«Der Kochberuf hat nur mit Liebe zu tun.»
Darf man schwarz auf weiss feststellen, dass einer schlicht eine grosse Klappe hat? Bei Reto Hasler lässt sich das kaum vermeiden. Der 28-jährige Küchenchef des «Dieci al Lago» in Rapperswil klopft Sprüche, wie er kocht: mit Hingabe, Inbrunst und Tempo, frisch, frech und frei, laut und leidenschaftlich. Auf dem Teller macht das ungeheuer Spass. Das scheinen auch die Tester von Gault & Millau so zu sehen, bedachten sie ihn heuer doch mit einem 15. Punkt. Hasler freuts, wobei er null Bereitschaft zeigt, sich deswegen zu verbiegen. Überhaupt mag er sich in keine Schublade stecken lassen und experimentiert zwar lustvoll über die Grenzen sämtlicher Kochstile hinweg, bleibt dem soliden Handwerk aber treu. Anders, frotzelt er, seien sowieso die Andern. Und dann zeigt er im Interview, dass er auch selbst mehr als eine Seite hat. Im Nu sind Schenkelklopfer oder derbe Witze verflogen und offenbart sich ein ernsthafter junger Mann mit klaren Visionen.Wieder spricht Reto Hasler so, wie er kocht.
Sie führen in jungen Jahren ein Punktelokal, ohne dass Sie sich in Ihrer Karriere je einmal um eine Stelle beworben hätten. Wie geht das?
Reto Hasler: Ich rutschte in meine Position einfach rein. Eigentlich wollte ich nicht einmal Koch werden, sondern befolgte lediglich den Rat meiner Mutter, in einer Küche zu schnuppern. Nach der Lehre im «Frohberg» bei Ewald Mandl wechselte ich direkt ins «Dieci al Lago». Hier lernte ich meinen Meister kennen: Der damalige Küchenchef Rino Cariglia zeigte mir, was Kochen bedeutet, wie viele Emotionen dabei eine Rolle spielen. Er lehrte mich: Der Kochberuf hat nur mit Liebe zu tun. Ohne die kommt man nicht weit. Fünf Jahre arbeitete ich unter ihm, dann ging er ins Schloss Rapperswil und ich wurde gefragt, ob ich bereit sei, seine Nachfolge anzutreten. Ich war 24.
Und was antworteten Sie?
«Na klar, parat geboren», sagte ich. Aber bald stellte sich heraus, dass ich alles andere als bereit gewesen war.
Woran machen Sie das rückblickend fest?
Ich hatte keine Ahnung von Teamführung. Doch plötzlich waren mir Leute unterstellt, und ich ging damit völlig falsch um, legte einen sehr harten Ton an den Tag, schrie und schmiss Dinge in der Küche herum. Ich trat die Arbeit schon mit einem gewissen Aggressionspegel und zitternden Händen an. Bis ich merkte: Das macht mich kaputt, ist alles zu viel, die Menschen verlieren den Respekt vor mir, halten mich bloss noch für einen schrecklichen Choleriker. Zu lernen, wie man mit einem Team umgeht, war eine wichtige – und schwierige – Lektion für mich. Denn ohne Team bin ich nichts.
Wie beschreiben Sie Ihren Führungsstil denn heute?
Ruhig, denn ohne Ruhe ist keine Präzision möglich. Wer verunsichert oder gestresst ist, wer zittert, der macht Fehler.
Sie sprechen aus Erfahrung.
Absolut, das habe ich in meinen Anfängen als Küchenchef ja selbst erlebt. Und gleichzeitig musste ich damals meinen Kochstil entwickeln, brauchte plötzlich eine eigene Handschrift. Dabei hatte ich gerade mal in zwei verschiedenen Küchen gearbeitet.
Sie sagen es selbst: Besonders viel haben Sie von der Kochwelt bislang nicht gesehen. Möchten Sie das nachholen?
Das ist eine schwierige Frage. Am Punkt, an dem ich heute bin, weiss ich echt nicht, ob ich mich noch unterordnen kann und ob das wirklich nötig ist. Immerhin ist alles, was ich bisher erreicht habe, auf meinem Mist gewachsen: Ich hatte kaum die Gelegenheit, andere zu kopieren, musste mein eigenes Ding finden. Ich besitze weder Kochhefte noch Kochbücher und esse praktisch nie auswärts ...
Woher kommt dann die Inspiration?
Das weiss ich wirklich nicht. Vielfach entstehen meine Ideen, wenn ich mit befreundeten Köchen ausgehe, wir übers Kochen reden, uns mitten in der Nacht an den Herd stellen und rumprobieren. Da kommen extrem gute Sachen heraus – und wenn man die am nächsten Morgen noch weiss, ist es umso besser. Manchmal wache ich auch auf und notiere, was mir in den Sinn gekommen ist. Grundsätzlich sind die Kombinationen, die wir im «Dieci» machen, aber ohnehin nicht von zu weit hergeholt. Ich möchte das kochen, was schon meine Mutter kochte.
Ihre Mutter spielt eine entscheidende Rolle in Ihrem Leben.
Sie erkannte sehr früh, dass ich kreativ bin, und unterstützte mich darin immer. Als Kind malte ich viel, und ich bastelte. Durch meinen Vater fand ich früh den Weg zur Informatik. Später schnupperte ich in diversen Berufen, aber nichts passte. Eines Tages, als wir gerade zusammen kochten, schlug meine Mutter vor, ich solle doch mal in einer Küche schnuppern. Und hier bin ich.
Zurück zur Kreativität: Wie viel auf dem Teller stammt von Ihnen, wie viel vom Team?
Wie ein Gericht auf den Teller kommt, hängt mehrheitlich von mir ab – darauf habe ich auch hingearbeitet. Aber ich zwänge nichts gegen den Willen des Teams durch. Wenn eine Idee meinen Kollegen nicht passt – wie soll sie dem Gast gefallen? Immerhin hege ich den Anspruch, dass der Gast mein Lokal mit einem «Wow» verlässt. Wenn einer am Ende sagt, es sei gut gewesen, habe ich etwas falsch gemacht. Das reicht mir nicht. Gut sind viele, kochen können wir als ausgebildete Profis alle – was zählt, sind die Details, ist der «touch of magic», der Hauch von Säure, der im Gaumen den Unterschied macht, sind die kleinen Feinheiten.