Suggestivfragen sind das Sicherheitsventil der Journalisten.
Es ist so: Wissenschaftler haben zehn Männer ein paar Wochen lang eingeschlossen und identisch gefüttert, bei einigen von ihnen aber den Salzgehalt im Futter sukzessive erhöht. Ergebnis: Kurzfristig tranken sie mehr, langfristig aber weniger. Läck. Blöd. Da haben also 10 000 Jahre lang Milliarden Menschen die identische falsche Erfahrung gemacht. Dass der Durst von Millionen Gästen nach zu viel Salzstängeli ein Versehen war. Dass sich die Robinsons der Weltgeschichte auf ihren gottverlassenen Flossen im weiten Ozean nur irrtümlicherweise am Salzwasser zu Tode gesoffen haben. Wo zum Geier bleiben da die Sondersendungen mit Expertenrunden, mit Einspielern und einem aufregenden Selbstversuch mit Spaghettiwasser aus der Fernsehkantine?
Aber gut. «Macht Salziges tatsächlich durstig?» ist ja noch keine Behauptung. Nur eine Frage, die eine Erkenntnis suggeriert. Suggestivfragen sind das Sicherheitsventil der Journalisten. Bei der Berichterstattung über medizinische Studien geben nämlich 40 Prozent der Heftliartikel falsche Empfehlungen ab, 36 Prozent übertragen Ergebnisse vom Tier auf den Menschen, und 33 Prozent stellen Kausalbehauptungen auf – das alles gemäss einer hoffentlich breit abgestützten Studie. Bei Artikeln über Ernährungsstudien in Publikumsmedien ist der Anteil an Bullshit vermutlich noch höher, denn Ernährung ist inzwischen ja Religion, und wer Glaubensbekenntnisse in Frage stellt, bekommt mehr Haue und weniger Fördergelder. Seriöse Medien servieren die Vermutungen aus der Forscherküche nicht als gesicherte Erkenntnisse. Nur Kioskheftli, Frauenzeitschriften, Gratisaltpapier bei den Bahnhöfen, Newsportale, Diätverkäuferinnen und aufgeregte Blogger machen aus bleu einfach bien cuit. Viele verstehen die saukomplizierten Futterstudien der Ernährungswissenschaftler noch weniger als diese selber. Versuchsanlagen, Messmethoden und Analytik werden immer feiner, die Eierköpfe entdecken also ständig neue Schadstoffe, wegen denen die Menschheit längst ausgestorben wäre, hätte sie nur früher davon vernommen. Die Auswertung von Daten bietet oft genug die Freiheit, zu fast jedem beliebigen oder gewünschten Ergebnis zu gelangen, und der Grat zwischen Korrelation und Kausalität ist ziemlich schmal.
Viele Ernährungsforscher wissen das selber auch und relativieren ihre Untersuchungsergebnisse bis etwa zehn Zentimeter vor der Bedeutungslosigkeit. Und der Journalist muss sie dann dramatisch verkürzen und aufplustern oder doch wenigstens auf einer Suggestivfrage aufbauen, damit er genügend Analogfleisch am Knochen hat für eine Publikation für das wissenschaftshörige Publikum. Suggestiv fragen wird man ja wohl noch dürfen. Und viel mehr braucht es gar nicht. Die einen lesen nur Schlagzeilen, die anderen können nicht unterscheiden zwischen Suggestivfrage und Behauptung. Die pflichtbewusste Hausfrau pendelt dann im Fünfjahresrhythmus von der Butter zur Margarine und wieder zurück und ahnt erst als Grossmutter, dass sie rückwirkend alles falsch gemacht hat, aber trotzdem noch lebt. Dass Gesundheit womöglich vor allem ein Mangel an Diagnostik ist.
Die Artikel in den Publikumsmedien sind meist Verwurstungen aus Fachmedien. Und dorthin gelangen sie wie folgt: Die Forscher schicken einen Artikel, und der Verlag lässt ihn von einem Profi begutachten, der dann entscheidet, ob genügend Fleisch am Knochen ist. Oft genug fehlt dem Verlag die Zeit, und der Forscher ist so nett, gleich selber einen Gutachter vorzuschlagen – den der Verlag dann durchwinkt. Vor gut zwei Jahren hat der Springer-Verlag 64 wissenschaftliche Zeitungsartikel «zurückgezogen», die in seinen wissenschaftlichen Magazinen erschienen waren, weil die Gutachten fingiert waren. Es gab schon Fälle, in denen Autoren mittels Pseudonym ihre Einreichungen gleich selber prüften und dann zur Publikation freigaben.
Der Medizinsoziologe (verdammt!) Aaron Antonovsky fragte sich vor Jahrzehnten, wie eigentlich Gesundheit entstehe. Genauer: Welche immateriellen Ressourcen und Eigenschaften einem Menschen helfen, seine Gesundheit zu erhalten. Zur Basis seiner Salutogenese wurden drei Elemente: die Fähigkeit, die Dinge des Lebens zu verstehen. Die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können. Und der Glaube, dass das Leben einen Sinn hat. Womöglich hat die Gesundheit mit der Ernährungsforschung viel weniger zu tun, als man ahnt, aber viel mehr mit der über Jahrzehnte gewachsenen und weitergegebenen Ernährungserfahrung und dem Lebensverständnis unserer Grossmütter. Kocht man so entspannt wie sie, verliert die Wahl von Butter oder Margarine vielleicht an Bedeutung. Darum die Diätempfehlung: so weit wie möglich auf den Konsum von Bullshitstudien verzichten.