«Ein handgemachtes Roggenbrot schmeckt nach zwei, drei Tagen fast besser als am Anfang.»
Einen Spross von Santa Maria Val Müstair kennt hierzulande jeder: Dario Cologna, der berühmte Skilangläufer, stammt aus dem 350-Seelen-Dorf, das entrückt am Rand des Nationalparks in den Bündner Bergen liegt. Im Sommer ziehen hier die Touristen in Scharen durch die engen, malerischen Gassen, dann brummt das Geschäft und gehen im Meier-beck die einst vom «Kassensturz» ausgezeichnete Nusstorte oder der sagenhaft saftige Marronikuchen im Weckglas über den Ladentisch, als seien sie warme Weggli.
Der Meier-beck ist in Santa Maria eine Institution. 1973 übernahmen Meinrad und Verena Meier die kleine Bäckerei und bauten sie mit Hartnäckigkeit und Herzblut zu einer Art Dorfimperium aus, zu dem heute auch ein Spezialitätenladen mit Produkten aus der Region, ein Restaurant mit Sonnenterrasse, ein Café und sogar ein Supermarkt gehören. Seit 2013 führen Tochter Lucia Meier und ihr Partner Giancarlo Marco De Santis das Business. Sie ist gelernte Kleintierpflegerin, er stammt aus Luzern und ist Verkäufer sowie auf Mosaike spezialisierter Plattenleger mit einem Abschluss an der Kunstgewerbeschule und einem erklärten Hang zu allem Kulinarischen. Zwei Branchenfremde am Steuer – kann das gut gehen? Die beiden beweisen es: Sie halten im Meier-beck die Traditionen hoch und verbinden diese mit frischen Ideen, die in kreativen Köpfen entstehen, denen der Mut nicht fehlt, auch unkonventionelle Wege zu gehen.
Eine der langjährigen Traditionen im Hause Meier ist das Roggenbrot. Früher wurde es in den Münstertaler Dörfern einmal im Monat in Form grosser Fladen gebacken und anschliessend getrocknet, zerhackt und unter den Bewohnern aufgeteilt. Beim Meier-beck lag es vom ersten Tag an in den Regalen, hergestellt nach einem Rezept, das so alt ist, dass es keiner datieren kann. Bestens überliefert ist hingegen die Geschichte, wie in Santa Maria das Bergroggenbrot (wieder) aufkam. Das ist nämlich Meinrad Meiers Verdienst, der beschloss, er wolle der Tradition noch mehr Rechnung tragen und den Roggen für seine Brote wie frühere Generationen aus dem Münstertal beziehen. Gemeinsam mit Bauer Johannes Fallet in Müstair begann er, das Getreide anzubauen. Die ersten Versuche mit konventionellen Sorten aus dem Unterland scheiterten allerdings kläglich. Erst die Pro-Specie-Rara-Samen vom Bergroggen kamen mit den Bedingungen im Val Müstair klar.
Seit 2008 bäckt man beim Meier-beck also wieder mit der Ursorte. Lucia Meier schwärmt vom Bergroggen: «Er ist ein Korn mit einem starken Charakter und einem urchigen Aroma», sagt sie. Und er sei lange haltbar. «Tatsächlich schmeckt ein handgemachtes Roggenbrot nach zwei, drei Tagen fast besser als am Anfang, weil sich das Aroma des Korns mit der Zeit erst entfaltet.» Dass der Meier-beck mit seinem Bergroggenbrot einer guten Sache auf der Spur war, erkannten auch die Verantwortlichen von Slow Food auf Anhieb. Sie zeichneten das Paun sejel als charakteristisches Doppelfladenbrot aus 70 Prozent Bergroggen- und 30 Prozent Weizenmehl als Presidio aus. Hauptabnehmer ist der Grossverteiler Coop: «Allein für dessen Slow-Food-Brote verarbeiten wir jährlich 32 Tonnen Bergroggenmehl», sagt De Santis. Total werden in seiner Backstube rund 40 Tonnen davon verbacken.
Dass die Spezialitäten des Hauses ins ganze Land gehen, ist man sich beim Meier-beck gewöhnt: «80 Prozent verlassen das Tal», sagt Lucia Meier. Nichtsdestotrotz liegt ihr Fokus auf der Heimat – vor allem wenn es um den Bezug von Lebensmitteln geht. Nicht nur der Bergroggen und der Weizen stammen aus dem Val Müstair, sondern in der Regel auch Honig, Eier, Milch, Butter und Rahm. «Wir nehmen so viel wie möglich von hier – und sonst von so nah wie möglich», so De Santis. Nun mag Nachhaltigkeit mittlerweile ein Unwort sein – viel zu oft bemüht, viel zu selten verstanden –, im Fall vom Meier-beck ist sie im wahrsten Sinne des Wortes aber zentral. Immerhin brachen De Santis und Meier ihre Zelte im Unterland ab, um das Fortbestehen des elterlichen Betriebs in der Abgeschiedenheit der Bündner Berge für kommende Generationen zu sichern. Und ein sorgfältiger Umgang mit der Natur und ihren Rohstoffen scheint den beiden ein ehrliches Anliegen. Nicht zuletzt erklärt sich daraus De Santis Idee, das Bergroggenbrot über den Laib hinaus zu verwerten: Seit etwas mehr als drei Jahren braucht man beim Meier-beck nämlich auch die Reste des beliebten Slow-Food-Brotes.