«Nachhaltigkeit hat nichts mit Trend zu tun, sondern mit Verstand.»
Sie haben eine strenge Zeit hinter sich. Wie gehts?
Philipp Graber: Es ist ein Auf und Ab. Die Pandemie brach aus, als es bei uns endlich so richtig gut lief und wir jeden Abend ausgebucht waren. Da müssen wir jetzt irgendwie wieder hin.
Benjamin Forrer: Wobei die Situation uns auch Gutes brachte: Wir reduzierten die Plätze von 16 auf zwölf, dehnten das Menü dafür von sieben auf zehn Gänge aus und erhöhten so den Durchschnittsumsatz pro Person. Das behalten wir bei. Privat hatten wir endlich mal Zeit für uns und unsere Lieben und merkten, dass es im Leben auch andere Dinge als die Gastronomie gibt: Inzwischen öffnen wir nur noch vier Abende die Woche – was ja zukunftsträchtig zu sein scheint. Und doch hätten wir zu Beginn der Pandemie vermutlich zumachen sollen, dann wären wir mit einem blauen Auge davongekommen. Schliessen, was Neues wagen. Vielleicht zusammen, vielleicht auch nicht.
Graber: Das weiss man bei uns ja nie. Das ist so eine Art Hassliebe, die wir hier leben.
Echt? Sagen Sie zum Aufwärmen doch einfach einmal etwas Nettes über einander.
Forrer: Philipp ist sehr loyal und ein herzensguter Mensch. Ich liebe ihn über alles.
Und umgekehrt?
Graber: Auch wenn Benjamin es manchmal nicht so gut zeigen kann, hat er das Herz auf jeden Fall am rechten Fleck. Zwischenmenschlich funktioniert das mit ihm schon sehr gut.
Und was ist schwierig am anderen?
Forrer: Das kann ich weniger über Philipp sagen, aber durchaus über mich selbst: Ich bin sehr impulsiv und neigte vor allem früher zu cholerischen Anfällen, beschimpfte ihn auch mal wüst. Das ist besser geworden. Aber klar, in einer so langen Beziehung, wie wir sie führen, regt man sich über einander auf, gibt es Spannungen. Das Schlechte, was ich über Philipp vielleicht sagen kann, ist, dass er viel nachtragender ist als ich. Ich explodiere mal, aber spätestens beim Feierabendbier ist alles wieder gut.
Graber: Das dauert bei mir länger. Ich nehme Konflikte persönlicher. Am Ende glaube ich aber, dass es ein Vorteil ist, wie verschieden wir sind. Wären wir gleich, würde das nicht klappen.
Forrer: Vor allem käme nicht das Gleiche raus. Der ganze kreative, konstruktive Prozess profitiert von unseren Unterschieden.
Also haben auch die Gäste im F39 etwas davon?
Forrer: Sie haben auf jeden Fall das Gefühl, sie sähen schon doppelt, bevor sie was getrunken haben. Nein, im Ernst: Für den Gast ist es sicher ein Vorteil, dass wir uns alle Arbeiten aufteilen. So steht nämlich immer ein Koch am Tisch, einer, der genau beschreiben kann, was auf dem Teller ist. Wir brauchen keine Service-Briefings oder so.
Graber: Und das führt zu einer gewissen Ehrlichkeit, die der Gast dann spürt.
Wie meinen Sie das?
Graber: Wir spulen keine auswendig gelernten Sätze ab, sondern können eins zu eins erzählen, worum es in einem Gericht geht, was dahintersteckt.
Und Sie sind zusammen auch kreativer in der Küche?
Graber: Das glaube ich schon.
Forrer: Wir können uns halt ergänzen. Wenn einer grad eine weniger kreative Phase hat, kompensiert der andere das oft.
Ich stelle mir das gar nicht so einfach vor: Zwei gleichwertige Köche mit jeweils klaren Vorstellungen komponieren die Gerichte gemeinsam...
Graber: Das ist kein Problem, wir haben einen gewissen gemeinsamen Level, auf dem wir uns verstehen. Darunter machen wir eh nichts.
Forrer: Und viel hängt bei uns ohnehin davon ab, was wir an Produkten bekommen. Unsere Lieferantinnen und Lieferanten bestimmen, was wir kochen. Sie sagen uns, was sie in welcher Menge haben – und aufgrund dessen, was wir ihnen abnehmen, entstehen unsere Gerichte.
Graber: Das geht oft alles recht schnell. Und es bedingt, dass wir nie die ganze Karte, sondern immer einzelne Gerichte darauf auswechseln. Das ist ein rollender Prozess. Anfangs brauchte das von uns ein ziemliches Umdenken, aber heute ist es Alltag: Zuerst kommt das Produkt, dann machen wir was daraus.
Forrer: Ein gutes Stichwort: Für uns ist längst Alltag, was unserer Meinung nach die Zukunft der Gastronomie sein sollte, und das, was für viele Gastronominnen und Gastronomen heute Alltag ist, ist für uns längst Vergangenheit. Nachhaltigkeit hat nichts mit Trend zu tun, sondern mit Verstand. Es hat, was es hat – das gilt bei uns dann auch für die Gäste.