2010 beschlossen Sie, fortan keine tierischen Produkte mehr zu essen – und auch nicht mehr als Köchin zu arbeiten. Warum dieser harte Schnitt?
Aris Guzman: Als ich mich damals mit dem Thema Fleisch auseinandersetzte, erkannte ich, welchen grossen Einfluss unser Fleischkonsum auf die Welt hat – und verlor meinen Appetit darauf. Ich wollte nicht mehr Teil dieses Systems sein. Dann musste ich mich jedoch auch als Köchin hinterfragen: Was kann ich in diesem Beruf noch machen? Ich liebte meine Arbeit, aber für mich war klar, dass ich nicht als Köchin arbeiten kann, ohne mein Essen zu probieren und abzuschmecken. Ich stand damals auf dem Saucier-Posten: Das ging nicht mehr, also sattelte ich um.
Sie wurden Bahnstewardess.
Das war super! Ich reiste im Nachtzug, hauptsächlich nach Berlin und Kopenhagen, wo die vegane Szene sehr viel weiter war als in Zürich. Zu sehen, was in diesem Bereich möglich ist, inspirierte mich – und ich begann, vegane Rezepte zu entwickeln und zu experimentieren. Ich entdeckte neue Zutaten und Lebensmittel, eignete mir Techniken an, mit denen ich zu vergleichbaren Resultaten wie in der Fleischküche kam. Heute kann ich sagen: Der Veganismus hat mich als Köchin kreativer gemacht.
Welche Rolle spielte dabei Ihre berufliche Erfahrung als gelernte Köchin in der Fleischküche?
Ich profitiere sicher davon, dass ich auf eine handwerkliche Basis zurückgreifen kann. Ich weiss, wie man eine gute Jus zubereitet, wonach sie schmecken soll, was sie ausmacht. Ich kenne den Umami-Geschmack und weiss, was es dafür braucht.
Zurück zum Nachtzug: Warum entschieden Sie am Ende dann doch, in die Gastronomie zurückzukehren?
Weil ich das Kochen vermisste. Im Schlafwagen beschränkte sich meine gastronomische Arbeit darauf, Frühstücksboxen herzurichten und im Speisewagen Mahlzeiten zu erhitzen – das konnte mit dem Job in der Profiküche nicht mithalten. Also suchte ich mir einen Weg zurück. Dass ich 2013 dann das Angebot bekam, Küchenchefin in einem neuen Restaurant zu werden, war ein grosses Glück: Zum ersten Mal durfte ich ein Konzept von A bis Z mitgestalten, die Küche einrichten, eine eigene Karte schreiben, Personal führen...
Das Sanus Viventium war damals das einzige vegane Restaurant in der Schweiz.
Richtig, und rundherum wurde uns prophezeit, dass das keine Zukunft habe. Ganz sicher nicht in Rapperswil! Aber das Lokal war von Tag eins an immer voll, die Gäste kamen aus dem ganzen Land. Zwei Jahre später durfte ich gemeinsam mit den ZFV-Unternehmungen eine vegane Mensa für die Universität Zürich konzipieren und diese in der Startphase auch leiten. Es war schön, zu sehen, wie viele junge Menschen sich für den Veganismus interessieren. Und wieder ein Projekt zu haben, bei dem ich mich kreativ ausleben konnte.
Kreativität ist ein gutes Stichwort. Wie entwickeln Sie Ihre Rezepte?
Oft ist das ein sehr intuitiver Prozess. Zum Beispiel das Sea Monster: Da war ich einfach in der Dominikanischen Republik und kochte Auberginen über dem Feuer. Ich schälte sie, schaute mir ihr Inneres an und fühlte mich plötzlich an ein Meeresungeheuer erinnert. An diesem Gedanken feilte ich anschliessend weiter. In anderen Bereichen, insbesondere beim Backen, arbeite ich strukturierter. Da braucht es einen klaren Plan und man muss sich mit den chemischen Prozessen auskennen.
Woran sind Sie bislang gescheitert?
Mit veganem Brandteig ist das so eine Sache. Ich habe bereits mehrere Versuche hinter mir, bin mit Süsskartoffeln auch schon nah dran, aber noch ist es nicht perfekt. Also tüftle ich weiter, vielleicht mit zusätzlichen Gluten, damit die Netzstrukturen besser zusammenhalten ...
Der veganen Gemeinschaft wird mitunter vorgeworfen, künstliche Produkte zu erfinden, während die tierischen Pendants in der Natur vorhanden sind. Wie stehen Sie dazu?
Ich halte solche Ersatzprodukte für den Übergang von der Allesesserin zur Veganerin für durchaus sinnvoll. Sie vereinfachen den Schritt, das habe ich selbst so erlebt. Irgendwann kommt man davon von selbst wieder weg, aber für den Einstieg: Warum nicht?