31.03.2020 Salz & Pfeffer 2/2020

Bevor die Bombe platzt

Text: Monsieur Tabasco
Wer sich rechtfertigt, noch bevor jemand Anklage erhoben hat, offenbart ein schlechtes Gewissen. Wie zum Beispiel der Schweizerische Tourismus-Verband, der nach 23 Jahren sein Qualitätslabel einstellt.
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«Vergessen haben die sparsamen Gastgeber, dass das blaue Q auch gegen aussen gewirkt hat

Eine Placebotablette sieht aus wie eine Tablette, enthält aber keinen Wirkstoff. Sie wirkt, weil der Herr Doktor in so gewichtigen Worten erklärt, dass sie es tut, dass das Patientlein von sonnigem Gemüt ihm Glauben schenkt. Ein Placebotext funktioniert ähnlich: Er sieht aus wie Text, enthält aber keinen Sinn. Er wirkt, weil die Worte, aus dem er besteht, so gewichtig klingen, dass das Leserlein von sonnigem Gemüt ihnen Glauben schenkt.

Einen hübschen Placebotext hat dieser Tage der Schweizerische Tourismus-Verband STV entwickelt, der 500 touristische Leistungsträger vertritt und hauptsächlich von Hotelleriesuisse und Gastrosuisse getragen wird. Titel: «Veränderungen machen auch vor der Qualität nicht halt». Das ist mehr als Placebo, das ist fast schon Picasso: Stundenlang darf man brüten, was der Satz einem sagen will. Dasselbe gilt für den weiteren Text: «Im Zuge der Neuausrichtung hat der STV seine bestehenden Geschäftsfelder intensiv durchleuchtet.» Ah ja. «Dabei hat sich bestätigt, was sich schon seit einer Weile abgezeichnet hat.» Soso. «Die Bedürfnisse im Markt haben sich in den letzten Jahren entscheidend verändert.» Nein aber auch. «Ratings auf Bewertungsportalen laufen den klassischen Zertifizierungen den Rang ab.»

Oh! Thema im Anflug! «Kundenfeedbacks sind über ebendiese Portale sowie die Social-Media-Kanäle in grosser Zahl verfügbar, was den Unternehmern erlaubt, direkt bei den wunden Punkten anzusetzen.» Die Spannung steigt. «Der Aufwand für die Q-Zertifizierung wird von vielen Betrieben zudem als hoch empfunden.» Sieh an, zum Thema gesellt sich ein Empfinden. Steuert dieser Text womöglich doch noch auf einen Inhalt hin? «Wir haben festgestellt, dass Verbesserungsmassnahmen im Qualitätsbereich heute eher punktuell als ganzheitlich erwünscht sind.» Spätestens jetzt steigt einem eine sinistre Ahnung ins intellektuelle Getriebe. Und bestätigt sich sogleich: «Alle diese Voraussetzungen haben zur Folge, dass die Nachfrage nach einer Q-Zertifizierung rückläufig und das Programm für uns längerfristig nicht mehr finanzierbar ist.»

Alles klar. Der Placebotext ist eine vorauseilende Rechtfertigung. Da verwedelt jemand den Pulverdampf, schon bevor die Bombe platzt. Und das ist die da: «Nach sorgfältigen Abklärungen und reiflicher Überlegung hat der STV-Vorstand daher entschieden, das Q-Programm in seiner jetzigen Form per Ende 2022 einzustellen.»

Wer sich rechtfertigt, noch bevor jemand Anklage erhoben hat, offenbart ein schlechtes Gewissen. In diesem Fall wegen der Einstellung der Qualitätsoffensive. 23 Jahre lang hat das Quality-Label mit dem blauen Q den Qualitätswettbewerb im Schweizer Tourismus verstärkt und also verbessert. Bis zur Fassung 3.0, die reichlich aufgeblasen zu viel Administration führte, aber zu wenig Lust und Anreiz bot, das Q zu erarbeiten oder zu erneuern. Und dass die Delegierten von Hotelleriesuisse letztes Jahr das Zertifizierungsobligatorium für die Superieur-Hotels aufhob, war ein Fanal, allzu viele Betriebe liessen sich nicht mehr zertifizieren und verpassten dem Label so den letzten Kick ins Genick.

Vergessen haben die sparsamen Gastgeber offenbar, dass das blaue Q auch gegen aussen gewirkt hat. Es war ein vertrauenswürdiges Label mit einem professionellen Auftritt, ein identitätsstiftendes Eigengewächs des Schweizer Tourismus, Zeuge für Qualitätsbewusstsein und Zusammenarbeit. Doch hurra, der STV setzt auf eine Zukunft mit einer berauschenden Alternative zum Q-Label: «Kundenfeedbacks sind über Bewertungsportale sowie die Social-Media-Kanäle in grosser Zahl verfügbar, was den Unternehmern erlaubt, direkt bei den wunden Punkten anzusetzen.»

Nun also werden die Gastgeber nach Ablauf ihrer letzten Zertifizierungsperioden den teuer erarbeiteten Q-Kleber von der Eingangstüre kratzen und so Platz schaffen für die Kleber von Tripadvisor und anderen Entwertungsportalen, um den Gästen die neue Messlatte für Qualität zu demonstrieren – nämlich die vorlieblich US-amerikanischen Krawallbühnen, denen die Qualität des Schweizer Tourismus so was von gopfvergessen egal ist und die in erster Linie vom Unterhaltungswert der Kommentare leben, gepostet von beleidigten Möchtegern-Cäsaren, von herablassenden Upgrade-Königinnen, von rachsüchtigen Ex-Mitarbeitern und von anderen Mitmenschen, die ihre Unzufriedenheit mit sich selber und mit ihrem Leben von Tisch zu Tisch tragen, jede Rezeption damit anstecken und sich über alles beschweren ausser über die eigene Ahnungslosigkeit.

Mit einem selber erarbeiteten Q-Label bezeugte man gegen aussen seine stetige Auseinandersetzung mit und sein Engagement für Qualität. Das war Marketing, Psychologie und Gspüri, eins der Steinchen im Mosaik, das die Schweiz abbildet und ihr Image prägt. Indem der STV die Abschaffung des Labels begründet mit dem Hinweis auf die kostenlosen «Bewertungsportale und Social-Media-Kanäle», bezeugt er, «im Zuge der Neuausrichtung», auch etwas: Beliebigkeit und Billigkeit.