und ausnahmslos. Sie sassen in der Hütte am offenen Feuer und keiner warnte sie vor dem Feinstaub in der Luft. Sie starben. Sie pökelten ihre Nahrungsmittel und keiner warnte sie vor dem Salz. Sie starben. Sie butterten ihre Brote und keiner warnte sie vor den Kohlehydraten, geschweige denn vor den ungesättigten Fettsäuren. Sie starben. Sie brieten Kartoffeln und wussten nichts von Acrylamid. Sie starben allesamt und ausnahmslos.

«Man sieht ja, was aus unseren Vorfahren geworden ist. Sie sind gestorben.»

Hätten im Wald die Wildschweine auf der Flucht vor unseren Vorfahren ein Schild in die Höhe gestreckt mit der Aufschrift «Achtung, rotes Fleisch erhöht das Krebsrisiko», die Jäger hätten die Viecher laufen lassen und sich fünf Portionen Januar-Äpfel pro Tag gepflückt. Ausser natürlich wenn ein eingekerbter Hinweis auf dem Baumstamm vor der Zersetzung des Zahnschmelzes durch zu viel Fruchtsäure gewarnt hätte. Aber nein, sie gingen elendiglich zugrunde an akutem Warnhinweismangel.

Verantwortlich dafür ist die Evolution. Auch sie hat nur Teilzeit gearbeitet und im dümmsten Moment frei gemacht, nämlich genau während der Erfindung des Menschen, in der ersten Entwicklungsphase, als sie seine Körpersignale und sein Gehirn miteinander vernetzte. Da muss es zu einer Fehlentwicklung gekommen sein. Deshalb glaubten unsere Vorfahren, dass ihr Körper zu ihnen spreche und dass sie aus Erfahrung lernen würden. Hunger hielten sie allen Ernstes für einen Ruf ihres Körpers nach Nahrung. Einen trockenen Mund deuteten sie als Bitte um Flüssigkeit. Wenn sie froren, dann glaubten sie, ihr Körper brauche Wärme, und einen Sonnenbrand verstanden sie als Bitte um ein Schattenplätzchen.

War etwas fad, dann salzten sie. Und sie stellten einen Zusammenhang her zwischen versalzenem Essen und nachfolgendem Durst. Verbrannten sie sich an der Suppe die Zunge, dann schlürften sie erst weiter, wenn die Suppe bis auf eine magenverträgliche Temperatur abgekühlt war. Und war die Gazelle schneller und sie mussten sich bei Kilometer drei übergeben, dann dachten sie nicht noch bis Kilometer vier über ihre Herzfrequenz nach, sondern legten eine Pause ein, bis Magen und Lunge sich erholt hatten. Diese armen Siechen hatten weder Fitnesstracker noch Warnhinweise, sie waren ganz allein auf sich selber gestellt und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf irgendwelche primitiven Signale ihres Körpers zu hören und aus der Erfahrung zu lernen. Das taten sie und starben dran, allesamt und ausnahmslos.

Uns soll es besser gehen. Wir haben Fitnesstracker und Warnhinweise und sind nicht mehr darauf angewiesen, auf unseren Körper zu hören. Wir befassen uns jährlich mit Kontrolluntersuchungen, wöchentlich mit den erregten Krebsen bei der WHO, täglich mit Warnhinweisen und stündlich mit Fitnesstrackermeldungen. Sterben war gestern. Und es fühlt sich doch gut an, wenn man jeden Abend auf den Futon steigt im Wissen um den Salzhaushalt, der auch heute wieder ausgeglichen war, der WHO und ihren Gläubigen sei Dank. Und ins Restaurant geht man ja schliesslich auch, um gesund zu bleiben, und nicht etwa, um profan zu geniessen, wonach einem der Sinn steht, gell.