«Den Hauptgang als Krönung zu bezeichnen, würde nahelegen, dass er die anderen Gänge an Raffinesse übertrifft. Das ist nicht das Ziel.»
Vorspeise, Hauptgang, Dessert – dieser Trilogie folgt in aller Regel die Speisenabfolge, wie sie in Restaurants und Privathäusern am geläufigsten ist. Lehrbücher bezeichnen sie auch als modernes Menü, hervorgegangen als abgespeckte Version des klassischen Menüs nach französischer Vorlage. Kommt dieses zum Zug, ist der Spass nach drei Speisen bekanntlich noch lange nicht zu Ende. So sind acht bis mitunter sogar zehn Gänge in der Spitzengastronomie keine Seltenheit. Gemeinsam ist Durchschnittsbeiz und Sterne-Restaurant, dass der Gast den Hauptgang traditionellerweise als Krönung im Speisegefüge begreift.
Die Frage, was sich als Höhepunkt noch anbietet, wenn bereits fünf Gänge ins Land gezogen sind, dürfte Sterne-Köche umtreiben. Wie lösen sie diese Herausforderung? Geht es nach Heiko Nieder vom The Restaurant im Zürcher Luxushotel Dolder Grand, gilt es zunächst einmal, ein Missverständnis zu klären: «Den Hauptgang als Krönung zu bezeichnen, würde nahelegen, dass er die anderen Gänge an Raffinesse übertrifft. Das ist nicht das Ziel: Jeder Gang sollte geschmacklich vollendet und somit gleichwertig sein.» Der Hauptgang habe in der Speiseabfolge allerdings eine wichtige dramaturgische Funktion: «Er stellt, was die Intensität der Geschmäcker betrifft, den Höhepunkt wahr, während die Gänge davor diesen Spannungsbogen langsam aufbauen. Den Hauptgang soll der Gaumen als besonders dicht und maximal aromatisch wahrnehmen.» Dafür setzt Küchenchef Nieder sowohl bei Fleisch als auch Gemüse gerne auf Geschmortes, Reduktionen und kräftige Gewürze, «richtige Umami-Bomben». Und er reduziert – auch bereits im Gang davor – die Säure: «Sie tut schweren Weinen nicht gut.» Ein Hauptgrund dafür, dass Nieder an der klassischen Speiseabfolge mit prominentem Hauptgang festhält, ist denn auch das Anliegen, den Wein gebührend in Szene zu setzen: «Der Hauptgang ist der Zeitpunkt für kräftige, charaktervolle Weine, deren Auftritt ich nicht dem Zufall überlassen will.»