«Es ist wichtig, sich politisch zu engagieren.»
Inwiefern fühlen Sie sich verpflichtet, als oberster Hotelier des Landes einen Vorzeigebetrieb zu führen?
Andreas Züllig: Es schadet sicher nicht, wenn der Präsident von Hotelleriesuisse einen Betrieb mit einer gewissen Vorbildfunktion leitet.
Ist Ihr Hotel ein Vorbild für andere?
Ich glaube schon. Der Schweizerhof ist konzeptionell klar als Familien- und Wellnesshotel positioniert. Zudem legen wir sehr viel Wert darauf, ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig zu arbeiten. Meine Frau und ich wünschten uns immer einen Betrieb, in dem wir selbst gern Ferien machen würden. Und schon früh richteten wir uns auf kurzfristige Buchungen ein, weil wir realisierten, dass die Gäste oft den Wetterbericht anschauen und dann noch schnell ein Zimmer fürs Wochenende buchen.
Wie konnten Sie den Schweizerhof 1994 überhaupt kaufen?
Eine gute Frage. Damals platzte die Immobilienblase. In der Hotellerie zahlten wir Hypothekarzinsen von acht Prozent, und wir mussten sofort neun Millionen Franken investieren. Die Bank wollte den Betrieb so schnell wie möglich wieder loswerden und gab uns mit sehr wenig Eigenmitteln die Chance, selbstständig zu werden. Bis heute haben wir einen zweistelligen Millionenbetrag ins Haus gesteckt, nur mit erwirtschafteten Eigenmitteln und mit der Unterstützung der Banken. Aber genau darin liegt die Herausforderung für einen Unternehmer – und es ist das, was mir Spass bereitet.
2018 war punkto Übernachtungen ein Rekordjahr für die Schweizer Hotellerie. 2019 läufts bis jetzt noch besser. Sorgen bereitet dafür der starke Franken. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Die Zahlen täuschen. Es ist richtig, dass die Logiernächte steigen, allerdings sind die Durchschnittspreise nicht nur in den Bergregionen gesunken. Wir sind noch weit entfernt von den Zahlen, die wir zum Beispiel 2008 hatten. Das Wachstum der Logiernächte findet vor allem in Städten wie Zürich, Luzern oder Basel statt. Gestiegen sind dafür die Kosten, vor allem aufgrund des Fachkräftemangels. Es ist mittlerweile ein Arbeitnehmermarkt: Wir haben zu wenig gut qualifizierte Mitarbeiter – und bekanntlich bestimmen das Angebot und die Nachfrage den Preis.
Ein Zürcher Hotelier sagte mir kürzlich, es laufe sehr gut, er wisse aber nicht, weshalb.
In den neuen Märkten wie China, Indien, dem Nahen Osten, aber auch bei den Nordamerikanern liegt die Schweiz im Trend. Damit konnten wir den schwächelnden europäischen Markt kompensieren. Aber nochmals: Das ist eine quantitative Betrachtung der Logierzahlen. Gäste neuer Märkte reisen oft in Gruppen mit tieferen Durchschnittspreisen.
Auch in der Schweiz, etwa in Luzern, leiden immer mehr Standorte unter dem Tourismus.
Das darf man nicht dramatisieren. Wir reden von gewissen kurzen Perioden, im Sommer, wenn es eine starke Nachfrage gibt. Von einem Overtourismus und Zuständen wie in Venedig oder Barcelona sind wir aber weit entfernt. Dort sind zwei Faktoren bestimmend, die wir nicht haben: sehr günstige Flüge und die Kreuzfahrtschiffe, die in kurzer Zeit Tausende von Leuten in die Stadt spülen. In der Schweiz sehe ich, gesamtheitlich betrachtet, eher einen Undertourismus. In den Bergregionen liegt die Bettenauslastung übers Jahr gerechnet bei knapp 30 Prozent, nachhaltig ist das nicht. Die Frage ist, wie wir die Gäste von den Hotspots weg in andere Regionen des Landes lenken können.
Was schlagen Sie vor?
Ich glaube, der technologische Wandel kommt uns da entgegen. Auch Gäste aus China oder Indien wollen irgendwann individuell reisen, mit auf sie zugeschnittenen Dienstleistungen, abseits der Trampelpfade. Dank der Digitalisierung können wir diese Gäste sensibilisieren, auch mal nach Splügen oder ins Bergell zu fahren, das touristisch schwach erschlossen, aber dafür noch sehr ursprünglich ist.
Sie sind seit 2015 Präsident von Hotelleriesuisse. Fühlten Sie sich bei der Wahl der Herausforderung gewachsen?
Ich hatte Erfahrung als Präsident des Regionalverbands Graubünden, allerdings war das eine vergleichsweise übersichtliche Aufgabe. Nach der Wahl machte ich mir natürlich Gedanken, wie wir den Verband für die Zukunft fit machen können. Ob zum Beispiel die Hotelklassifikation überhaupt noch einen Sinn ergibt. Ich möchte den Verband so im Markt positionieren, dass er als Unternehmung langfristig überleben kann. Und natürlich fragte ich mich, ob ich das hinkriege.
Wie gingen Sie vor?
Wir haben zuerst einmal unsere Strategie überarbeitet und den Verband mit seinen Kernaufgaben neu positioniert. Vor meiner Zeit wollte man der Verband des Schweizer Tourismus zu sein, heute stehen wir klar fokussiert für die Schweizer Beherbergungsindustrie. Unsere Mitglieder sollen spüren, dass sie einen Verband im Rücken haben, der ihnen im Alltag als Unternehmer hilft, also etwa versucht, die politischen Rahmenbedingungen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Aber auch die Digitalisierung und die Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften sind ein wichtiger Teil unserer Arbeit.
Mit Gastrosuisse, dem zweiten Arbeitgeberverband der Branche, verstrickten sich Ihre Vorgänger in Grabenkämpfe.
Wir pflegen heute ein gutes Verhältnis. Dass es zwei Verbände sind, finde ich nicht schlecht. Hotelleriesuisse deckt den Beherbergungsbereich ab, da haben wir die Kernkompetenz, sei das in den Aus- und den Weiterbildungsangeboten, dem politischen Engagement oder den Dienstleistungen, die wir anbieten. Gastrosuisse wiederum ist stark in der Restauration. Beide Verbände sind klar positioniert, und jeder kann selbst entscheiden, wo er sich besser aufgehoben fühlt. Das ist ein gesunder Wettbewerb.
Das politische Lobbying ist eine Kernkompetenz von Hotelleriesuisse. Wie lautet Ihre Bilanz?
Wir konnten in den letzten drei Jahren einiges für die Branche erreichen, das wir nicht erwartet hätten. Etwa den auf die nächsten zehn Jahre fixierten reduzierten Mehrwertsteuer-Sondersatz. Und zusammen mit den Sozialpartnern brachten wir Anpassungen im Arbeitsrecht durch, zugeschnitten auf die Hotellerie, speziell für die Saisonhotels in den Bergregionen. Bei anderen Geschäften, etwa der Tourismusförderung, müssen wir noch mehr Überzeugungsarbeit leisten.