05.04.2022 Salz & Pfeffer 2/2022

Bessere Hälften

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Ein ungleiches Duo und doch eine Einheit: Die beiden gelernten Köche Benjamin Forrer und Philipp Graber teilen sich im Zürcher Restaurant F39 alle Positionen. Ihr Konzept ist klar: Zuerst kommt das Produkt, der Rest ergibt sich.

«Nachhaltigkeit hat nichts mit Trend zu tun, sondern mit Verstand.»

Sie haben eine strenge Zeit hinter sich. Wie gehts?
Philipp Graber: Es ist ein Auf und Ab. Die Pandemie brach aus, als es bei uns endlich so richtig gut lief und wir jeden Abend ausgebucht waren. Da müssen wir jetzt irgendwie wieder hin.
Benjamin Forrer: Wobei die Situation uns auch Gutes brachte: Wir reduzierten die Plätze von 16 auf zwölf, dehnten das Menü dafür von sieben auf zehn Gänge aus und erhöhten so den Durchschnittsumsatz pro Person. Das behalten wir bei. Privat hatten wir endlich mal Zeit für uns und unsere Lieben und merkten, dass es im Leben auch andere Dinge als die Gastronomie gibt: Inzwischen öffnen wir nur noch vier Abende die Woche – was ja zukunftsträchtig zu sein scheint. Und doch hätten wir zu Beginn der Pandemie vermutlich zumachen sollen, dann wären wir mit einem blauen Auge davongekommen. Schliessen, was Neues wagen. Vielleicht zusammen, vielleicht auch nicht.
Graber: Das weiss man bei uns ja nie. Das ist so eine Art Hassliebe, die wir hier leben.

Echt? Sagen Sie zum Aufwärmen doch einfach einmal etwas Nettes über einander.
Forrer: Philipp ist sehr loyal und ein herzensguter Mensch. Ich liebe ihn über alles.

Und umgekehrt?
Graber: Auch wenn Benjamin es manchmal nicht so gut zeigen kann, hat er das Herz auf jeden Fall am rechten Fleck. Zwischenmenschlich funktioniert das mit ihm schon sehr gut.

Und was ist schwierig am anderen?
Forrer: Das kann ich weniger über Philipp sagen, aber durchaus über mich selbst: Ich bin sehr impulsiv und neigte vor allem früher zu cholerischen Anfällen, beschimpfte ihn auch mal wüst. Das ist besser geworden. Aber klar, in einer so langen Beziehung, wie wir sie führen, regt man sich über einander auf, gibt es Spannungen. Das Schlechte, was ich über Philipp vielleicht sagen kann, ist, dass er viel nachtragender ist als ich. Ich explodiere mal, aber spätestens beim Feierabendbier ist alles wieder gut.
Graber: Das dauert bei mir länger. Ich nehme Konflikte persönlicher. Am Ende glaube ich aber, dass es ein Vorteil ist, wie verschieden wir sind. Wären wir gleich, würde das nicht klappen.
Forrer: Vor allem käme nicht das Gleiche raus. Der ganze kreative, konstruktive Prozess profitiert von unseren Unterschieden.

Also haben auch die Gäste im F39 etwas davon?
Forrer: Sie haben auf jeden Fall das Gefühl, sie sähen schon doppelt, bevor sie was getrunken haben. Nein, im Ernst: Für den Gast ist es sicher ein Vorteil, dass wir uns alle Arbeiten aufteilen. So steht nämlich immer ein Koch am Tisch, einer, der genau beschreiben kann, was auf dem Teller ist. Wir brauchen keine Service-Briefings oder so.
Graber: Und das führt zu einer gewissen Ehrlichkeit, die der Gast dann spürt.

Wie meinen Sie das?
Graber: Wir spulen keine auswendig gelernten Sätze ab, sondern können eins zu eins erzählen, worum es in einem Gericht geht, was dahintersteckt.

Und Sie sind zusammen auch kreativer in der Küche?
Graber:
Das glaube ich schon.
Forrer: Wir können uns halt ergänzen. Wenn einer grad eine weniger kreative Phase hat, kompensiert der andere das oft.

Ich stelle mir das gar nicht so einfach vor: Zwei gleichwertige Köche mit jeweils klaren Vorstellungen komponieren die Gerichte gemeinsam...
Graber: Das ist kein Problem, wir haben einen gewissen gemeinsamen Level, auf dem wir uns verstehen. Darunter machen wir eh nichts.
Forrer: Und viel hängt bei uns ohnehin davon ab, was wir an Produkten bekommen. Unsere Lieferantinnen und Lieferanten bestimmen, was wir kochen. Sie sagen uns, was sie in welcher Menge haben – und aufgrund dessen, was wir ihnen abnehmen, entstehen unsere Gerichte.
Graber: Das geht oft alles recht schnell. Und es bedingt, dass wir nie die ganze Karte, sondern immer einzelne Gerichte darauf auswechseln. Das ist ein rollender Prozess. Anfangs brauchte das von uns ein ziemliches Umdenken, aber heute ist es Alltag: Zuerst kommt das Produkt, dann machen wir was daraus.
Forrer: Ein gutes Stichwort: Für uns ist längst Alltag, was unserer Meinung nach die Zukunft der Gastronomie sein sollte, und das, was für viele Gastronominnen und Gastronomen heute Alltag ist, ist für uns längst Vergangenheit. Nachhaltigkeit hat nichts mit Trend zu tun, sondern mit Verstand. Es hat, was es hat – das gilt bei uns dann auch für die Gäste.

Sie sind da recht konsequent.
Forrer: Das kann man wohl so sagen.
Graber: Wobei wir manchmal gern noch konsequenter wären...

Erzählen Sie!
Graber:
Natürlich machen wir mal eine Ausnahme, aber immerhin führen wir keine grundsätzlichen Diskussionen übers Gesamtpaket. Zum Beispiel gibt es bei uns keine vegane Küche, den Spagat können wir nicht auch noch machen.
Forrer: Unsere Küche ist pflanzenbasiert, was heute vielfach irrtümlich als Ausdruck fürs Vegane gebraucht wird. Pflanzenbasiert heisst: Wenig Fisch, wenig Fleisch, der Fokus liegt auf dem Pflanzlichen, also auf Gemüse und Getreide. Das beschreibt exakt, was wir tun.

Nun stehen Sie als gelernte Köche hier ja nicht nur am Herd, sondern bestreiten auch den Service und empfehlen den Wein. Haben Sie schnell in die Rolle des Gastgebers gefunden?
Graber: Ich hatte damit mehr Mühe. Es ist wohl offensichtlich, dass Benjamin mehr redet als ich, ich bin weniger offen. Für meine persönliche Entwicklung ist es darum besser, dass ich vorne im Gastraum stehe, aber einfacher wäre es für mich, mich in der Küche zu verstecken.
Forrer: Das war aber nie eine Option. Es war klar, dass wir alle Aufgaben teilen. Den Rhythmus kannten wir anfangs jedoch nicht, der ergab sich. Zuerst übernahm ich zwei Jahre mehrheitlich die Aufgabe des Gastgebers, seit gut zwei Jahren steht Philipp hauptsächlich vorn. Wenn einer von uns den Wunsch äussern sollte, zu wechseln, ist es wieder Zeit.
Graber: Und das Ganze bleibt durchlässig, wir stehen beide sowohl am Herd als auch im Restaurant.
Forrer: Aber momentan kümmert sich Philipp zum Beispiel um die Weinempfehlung, weil er sich damit viel intensiver beschäftigt als ich. Wir fungieren hier ja auch als Sommeliers, haben uns das entsprechende Wissen selber angeeignet. Unsere Begleitung basiert nicht auf gelernter Theorie, sondern auf geschmacklicher Erfahrung. Das kommt gut an, wir haben schon oft gehört, dass unsere Weinbegleitung spannend sei, weil sie eben nicht nach Lehrbuch konzipiert wurde. Wir probieren die Weine, wissen, wie unser Essen schmeckt – und kombinieren, was uns persönlich Spass macht.

Spass ist Ihnen bei der Arbeit wichtig – und Sie spannen explizit nur mit Leuten zusammen, mit denen Sie das auch gern tun. Warum ist das entscheidend?
Forrer:
Weil es für uns bei einem Produkt um mehr als die Qualität geht, die sowieso nicht verhandelbar ist: Auch das Gefühl muss stimmen, wenn wir es verwenden. Wir sind wie Goldschmiede, die aus Rohgold – in unserem Fall von guter Herkunft – ein Schmuckstück fertigen, wir machen aus ganz einfachen Zutaten etwas Schönes. Dafür brauchen wir keine Edelstücke, aber Lebensmittel, hinter denen wir voll stehen können.

Ihre Küche basiert aber nicht nur auf dem Produkt, das verfügbar ist, und dem klassischen französischen Handwerk, das Sie gelernt haben, sondern ist auch deutlich von der japanischen Kulinarik inspiriert. Wie kommt das?
Forrer: Mein persönlicher Bezug dazu stammt von einer Reise nach Tokio, die für mich kulinarisch prägend war. In erster Linie macht der japanische Einfluss die Gerichte leichter. Unser Menü ist kontinuierlich gewachsen, wir sind inzwischen ja bei einem fixen Menü mit plus/minus zehn Gängen. Da kamen wir von den Kohlenhydraten und schweren Saucen der französischen Küche automatisch ein bisschen weg.
Graber: Wobei Butter bei uns also nicht wegzudenken ist.
Forrer: Das stimmt. Es ist oft auch mehr die Philosophie der japa- nischen Küche, die wir einfliessen lassen. Die Kaiseki-Küche legt Wert auf ein bekömmliches, leichtes Menü und berücksichtigt die ganze Breite der Lebensmittel, die die Saison und die Region repräsentieren. Das passt zu uns.
Graber: Weil wir allerdings die einzelnen Gerichte so oft wech- seln, schwankt unser Menü ziemlich und tendiert mal mehr in die asiatische Richtung, mal mehr in die französische ... je nachdem. Langweilig wird es bei uns also garantiert nicht. Und zwar für niemanden. 

Benjamin Forrer, geboren 1984, entdeckte seine Leidenschaft für die Kulinarik früh und erinnert sich an ein entscheidendes Erlebnis als Siebenjähriger: In einem kleinen norditalienischen Lokal gab es sieben Gänge, darunter handgemachte Tortelloni, von denen er fasziniert war. Dennoch schnupperte er in diverse Berufe rein, wollte Töpfer werden, entschied sich am Ende aber für die Ausbildung zum Koch: Im Gasthof Hirschen in Regensdorf lernte er das Handwerk von der Pike auf, begleitet von einem strengen französischen Souschef, der dem Teenager mit Autoritätsproblemen den Weg wies. Forrer schloss die Lehre als einer der Besten des Kantons ab. Er sammelte Erfahrungen im Löwen in Meilen, in dem Philipp Graber zu jener Zeit die Lehre absolvierte, im Belvedère in Baden, im Bistro von Vreni Spitz sowie im Café Lang in Zürich. Dann kams zur Schnapsidee.

Philipp Graber, geboren 1987, wollte partout nicht aufs Gymnasium, probierte deshalb zwei, drei Berufe aus – und fand besonderen Gefallen am Lifestyle und an der Stimmung in der Gastronomie. Das Kochen, sagt er, habe es ihm dabei natürlich auch angetan. Die Lehre absolvierte Graber im Löwen Meilen, wobei er bereits ein erstes Mal auf Benjamin Forrer traf. Es folgte ein Zwischenspiel in der Wirtschaft zum Neubüel in Wädenswil, bevor er in den Löwen zurückkehrte. Dort stand er erst als Junior-Souschef am Herd und übernahm dann für rund drei Jahre Forrers Posten als Souschef. Dann kams zur Schnapsidee.

Benjamin Forrer und Philipp Graber nennen es die Schnapsidee, die ihnen eines fröhlichen Abends kam. Weil die beiden zusammen eigentlich ein Restaurant er- öffnen wollten, aber keine passenden Räume dafür fanden, beschlossen sie, stattdessen einen Laden aufzumachen – von Köchen für Köche. 2014 starteten sie mit dem Chefstore im Zürcher Nägelihof, verkauften Bekleidung, Schuhe, Messer, Bücher und mehr. Drei Jahre nach Eröffnung des Ladens klappte es auch mit dem Restaurant: Forrer und Graber konnten das Lokal im Seefeld, das früher das Cucina e Libri von Carlo Bernasconi beheimatete, übernehmen. Es folgte eine, gelinde gesagt, intensive Zeit: Einer von beiden schloss morgens den Laden auf und betreute diesen bis Ladenschluss, währenddessen verbrachte der andere den Tag im Restaurant mit Putzen, Mise en Place et cetera. Um 17.45 Uhr trafen sich beide im F39, um 18.30 Uhr kamen die Gäste. Dann gings los. Anfang 2020 gaben Forrer und Graber den Laden ab. Im Restaurant fungieren sie als gleichberechtigte Partner: Sie teilen sich alle Aufgaben.

F39, Fröhlichstrasse 39, 8008 Zürich, f-39.ch