«Ich weiss heute, wie ein Koch denkt, ich kenne seine Bedürfnisse.»
Schön haben Sie es hier.
Marcel Heinrich: Nicht wahr? Als ich im Jahr 2001 den Hof von meinen Eltern übernahm, hinterfragten wir alles: Ich war voller Tatendrang und hatte viele Ideen. Wir verabschiedeten uns damals beispielsweise von den Hochleistungskühen und setzen seither auf Rätisches Grauvieh, das mit dem Futter von hier gut auskommt. Wichtig war uns immer auch, dass uns der Hof Freude macht: Er soll mehr sein als nur ein Produktionsbetrieb – ein Zuhause. Deshalb tun wir jedes Jahr nicht nur was fürs Geld, sondern auch was fürs Gemüt.
Wofür sind Ihre Bergkartoffeln?
Für beides. Klar, die Kartoffeln sind heute unser Hauptgeschäft. Aber als wir hier starteten, war das nicht abzusehen. Wir hatten damals rund 30 Are Kartoffelacker – also einen Bruchteil dessen, was wir heute bewirtschaften. Schon meine Eltern pflegten gute Kontakte zur Gastronomie und belieferten Restaurants in der Umgebung. Das übernahm ich. Bis zu einem Schlüsselerlebnis.
Erzählen Sie.
Ich war in Savognin auf Auslieferung. Als ich da mit meinem Sack Kartoffeln in der Küche des Lokals stand, beachteten mich die Köche kaum und wiesen mich an, die Kartoffeln im Keller in die Kiste hinten rechts zu werfen. Ich ging runter, fand die Kiste und merkte, dass da schon Kartoffeln drin waren: konventionelle, aus Holland. Und ich sollte nun meine Biokartoffeln dazuschütten! Zu dieser Zeit machten wir alles von Hand – wirklich alles. Ich wusste: Das geht so nicht, da fehlt die Wertschätzung. Entweder hören wir mit den Kartoffeln auf, oder wir gehen einen anderen Weg.
Sie entschieden sich fürs Zweite.
Ich war schon immer neugierig und überzeugt davon, dass es möglich ist, die Dinge etwas anders anzugehen, ja. Also wagten wirs. Ich erinnere mich, dass ich in einem Brockenhaus einmal ein kleines Schild entdeckte, auf dem stand: Alle sagten, das geht nicht – aber dann kam einer, der das nicht wusste, und hats gemacht. Das beschreibt den Moment damals recht gut. Mein Vater sorgte sich, dass wir uns mit den alten Kartoffelsorten Krankheiten auf den Hof holen könnten, nicht ganz zu Unrecht natürlich. Und die anderen Bauern schauten komisch, weil wir zu dieser Zeit total antizyklisch handelten. Damals bekam man ja vor allem Direktzahlungen pro Kuh, und es wäre finanziell vernünftiger gewesen, einfach Futter für die Tiere zu produzieren. Stattdessen entschieden wir uns für den Ackerbau und setzten mehr Kartoffeln. Das waren schon noch andere Zeiten.
Inwiefern?
Damals krähte echt kein Hahn nach diesen alten Sorten. Wir pflanzten 2003 die ersten Pro-Specie-Rara-Kartoffeln und knüpften bald erste Kontakte zu einem Grossverteiler. Ein erster Versuch, die alte Sorte Parli zu lancieren, erwies sich aber als schwierig: Die Zeit war nicht reif. Auch die Köche verstanden nicht, was wir hier taten. Sie waren in erster Linie mit den Kocheigenschaften der Bergkartoffel überfordert. Sie hat immerhin eine um einen Viertel längere Kochzeit.
Was unterscheidet die Bergkartoffel noch von einer «normalen» Knolle?
Einen Einfluss haben sicher das intensive Sonnenlicht, das zu einer anderen Struktur der Pflanze führt, und die guten, sandigen Böden in den Bergen. Entscheidend ist aber auch, dass wir unsere Kartoffeln nicht mit künstlichem Stickstoff pushen. Wir arbeiten schlicht mit unserem Hofdünger und setzen auf den natürlichen Stickstoff aus der Vorkultur. Man kann sich das so vorstellen: Eine Kartoffel steckt voller Zellen. Wenn man sie nun aufbläst – also pusht –, werden die Zellen grösser, der prozentuale Anteil an Zellen nimmt ab. Nun ist aber die Zellwand, in der die Stärke eingelagert ist, der eigentliche Geschmacksträger. Deshalb schmecken nicht «aufgeblasene» Bergkartoffeln intensiver und enthalten mehr Stärke.
Und das erkannten die Köche nicht auf Anhieb als Vorteil?
Damals interessierte der Geschmack einer Kartoffel einfach niemanden. Die Wertschätzung fehlte, genau wie die Erkenntnis, dass es auch bei ihr Qualitätsunterschiede gibt. Dabei ist die Kartoffel so ein cooles Produkt.
Warum?
Sie ist ein Nachtschattengewächs; allein das ist doch spannend. Und man sagte ihr früher allerlei Sachen nach, dass sie aphrodisierend wirke, zum Beispiel. Dazu kommt die Geschichte mit dem Solanin: Im Prinzip ist die Pflanze giftig.
Ausserdem gilt die Kartoffel als Königsdisziplin im Ackerbau.
Ja, weil sie echt heikel ist und unglaublich viele Feinde hat. Man sagt ja, der dümmste Bauer habe die grössten Kartoffeln – aber wer das behauptete, war nicht der Schlauste. Es kann durchaus vorkommen, dass einer ohne grosses Zutun riesige Knollen erntet: per Zufall. Die Schwierigkeit ist, über mehrere Jahre eine konstante, gute Qualität zu haben. Und mit den alten Sorten ist es noch einen Zacken komplizierter; die wurden nicht wie manche moderne Varietäten mit Resistenzen gezüchtet. Wir mussten also erst herausfinden, welche Sorten bei uns funktionieren – und auch solche, die im Markt super ankamen, wieder abschreiben, weil sie für gewisse Krankheiten zu anfällig und nicht in Bioqualität anbaubar waren.
Heute kultivieren Sie 46 Sorten.
Von denen vielleicht 42 funktionieren. Der Rest ist eben fürs Gemüt. Das mag schlecht fürs Geschäft sein, ist aber gut für mich – neue Sorten auszuprobieren, ist meine Leidenschaft.
Welche davon ist für Sie momentan besonders spannend?
Ach, das ist ein bisschen wie mit Kindern. Ich kann nicht sagen, dass ich eins lieber hätte als das andere. Die Weissen Lötschentaler zum Beispiel sind super, weil sie sehr dankbar sind und kaum Ärger machen. Auf der anderen Seite ist die Highland Burgundy Red toll; die vermutlich schwierigste Sorte, die ursprünglich aus Schottland stammt und mit der wir die ersten vier, fünf Jahre nur Probleme hatten. Jede Kartoffel hat ihren Charakter, und es braucht Zeit, diesen kennen zu lernen. Heute weiss ich, welche Sorte welchen Boden mag, sodass sie gut gedeiht und den besten Geschmack entwickelt.