10.10.2024 Salz & Pfeffer 5/2024

Auf zu neuen Ufern!

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Als Aris Guzman Veganerin wurde, hängte sie den Kochberuf mit an den Nagel. Inzwischen ist sie nicht nur zurück in der Gastronomie, sondern hat auch ihre kulinarischen Wurzeln gefunden.
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2010 beschlossen Sie, fortan keine tierischen Produkte mehr zu essen – und auch nicht mehr als Köchin zu arbeiten. Warum dieser harte Schnitt?
Aris Guzman: Als ich mich damals mit dem Thema Fleisch auseinandersetzte, erkannte ich, welchen grossen Einfluss unser Fleischkonsum auf die Welt hat – und verlor meinen Appetit darauf. Ich wollte nicht mehr Teil dieses Systems sein. Dann musste ich mich jedoch auch als Köchin hinterfragen: Was kann ich in diesem Beruf noch machen? Ich liebte meine Arbeit, aber für mich war klar, dass ich nicht als Köchin arbeiten kann, ohne mein Essen zu probieren und abzuschmecken. Ich stand damals auf dem Saucier-Posten: Das ging nicht mehr, also sattelte ich um.

Sie wurden Bahnstewardess.
Das war super! Ich reiste im Nachtzug, hauptsächlich nach Berlin und Kopenhagen, wo die vegane Szene sehr viel weiter war als in Zürich. Zu sehen, was in diesem Bereich möglich ist, inspirierte mich – und ich begann, vegane Rezepte zu entwickeln und zu experimentieren. Ich entdeckte neue Zutaten und Lebensmittel, eignete mir Techniken an, mit denen ich zu vergleichbaren Resultaten wie in der Fleischküche kam. Heute kann ich sagen: Der Veganismus hat mich als Köchin kreativer gemacht.

Welche Rolle spielte dabei Ihre berufliche Erfahrung als gelernte Köchin in der Fleischküche?
Ich profitiere sicher davon, dass ich auf eine handwerkliche Basis zurückgreifen kann. Ich weiss, wie man eine gute Jus zubereitet, wonach sie schmecken soll, was sie ausmacht. Ich kenne den Umami-Geschmack und weiss, was es dafür braucht.

Zurück zum Nachtzug: Warum entschieden Sie am Ende dann doch, in die Gastronomie zurückzukehren?
Weil ich das Kochen vermisste. Im Schlafwagen beschränkte sich meine gastronomische Arbeit darauf, Frühstücksboxen herzurichten und im Speisewagen Mahlzeiten zu erhitzen – das konnte mit dem Job in der Profiküche nicht mithalten. Also suchte ich mir einen Weg zurück. Dass ich 2013 dann das Angebot bekam, Küchenchefin in einem neuen Restaurant zu werden, war ein grosses Glück: Zum ersten Mal durfte ich ein Konzept von A bis Z mitgestalten, die Küche einrichten, eine eigene Karte schreiben, Personal führen...

Das Sanus Viventium war damals das einzige vegane Restaurant in der Schweiz.
Richtig, und rundherum wurde uns prophezeit, dass das keine Zukunft habe. Ganz sicher nicht in Rapperswil! Aber das Lokal war von Tag eins an immer voll, die Gäste kamen aus dem ganzen Land. Zwei Jahre später durfte ich gemeinsam mit den ZFV-Unternehmungen eine vegane Mensa für die Universität Zürich konzipieren und diese in der Startphase auch leiten. Es war schön, zu sehen, wie viele junge Menschen sich für den Veganismus interessieren. Und wieder ein Projekt zu haben, bei dem ich mich kreativ ausleben konnte.

Kreativität ist ein gutes Stichwort. Wie entwickeln Sie Ihre Rezepte?
Oft ist das ein sehr intuitiver Prozess. Zum Beispiel das Sea Monster: Da war ich einfach in der Dominikanischen Republik und kochte Auberginen über dem Feuer. Ich schälte sie, schaute mir ihr Inneres an und fühlte mich plötzlich an ein Meeresungeheuer erinnert. An diesem Gedanken feilte ich anschliessend weiter. In anderen Bereichen, insbesondere beim Backen, arbeite ich strukturierter. Da braucht es einen klaren Plan und man muss sich mit den chemischen Prozessen auskennen.

Woran sind Sie bislang gescheitert?
Mit veganem Brandteig ist das so eine Sache. Ich habe bereits mehrere Versuche hinter mir, bin mit Süsskartoffeln auch schon nah dran, aber noch ist es nicht perfekt. Also tüftle ich weiter, vielleicht mit zusätzlichen Gluten, damit die Netzstrukturen besser zusammenhalten ...

Der veganen Gemeinschaft wird mitunter vorgeworfen, künstliche Produkte zu erfinden, während die tierischen Pendants in der Natur vorhanden sind. Wie stehen Sie dazu?
Ich halte solche Ersatzprodukte für den Übergang von der Allesesserin zur Veganerin für durchaus sinnvoll. Sie vereinfachen den Schritt, das habe ich selbst so erlebt. Irgendwann kommt man davon von selbst wieder weg, aber für den Einstieg: Warum nicht?

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Bammy – karibische Maniokküchlein
 Bammy – karibische Maniokküchlein
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Sea Monster – Auberginen-Oktopus
Sea Monster – Auberginen-Oktopus
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Wassermelonen-Tatar mit Wasabi-Mayo
Wassermelonen-Tatar mit Wasabi-Mayo
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Bananen-Erdnuss-Brot
 Bananen-Erdnuss-Brot
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Nun hat sich die Rolle der veganen Küche seit Ihrer Entscheidung dafür stark verändert. Wie sehen Sie die Szene in der Schweiz heute?
Es ist schön, dass sich so viel getan hat. Vor etwa acht Jahren gab es einen regelrechten Boom, und es entstanden zahlreiche vegane Produkte. Das ist schon cool! In meinen Anfängen gab es im Supermarkt gerade mal eine Sojamilch – und die schmeckte nach Metall. Inzwischen ist der Veganismus salonfähig und nicht mehr wegzudenken. Wobei der Fleischkonsum in der Schweiz ja nicht sinkt.

Trotz Ihrem klaren Fokus seien Sie nicht dogmatisch, sagen Sie.
Das könnte ich gar nicht sein, so viel Fleisch, wie ich in meinem Leben konsumiert habe! Meine Mutter arbeitete in einer Charcuterie-Abteilung, ihr Partner war Metzger. Bei uns daheim standen zwei Tiefkühler voller Fleisch und in unserem Kühlschrank lagen Aufschnitt, Mortadella, Parmaschinken... Fleisch war bei uns die Hauptzutat.

Vermissen Sie es?
Nicht wirklich, nein. Höchstens gewisse Texturen. Als Kind liebte ich zum Beispiel Spanferkel. Und es ist recht schwierig, auf veganem Weg an diese Kombination aus krachender Kruste, viel Fettgewebe und zartem Fleisch heranzukommen. Daran habe ich schöne Erinnerungen.

Tatsächlich haben Sie sich ja nicht nur der veganen Küche verschrieben, sondern auch der karibischen. Warum ist Ihnen diese kulinarische Identität wichtig?
Meine Schwester und ich sind bei meiner Grossmutter in der Dominikanischen Republik aufgewachsen, bis ich elf Jahre alt war und wir zu unserer Mutter in die Schweiz zogen. Meine Grossmutter blieb meine wichtigste Bezugsperson und war auch der Grund, warum ich Köchin wurde. Sie nahm sich immer sehr viel Zeit fürs Kochen, ging morgens auf den Markt, um frische Zutaten zu holen, hantierte am Feuer, das wir in der Küche hatten. Wenn ich am Herd stehe, bin ich meiner Grossmutter auch heute nach ihrem Tod noch sehr nah. Ich hatte mich allerdings lange Zeit nicht besonders mit der karibischen Küche beschäftigt, von ein paar wenigen Gerichten, die auch seit meiner Kindheit kenne, abgesehen. Erst als ich als vegane Köchin eine Sinnkrise durchlebte und mich fragte, wofür genau ich eigentlich stehe, merkte ich, dass ich nicht zwingend nach etwas suchen muss, sondern auf das zurückgreifen kann, was ja schon da ist. Und die karibische Küche macht Spass: Sie ist vielfältig, international, multikulti.

Auf den ersten Blick bietet sie allerdings nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für die vegane Küche.
Das machte mir anfangs schon auch Sorgen. Wie soll ich einen Sancocho, einen Eintopf, in den sieben verschiedene Fleischstücke gehören, veganisieren?

Aber dann?
Mein veganer Sancocho besteht aus sieben verschiedenen Wurzelgemüsen – und schmeckt den Leuten genauso. Es schauen einfach keine Hühnerfüsse raus. Vor allem stellte ich aber fest, dass die ursprüngliche karibische Küche eigentlich mit wenig Fleisch auskommt. Klar, Fisch und Meeresfrüchte sind ein Thema, aber eben auch viele Gemüse und Wurzelgemüse, von denen es zahlreiche endemische Sorten gibt. Ich entdecke nach wie vor so viel Neues. Das ist super, mir wird sonst schnell langweilig.

Wobei das mit Ihrem breiten Portfolio eh kaum der Fall sein dürfte.
Ich geniesse diese Vielfalt als Selbstständige sehr: Ich gebe Kurse, übernehme Caterings, lanciere Pop-ups, schreibe Kochbücher, bin als Gastroberaterin tätig, entwickle Konzepte und Rezepte. Das ist toll!

Sesshaft werden ist für Sie also kein Thema mehr?
Nun ja, wäre ich sesshaft, hätte ich vieles von dem, was ich ge- macht habe, vermutlich nicht tun können. Ich hätte meine Kochbücher vielleicht nicht geschrieben, keine vegane Milchschokolade entwickelt, weniger Pop-ups erlebt. Das wäre schade. Aber vielleicht wäre es eines Tages schon schön, irgendwo anzukommen. Ich schliesse das nicht aus – im Moment jedoch stimmt es für mich genau so.

Pionierin des Veganismus
Aris Guzman (38) wuchs bei ihrer Grossmutter in der Dominikanischen Republik auf, bis sie als Elfjährige zur Mutter in die Schweiz zog. Sie absolvierte in der Tertianum Residenz Segeten in Zürich ihre Kochlehre und schloss diese als eine der Besten im Kanton ab. Anschliessend arbeitete sie im damals mit 15 Punkten dotierten Restaurant Reussbrücke in Ottenbach, leistete diverse temporäre Einsätze und machte die Berufsmatura. 2010 kehrte Guzman der Gastronomie den Rücken und fuhr als Bahnstewardess im Nachtzug durch Europa. Zwei Jahre später zog es sie in die kulinarischen Gefilde zurück, fortan allerdings mit einem klaren Fokus auf die pflanzenbasierte Küche. Nach Engagements in der Produktentwicklung und im Zürcher Hiltl erhielt Guzman das Angebot, das damals einzige vegane Restaurant der Schweiz zu konzipieren: Im Sanus Viventium in Rapperswil blieb sie zwei Jahre. Anschliessend entwickelte sie gemeinsam mit den ZFV-Unternehmungen die vegane Mensa der Universität Zürich und stand für die Eingliederung Vier Linden im Einsatz, für die sie unter anderem ein veganes Take-away-Konzept entwarf. 2019 wurde sie Kursleiterin bei der Migros-Klubschule und lancierte ihr erstes Pop-up (Chez Oscar). Seit 2020 ist Guzman mit Soul Food by Aris selbstständig: Sie bietet Caterings an, gibt Kochkurse, entwickelt Rezepte und Konzepte, lanciert Pop-ups, schreibt Kochbücher und ist als Gastroberaterin tätig.
byaris.ch