«Es braucht bei der Zubereitung deutlich mehr Kreativität.»
Mani Matter sah es förmlich vor sich: Wer ein Sandwich will, braucht Brot und Fleisch, und zwar in Kombination sowie in der passenden Reihenfolge. Beim Canapé verhält sich die Sache ähnlich: Erst Brot und Belag im Duett machen die Einzelteile eben zum belegten Brötli, wie es im Schweizer Volksmund auch heisst. So weit, so klar. Allerdings ist das Canapé, was die Belegung angeht, hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten zur gar bequemen Chose verkommen (wenn auch nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Möbelstück, dem Sofa).
Fakt ist, dass das belegte Brötchen der Vergangenheit überwiegend so aussah: pampiger Toast mit lampigem Dosenspargel, wahlweise ersetzt durch Industrieei oder Billigschinken, mit Vorliebe überzogen von extra viel Gelee. Dabei wusste bereits Adelrich Furrer, wettkampferprobter und dekorierter Küchenchef aus der Innerschweiz, wie mannigfaltig sich das Canapé umsetzen liesse. In seinem 1936 erstmals und 1949 in zweiter Auflage erschienenen Buch «Belegte Brötchen und Gourmandises» schrieb er: «So sind in der letzten Zeit die belegten Brötchen sozusagen Mode geworden, eine Mode jedoch, die sich das ganze Jahr hindurch zu behaupten weiss, dank der Vielgestaltigkeit der Gaben, die uns die Natur im Wechsel der Jahreszeiten zur Befriedigung der kulinarischen Gelüste beschert.» Auf rund 180 Seiten beschreibt Furrer, was das Canapé kann: Er widmet sich den diversen Formen der Unterlage, benennt mögliche Zutaten für obendrauf (explizit auch vegetarisch!) und umreisst – für die Leserin von heute durchaus amüsant – Anlässe, für die sich Brötchen passend belegen lassen, etwa fürs Treffen des Automobil- oder des Jockeyclubs. Weit weniger aus der Zeit gefallen wirken seine generellen Überlegungen zum Thema. Etwa diese: «Und schliesslich lassen sich nicht zuletzt die brauchbaren, guten Reste im Gardemanger vorteilhaft zu belegten Brötchen verwenden.»
Diesen Ansatz verfolgt heutzutage David Zurfluh, Küchenchef im Culinarium Alpinum in Stans. Das Canapé – «also eine brotähnliche Basis mit Belag», wie er es definiert – hat in seinem Repertoire einen festen Platz, kommt bei der Verpflegung von Seminarteilnehmerinnen oder Kursbesuchern zum Einsatz, steht aber auch im Restaurant des Hauses auf der Karte. Für seine Kreationen verarbeitet er gern, was er ohnehin vorrätig (oder eben übrig) hat. Dabei schaue er insbesondere darauf, dass die Zutaten nicht zu fest saften: «Sonst weicht das Brot schnell durch.» Für die Unterlage greift er oft auf sein Hausbrot, ein Sauerteigbrot mit Biomehl aus der Mühle Alpnach sowie einem Anteil Paniermehl aus eigener Produktion, zurück. «Es ist schön knusprig», schwärmt Zurfluh, «und macht das Canapé zu einer wunderbaren Geschichte.»
Für den Belag kombiniert er beispielsweise einen fünfjährigen Alpsbrinz und Biotrockenfleisch aus Engelberg. Unter die Hauptkomponenten in verschiedenen Konsistenzen kommt eine für die Region typische Birnenweggenmousse, darüber sorgen leicht geröstete Baumnüsse für zusätzlichen Crunch. Et voilà: Nach wenigen Handgriffen liegt das regional inspirierte Canapé auf der Platte. «Ich mag, wenn es simpel ist», sagt Zurfluh. Einfach in der Zubereitung, aber eindrucksvoll im Geschmack ist auch seine Kreation mit Geissfrischkäse und -ziger von Toni Odermatt. Die würzigen Komponenten passen gut aufs Knäckebrot mit Schweizer Sonnenblumen- und Kürbiskernen sowie Leinsamen. Dazu kommen gehackte Wildkräuter und -blumen, hinter dem Haus geerntete Bärlauchkapern und -blüten. Der Stanser Küchenchef ist überzeugt, dass das Canapé in der Schweiz in die Bäckereiauslagen, aber eben auch auf die Teller gehört. «Die Leute mögen es gern», sagt er. «Aber es braucht bei der Zubereitung deutlich mehr Kreativität.»
Mit dieser Meinung ist er im Culinarium Alpinum in bester Gesellschaft. Und so widmet sich der erste Wettbewerb der im September eröffneten Institution auch gleich dem belegten Brötchen. Mitinitiant und Jurymitglied Dominik Flammer erklärt, warum: «Dem Canapé sind in seiner Form und Belegung kaum Grenzen gesetzt, und es ist ein ideales Element, um Saisonalität und Regionalität in ihrer ganzen Vielfalt zu zelebrieren. Wir sind deshalb überzeugt, dass es ein Revival verdient.» Unter dem Motto Das Neue Canapé Suisse rief das Culinarium Alpinum deshalb Berufsleute aus den Sparten Gastronomie, Hotellerie, Bäckerei, Konditorei, Confiserie und Traiteur dazu auf, das belegte Brötchen neu – und regional – zu interpretieren. Die sechs Finalisten, die der Jury in Stans ihre Kreationen präsentieren durften, übertrafen in ihrer Varianz und Breite selbst kühne Erwartungen. «In dieser Extreme hatte ich den regionalen Bezug nicht erwartet», zog etwa Jurymitglied Stefan Beer, Küchenchef im Victoria-Jungfrau in Interlaken, Bilanz. «Wir verarbeiten bei uns im Fine Dining selbst Produkte aus dem Umkreis von 40 Kilometern, und ich weiss, wie schwierig das ist – umso mehr schätze ich, wie viele tolle Produkte die Kandidaten für ihre Canapés aufspürten. Und es freut mich, zu sehen, mit welchem Selbstbewusstsein sie ihre Heimat präsentieren.»