«Brennen ist das eine, Verkaufen das andere.»
Wer Kultschnaps aus Trauben haben will, muss Ebay abonnieren. Italienische Grappas der edelsten Sorte gibt es dort stets in reicher Auswahl, auch jene mit dem berühmten handgemalten Etikett, dem von Romano Levi. Für jenen der Kategorie drei, auf dem stets eine stilisierte Frau zu sehen ist, werden aktuell 495 Euro aufgerufen. Grappa halt. Eine Legende eben. Kenner, die sich von ihren Vorurteilen befreit haben, geben unter der Hand zu, dass der Levi-Inhalt eher rustikal schmecke, ganz Mutige raunen schon mal was von «angebrannt». Und man muss wohl ein gewisses Alter erreicht haben, um sich einen Satz zu sagen zu trauen, der einem Südeuropäer übel einfährt. «Die Schweizer Trester waren schon früher den meisten Grappas hoch überlegen.» Formuliert so René Zimmermann, Wirt der Zürcher Destithek, die für ihr Angebot an Bränden bekannt ist, und einer der emsigsten der wenigen mit Tresterbrand vertrauten Gastronomen. Das harsche Urteil lässt sich begründen. Und sogar erweitern, denn auch hierzulande ist längst nicht alles Gold, was als Tresterbrand, Marc oder Grappa (nur im Tessin und in kleinen Teilen Graubündens ist der italienische Begriff erlaubt!) in den Regalen steht. «Leider gibt es auch in der Schweiz viele Destillate, die mit fermentiertem Trester gebrannt wurden und entsprechend wie die miesen Grappas aus Italien schmecken», schimpft Patrick Zbinden, schweizweit bekannter Sensoriker, der sich die Mühe gemacht hat, viele eidgenössische Brände zu verkosten. Mit guten und weniger guten Ergebnissen.
An Fehlern und Unzulänglichkeiten mangelt es tatsächlich nicht in der Szene. Und das hat viel mit dem Ausgangsprodukt zu tun, das ja per se als Abfall gilt, das übrig bleibt, wenn der Winzer im Herbst sein Werk getan hat. Achtlos wurde und wird die Masse gelagert, nicht nur in den italienischen Weinbauregionen, nicht immer akribisch gekühlt, nur selten eingefroren. Hatte früher ja keiner Zeit zu brennen in der Weinlese! Den Grossproduzenten ist es eh meist egal, ob Traubenschalen und -kerne schon zu gären begonnen haben, ob sich Fehltöne entwickeln, muffige Noten. Kann man ja beheben. «Um missglückte Destillate zu manipulieren, überdecken Produzenten die Fehler häufig durch Zugabe von sehr viel Zucker», klagt Zbinden. Zehn Gramm pro Liter sind in der Schweiz erlaubt, in Italien sogar 20, auch anderswo ist das Hilfsmittel beliebt.
Dass die kleinen Brenner immer die besseren Destillate machten, wäre zwar eine falsche Behauptung, aber Möglichkeiten haben sie. Sie können rasch brennen, langsam anheizen, vorsichtig loslegen, damit nichts karamellisiert, rechtzeitig Vor- und Nachlauf abtrennen. Oder, sofern sie Winzer sind, sich selbst Konkurrenz machen und die Schalen nicht bis auf den allerletzten Tropfen ausquetschen. Ein wenig Traubensaft in der Maische verfeinert den Brand. Man muss ja nicht so weit gehen wie die Firma Humbel, die aus der aromatischen Sorte Muscat bleu einen der wenigen Schweizer Traubenbrände herstellt, kein Trester-, sondern ein veritables Fruchtdestillat.
Gutes, Sauberes gibt es aber auch unter den echten Schalen-Kernen-Bränden. Bei Macardo im Thurgau vielleicht, wo der Pinot noir im gebrauchten Whisky-Fass Zusatzwürze annehmen darf. Bei Urs Hecht aus Gunzwil, der als einer der besten Schweizer Brenner nicht lockerlässt, wenn es um die Herausarbeitung der Aromen geht. Oder aus der Bündner Herrschaft. Reto Lipp-Kunz ist ein Meister des Destillates, das kraftvoll und würzig daherkommt. Welch eine aromatische Fülle hat sein Grand Marc aus Rotweintrester, veredelt mit getrockneten Früchten, im Barrique gereift, unfiltriert. Wie gemacht, um kraftvolle Zigarren zu begleiten, etwa im Fumoir des Quellenhofs in Bad Ragaz.