«Wir standen daneben und mussten tatenlos zuschauen, wie das Gebäude in Flammen aufgeht.»
Eine Maschine so gross wie ein Kleinlastwagen presst Paraffingranulat zu runden Opferkerzlein, lässt sie über Schienen und Zahnräder laufen und spuckt sie schliesslich im Sekundentakt in eine graue Plastikkiste. Bleibt eins davon stecken, gibt ihm die mit Ohrschützern ausgestattete Mitarbeiterin einen kleinen Schubs. In zwei Wochen ist Weihnachten und das Team hat alle Hände voll zu tun. Trotzdem nimmt sich Otmar Lienert Zeit für einen Rundgang durch den Betrieb, dessen Existenz an und für sich schon an ein Wunder grenzt.
Die Mitarbeiter sitzen gerade beim Mittagessen, als am 23. Mai 2016 eine defekte Steckdose ein Feuer entfacht. Einer der Wachszieher entdeckt es auf dem Weg zur Garderobe und schlägt Alarm. Doch da züngeln die Flammen bereits aus den Fenstern. Kurz darauf rückt die Feuerwehr mit 100 Mann an. In der Fabrik ist es so heiss, dass sich das Kerzenwachs selbst entzündet. Wie Frittieröl darf auch brennendes Wachs nicht mit Wasser gelöscht werden. Das Resultat wäre eine Fettexplosion. Fünf Stunden kämpft die Feuerwehr mit Löschschaum gegen die Flammen: «Wir standen daneben und mussten tatenlos zuschauen, wie das Gebäude in Flammen aufgeht», erinnert sich Otmar Lienert an den schwärzesten Montag in der 200-jährigen Geschichte der Kerzenfabrik.
Zwei Stunden bevor sich der Rauch gegen 18 Uhr endlich weiss färbt, entschliessen sich Brigitte und Otmar Lienert fürs Weitermachen und informieren die Mitarbeiter darüber, die draussen im Regen stehen. Was das genau bedeutet, wissen sie da noch nicht. An ihrem Entscheid halten sie auch am nächsten Morgen fest, als sie das, was von der Fabrik übrig ist, zum ersten Mal betreten dürfen. Was nicht verbrannt ist, stinkt nach Rauch und ist mit Russ bedeckt. Das Wachs hat sich kniehoch über den Boden verteilt. Nur der Bürotrakt und damit auch die Kundendaten sowie an die 100 Ausstecher in Form von Kreuzen, Madonnen und Co. haben das Feuer mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Sie sind auch heute im Einsatz: Eine Mitarbeiterin sticht damit eine Taube aus Wachsfolie aus und appliziert sie zusammen mit feinen Streifen vorsichtig auf eine Taufkerze. Und zwar so präzise, dass man sie von der Musterkerze auf dem Tisch nicht mehr unterscheiden kann.