04.04.2024 Salz & Pfeffer 2/2024

Bambangan im Dschungel

Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: z. V. g.
Malaysia hatte bislang fast niemand auf dem Schirm, der sich für gute Küche interessierte. Doch sowohl in Kuala Lumpur als auch auf Langkawi haben die Köche Zutrauen in Können und Zutaten gefasst. Kulinarisches Storytelling in den Tropen.
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Neugierig sind die Menschen in Malaysia sowieso.

Chai Chun Boon wirkt entspannt. Der Küchenchef des Fine Dining im The Datai kommt zum Plaudern auf die Terrasse und führt anschliessend durch die Küche. Ein Labyrinth im Keller des Resorts im Dschungel von Langkawi, eine Flugstunde entfernt von Malaysias Hauptstadt. Thailändisch kann man hier essen (die Grenze ist nah), traditionell malaiisch auch. Chef Chai allerdings befasst sich nicht mit Nasi Lemak, dem aus Reis, Kokosmilch, Früchten, Saucen, Erdnüssen und Ei bestehenden Nationalgericht des Landes (dem Äquivalent zu Ghackets mit Hörnli!), sondern mit filigranen Fischgerichten oder dem malaysischen Kaviar. (Eine Probe gefällig – aber gern. Schmeckt würzig und angenehm wenig salzig.) 

Weil heute allerdings eine deutsche Gastköchin das Abendmenü zusammenstellt, besteht Chais Aufgabe im Wesentlichen darin, Hilfestellung zu leisten und sich etwas abzugucken. Die Zusammenarbeit funktioniere prima, sagt er, lobt die aus dem badischen Sulzburg angereiste Douce Steiner und deren Team. Zwei Sterne im Dschungel Langkawis, zumindest für drei Tage. (Weil der Guide Michelin sich auf Kuala Lumpur und Penang beschränkt, kocht man hier ansonsten sternefrei.) 

Die Einladung von Gastköchen und Gastköchinnen hat Prinzip im The Datai, dieses Jahr stehen sogar ausschliesslich weibliche Starköche auf der Agenda. Kostet zwar ein bisschen Geld, ist den Gästen aber lieb. Noch mehr Abwechslung. Und neugierig sind die Menschen in Malaysia sowieso. Vielleicht noch ein bisschen mehr als in Thailand, dessen Küche man hier schätzt und insgeheim bewundert. Weil Bangkok ja längst zu einer Foodie-Metropole geworden ist und auch europäische Esserinnen und Esser bislang wenig wissen von Kuala Lumpur, das alle nur KL nennen; sie kennen allenfalls die dortige Petaling Street, in der clevere Chinesen gierigen Touristinnen gefälschte Markenware verhökern.

Wenn sie indes nicht verkaufen, sondern kochen, tragen sie, wie die ebenso in grosser Zahl vertretenen Inderinnen und Inder, viel zur Melting-Pot-Kitchen Malaysias bei. Lange Zeit verliess sich die Gastronomie auf diese Besonderheit und auf das, was im tropischen Klima des Landes in kaum fassbarer Fülle gedieh, machte kaum Anstalten zur Verfeinerung. Klar, dass Michelin-Sterne zunächst anderswo in Asien aufleuchteten. 

Küchenchef Chai Chun Boon
Küchenchef Chai Chun Boon
Kreation von Chef Chai
Kreation von Chef Chai
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Impression vom The Datai Langkawi
Impression vom The Datai Langkawi
Küchenchef Darren Teoh
Küchenchef Darren Teoh
Impression aus dem Dewakan
Impression aus dem Dewakan
Kreation von Darren Teoh
Kreation von Darren Teoh

Inzwischen allerdings hat mit dem Dewakan das erste Restaurant Kuala Lumpurs den zweiten Stern ergattert; der dortige Chefkoch Darren Teoh weiss ganz genau, wie man Testerinnen und Influencer begeistert. Seine Empfangsdame im Erdgeschoss des Wolkenkratzers, mittendrin im Grossstadtdschungel, telefoniert erst einmal nach oben, führt anschliessend zum Expressfahrstuhl. Es geht hoch in den 48. Stock und gleich hinein in die Küche. Nein, keine Journalisten-Spezialprozedur, das ist der übliche Weg. Edelstahl? Kaum. «Wir setzen auf Holz», sagt der Patron. Und auf einheimische Spezialitäten. Bambangan beispielsweise, die wilde Mango aus Borneo, mit ihrem süsslich-würzigen Fruchtfleisch. Oder Kelulut-Honig, jene fruchtig-säuerliche Delikatesse der stachellosen Bienen, mühsam aus winzigen Wachsblasen extrahiert. 

Eine Phalanx an Tiegeln, gefüllt mit Garums und Essigen aller Art, steht dort, wo der Pfad zum Gastraum beginnt. Der Küchenchef lässt an den teilweise jahrelang fermentierten Kostbarkeiten auf Sardinen- oder Pflanzenbasis schnuppern. Mild duftet es, würzig, keinesfalls aufdringlich. Eine Auswahl der Sude findet sich später im Menü wieder. (Dass man dessen Preis kurz nach Michelin-Promotion erhöhte, ist nur vernünftig.) 

Während sich Teoh vor der Dewakan-Eröffnung in Singapur gebildet hat, war The-Datai-Chef Chai in Europa unterwegs. Abac in Barcelona, Oud Sluis in den Niederlanden. Neue malaysische Küche kann man sein Menüprinzip nennen: Hier sind mehr internationale Einflüsse zu spüren als im Dewakan. Pandan- und Kaffirlimettenblätter stammen aus dem eigenen Dschungelgarten, die lokalen Fischer bringen, was die Andamensee vor der Haustür hergibt, doch das Wagyu Beef (mit Randenasche) grast anderswo. Im Dewakan dagegen fällt es nicht nur angesichts des Ausblicks auf die Petronas Twin Towers, KLs Wahrzeichen, verdammt schwer, alles gedanklich zu verarbeiten. So viele kluge Kombinationen und tolle Zutaten. Bärenkrebse aus dem Bundesstaat Sabah, die halbierte Taube samt Hirn. Und natürlich Reis, am Tisch mit einer fermentierten Paste auf Aroma gebracht. Mit Texturen weiss die Küche zu spielen, mit Kontrasten auch.

Mit passenden Weinen wiederum spielen die Sommeliers und Sommelièren. Wie schnell lässt sich bei Elsässer Gewürztraminer, rotem Burgunder und tollem Champagner vergessen, dass Malaysia ein islamisches Land ist! In den Supermärkten gibt es ganze Nicht-Halal-Abteilungen, die Duty-Free-Shops an den Flughäfen platzen vor Whisky und Gin, und in den Restaurants werden Winepairings gern mit Spirituosen aufgelockert. Alkohol ist zwar teurer als in manchem anderen asiatischen Land, aber auch nicht höher kalkuliert als in der Schweiz. Für jene, die sich tatsächlich an Allahs Gebote halten, gibt es freilich – neben Kombucha und weiteren fermentierten Mischungen – auch Fruchtsäfte in einer Qualität, von der man in Europa nur träumen kann. Einzig das Wasser wirft Fragen auf. San Pellegrino in Malaysia? Ob alle glauben, dass derlei Importware beim Aufstieg in die von Nestlé gesponserte 50-Best-Liste hülfe? Deutscher Riesling ist übrigens noch rar, anders als in Thailand, und von Schweizer Weinen hat niemand je etwas gehört. Dafür kann man im The Datai sogar einen Mouton-Rothschild glasweise bestellen. Britische Royals sollen schon da gewesen sein, hört man. Ob sie ebenfalls die Affen bemerkten, die sich manchmal aufs Dach der Villen schwingen? (Bitte immer die Terrassentüren schliessen!) Mit einem Barolo aus Italien schläft es sich besser. Und dass japanischer Sake en vogue ist unter den Essbegeisterten Malaysias, wird schnell deutlich. Bitte mehr vom Junmai Daiginjo!

Nur Ignoranten nennen so was Beliebigkeit. Die anderen erkennen, dass die malaysische Hochküche, ganz am Anfang stehend, noch jede Menge Potenzial hat. Man merkt es bei Fisch und Fleisch, man merkt es noch mehr bei den Süssigkeiten. Japanische Präzision trifft klassische französische Patisserie – und beide verbünden sich mit den unzähligen Aromen Malaysias. Die Schokolade, die vor Ort gewonnen wird. Die Pandan-Kokos-Süssigkeiten der klassischen oder verfeinerten Art. Eis aus Bananenblättern, wie es Teoh servieren lässt, oder der Kuih Sarang Semut genannte Kuchen aus Karamell, Kondensmilch, Eiern und Backpulver. Er bildet den Abschluss des Essens im Dewakan, das der Gast verlässt, wie er gekommen ist – durch die Küche, dann mit dem Aufzug wieder hinab und zurück in den vibrierenden Dschungel der Grossstadt. 

The Dining Room, Hotel The Datai Langkawi, Jalan Teluk Datai, 07000 Pulau Langkawi. Kedah Darul Aman, Malaysia, thedatai.com

Dewakan, Level 48, Skyviews, Naza Tower, Platinum Park, No. 10 Persiaran KLCC, 50088 Kuala Lumpur, Malaysia, dewakan.my

Terra, Beta oder Lai
Ein Stern im Michelin ist gut, ein vorderer Platz in der Liste der World’s 50 Best of Asia fast besser. Und um den zu bekommen, hilft Storytelling. Die Verbindung von Essen mit Showelementen haben die jungen Chefs von Kuala Lumpur drauf. Raymond Tham im Beta KL lässt das zum Vordessert gereichte Eis mit flüssigem Stickstoff aufschlagen, Chong Yu Cheng im Terra Dining serviert erste Snacks im Vorraum, präsentiert dann seine Zutaten, verkauft Add-ons wie Kaviar. Nur im Lai Po Heen des Mandarin Oriental gehts traditionell zu: Die Peking-Ente ist Gold wert. Storytelling findet hier auf dem Teller statt – und dass es deshalb bislang nicht für den Stern langt, ist ein nicht ganz unplausibles Gerücht.