«Der liebe Gott wollte dieses alkoholische Getränk nicht.»
Weinkritiker René Gabriel versteht viel von seinem Metier, ist eine Instanz für teuer Abgefülltes aus dem Bordelais, mag auch Grünen Veltliner und feinste Burgunder. Nur mit Orange Wine kann die ehrenvoll als Rampensau der Szene betitelte Koryphäe nichts anfangen. «Der liebe Gott wollte dieses alkoholische Getränk nicht», teilte Gabriel kürzlich öffentlich mit. «Was ich am wenigsten verstehe ist, dass sich dieses absolut weinfremde Gesöff überhaupt Wein nennen darf.» Widerspruch war bei dieser Provokation gewiss einkalkuliert und kam prompt. Nicht nur von den Trendforschern unter den Weinautoren, auch manche Winzer meldeten umgehend Skepsis an, andere stehen über allen Angriffen. Er möge diesen Typ von Wein, wirft Ewald Tscheppe ein, Winzer auf dem Weingut Werlitsch in der österreichischen Steiermark. «Er vermittelt ein eigenständiges Trinkerlebnis. Auf der Maische vergorene Weissweine sind und waren ein Teil meiner Erkenntnisreise zu einem neuen Verständnis vom natürlichen Ausdruck aller Inhalte in einem Wein.»
Tatsächlich genügt es nicht, Orange Wine nach jenen Kriterien zu beurteilen, die fast 100 Prozent aller Weintrinker anzuwenden pflegen. Was über Jahrzehnte in Weinkursen und auf Weinhochschulen gelehrt wurde, spiegelt die heutige Realität eben nicht mehr in Gänze wider. Die klare Frucht, die viele in Chasselas oder Riesling suchen, all die charmanten Zitrus-, Apfel- und Pfirsicharomen sind bei der Orange-Wine-Kategorie nicht existent. Dafür gibt es das, was bisher eher von Tee und Apfelmost bekannt war: dunkle Farbe. Hinfort mit hellem Gelb, strahlender Klarheit, der geradezu technisch anmutenden Brillanz, her mit fahlem Orange oder zumindest stumpfem Dunkelgelb. Folgen des langen gemeinsamen Verbleibs von Traubenmost und Schalen, denn auch Weissweintrauben besitzen Farbstoffe, die – vereinfacht gesagt – je mehr gelöst werden, je länger die Mazeration dauert. Ein paar Tage vielleicht nur, wenige Wochen, mitunter auch Monate oder ein ganzes Jahr: Grenzen gilt es auszureizen. Rotweintrauben können zwar ähnlich experimentell ins Stadium des Weines transferiert werden, bringen aber keinen Orange Wine im klassischen Sinne hervor, während die eh schon dunklen Weissweinsorten (Traminer oder Grauburgunder) tatsächlich kraftvolle Orangenoten möglich machen. Damit sich keiner verirrt und von falschen Prämissen ausgeht, sprechen Fortgeschrittene gar nicht mehr vom Orange Wine, sondern vom maischevergorenen Weisswein, was der Diskussion die Schärfe nimmt, aber auch weniger sexy klingt.
Apropos Schärfe: Die Produkte der angeblich neuen Weinkategorie sehen nicht nur ulkig aus, sie riechen und schmecken auch eigenständig bis -willig. Statt klarer Fruchtnoten dominieren würzige, kräuterige, nussig-oxidative Töne, während im Geschmack eine deutliche, herbe Gerbstoffnote zu spüren ist. Tannine im Wein? Beim roten wird so was allgemein akzeptiert, beim weissen führte es lange zu pauschaler, logisch kaum begründbarer Ablehnung. Die salzigen Noten und den trocken-herben Purismus vieler Orange-Wine-Vertreter muss ja keiner mögen – aber spannend kann sein, was ein junger Kreativer wie Jörn Goziewski (Joern Wein) verantwortet. Im deutschen Rheingau nennt er seinen Wein «Arancia» oder «Jesaja», kombinierte Maischegärung und Barriquereifung. Viel früher als er haben schon Slowenen und Kroaten (Roxanich) angefangen, nochmals äonen zeitiger die Georgier und die meisten übrigen Winzer der Antike. Orange Wine ist ja, bei ganz genauem Hinsehen, nichts anderes als eine ziemlich ursprüngliche Form der Weinbereitung. Am ursprünglichsten, wenn sich die Gärung in der Amphore vollzieht. «Wir produzieren seit 2008 orange Weine», sagt der Walliser Winzer und Amphoren-Fan Amédée Mathier, «einen aus weissen und einen aus roten Trauben.» Zeit lässt man sich in Salgesch, füllt jetzt erst den Jahrgang 2013.