10.09.2019 Salz & Pfeffer 6/2019

Das System harzt

Text: Tobias Hüberli – Illustrationen: Philip Schaufelberger
Im Gastgewerbe alt zu werden, ist eine Herausforderung. Doch wie viel bleibt am Ende übrig? Was Gastronomen und Hoteliers über ihre Pensionskasse wissen müssen.
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«Insgesamt wird die dritte Säule, also das private Sparen, in Zukunft sicher wichtiger werden

Die berufliche Vorsorge in der Schweiz ist eine Erfolgsgeschichte: Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen von jedem Lohn einen Prozentsatz zu gleichen Teilen auf das Pensionskassenkonto des Arbeitnehmers ein. Das dort angesammelte Geld wird jährlich verzinst und beim Erreichen des Pensionsalters entweder am Stück oder zu einem festgelegten Schlüssel (Umwandlungssatz, siehe Glossar) in Form einer monatlichen Rente ausbezahlt. So weit die Theorie.

«Eigentlich harzt das System seit den Nullerjahren», sagt Cécile Richards, Geschäftsführerin der Personalvorsorge-Stiftungen der SV Group. Grund dafür sind die historisch tiefen Zinsen. Früher zahlten die Banken auf Einlagen noch fünf Prozent, heute liegt der Zins im Negativen, will heissen, die Pensionskassen als grösste institutionelle Anleger der Schweiz zahlen für ihre Guthaben bei den Banken sogar drauf.

Als «geradezu absurd» bezeichnet Michael Bolt, Direktor von Hotela, der Vorsorgeeinrichtung von Hotelleriesuisse, die aktuelle Situation. Mit Negativzinsen würden die Notenbanken den Kapitalismus abschaffen. «Wir haben uns tatsächlich überlegt, ob es für uns nicht billiger kommt, wenn wir die Liquiditäten der Kasse physisch in Form von Tausendernoten in einen Safe legen.»

Gewinn erwirtschaften die Pensionskassen derzeit mit Immobilien, vor allem aber im Börsenmarkt. «Allerdings müssen wir mehr Risiken eingehen als früher», so Bolt. Das kann aufgehen, wie 2017, oder auch nicht, wie 2018, als sowohl die Hotela wie auch Gastro Social oder die SV-Personalvorsorge-Stiftungen Verluste einfuhren und daraufhin ihren Deckungs-grad senken mussten. Erschwerend hinzu kommt die steigende Lebenserwartung. Die aktuellen Umwandlungssätze wurden vor Jahren berechnet, als, so hart es auch tönt, noch früher gestorben wurde.

Einig sind sich Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften darüber, dass es so nicht weitergehen kann. 2020 soll erneut über eine Reform der zweiten Säule abgestimmt werden, die letzten zwei Versuche scheiterten an der Urne. Momentan läuft die Vernehmlassung. Zur Diskussion stehen unter anderen eine weitere Senkung des Umwandlungssatzes (auf sechs) und die Erhöhung der Einzahlungen.Grundsätzlich blickt Bolt der Reform «eher positiv» entgegen. «Am Ende werden die Versicherten davon profitieren.» Er plädiert dafür, den Koordinationsabzug gänzlich abzuschaffen, da Teilzeitangestellten in Tieflohnbranchen dadurch Altersarmut drohe. Weniger optimistisch beurteilt Richards die Situation in der Langzeitbetrachtung. «Eine Reform garantiert vielleicht das mittelfristige Überleben der Pensionskassen, doch wir brauchen auch – und hier sind die Banken und Unternehmer gefordert – neue, nachhaltige Investitionsgefässe sowie Immobilienfonds für das generationenübergreifende Wohnen.»

Dem Arbeitnehmer bleiben indes nicht viele Möglichkeiten. Die Wahl der Pensionskasse ist Sache des Arbeitgebers (Selbstständige können und sollten, müssen sich aber keiner Einrichtung anschliessen). Ob die Kassen im Anlagemarkt künftig genügend Zins erwirt-schaften und wie lange die Banken auf den Liquiditäten Negativzinsen in Rechnung stellen müssen, weiss niemand. Bettina Pfiffner, Kommunikationsbeauftragte von Gastro Social, rät Arbeitnehmern darum, sich möglichst früh mit ihrer Altersvorsorge zu beschäftigen – und sich beraten zu lassen. «Insgesamt wird die dritte Säule, also das private Sparen, in Zukunft sicher wichtiger werden.» Für Bolt hingegen ist klar, dass letztlich nur eine generelle Erhöhung des Rentenalters das Überleben der beruflichen Vorsorge garantieren kann. Aber, so Bolt, ein Koch könne nicht bis 70 in der Küche stehen. «Für Branchen wie die Gastronomie oder das Baugewerbe braucht es die nötigen Anpassungen.»

Glossar

BVG
Im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterbliebenen- und Invalidenvorsorge (BVG) ist die berufliche Vorsorge, auch bekannt als Pensionskasse oder zweite Säule, geregelt. Die Vorsorge ist für jeden Arbeitnehmer ab einem Jahreseinkommen von 21 330 Franken obligatorisch. Der maximal versicherte Lohn beträgt 84 600 Franken.

Deckungsgrad
Beim Deckungsgrad handelt es sich um so etwas wie den Gesundheitsbarometer einer Vorsorgeeinrichtung. Er sollte idealerweise bei 115 Prozent oder mehr liegen. Mit 100 Prozent könnte die Pensionskasse im Prinzip alle Mitglieder auszahlen. Die restlichen 15 Prozent benötigt sie als Wertschwankungsreserve.

Koordinationsabzug
Der Abzug ist schwierig zu erklären. Dieser Betrag (aktuell sind es 24 885 Franken) wird vom Grundlohn des Arbeitnehmers abgezogen. Nur was dann noch übrig bleibt, ist relevant für die Berechnung des BVG-Beitrags, den Arbeitnehmer und Arbeitgeber einzahlen müssen. Der Koordinationsabzug benachteiligt Teilzeitmitarbeitende und steht deshalb in der Kritik.

Landes-Gesamtarbeitsvertrag (L-GAV)
Im Landes-Gesamtarbeitsvertrag sind wichtige Punkte der beruflichen Vorsorge branchenspezifisch festgeschrieben. Der Einheitssatz regelt beispielsweise, dass Arbeitnehmer mit 25 Jahren gleich viel einzahlen (nämlich 14 Prozent) wie Mitarbeiter ab 55 Jahren. Der normalerweise höhere Satz für ältere Mitarbeiter (15 bis 18 Prozent) erschwert Menschen über 55 Jahren oft die Stellensuche.

Mindestzinssatz
Jedes Jahr legt der Bundesrat den Mindestsatz fest (BVG-Obligatorium), zu dem die Pensionskassen die Guthaben ihrer Mitglieder verzinsen müssen. 2018 betrug der Mindestsatz ein Prozent, 2004 waren es noch vier Prozent.

Technischer Zins
Den technischen Zins erhalten Pensionäre auf ihr bei der Pensionskasse parkiertes, aber noch nicht ausbezahltes Geld. Für die aktuelle Marktlage realistisch wäre ein Zins von 1,75 Prozent.

Umwandlungssatz
Aufgrund dieses Schlüssels werden die Renten berechnet. Auf 100 000 Franken Sparguthaben und einen Umwandlungssatz von 6,8 erhält der Pensionär eine Jahresrente von 6800 Franken. Der Umwandlungssatz wird vom Parlament definiert, zurzeit beträgt er 6,8. Eine Senkung auf 6,4 scheiterte 2010 an der Urne. In der aktuellen Vernehmlassung für die geplante Reform plädieren aber auch die Gewerkschaften für eine Senkung auf 6, die Wirtschaft sowieso.

Überobligatorischer Teil
So nennen sich freiwillige Einlagen eines Arbeitnehmers, die das Obligatorium von 84 600 Franken übersteigen.

Die Pensionskassen des Gastgewerbes

Gastro Social

Die Pensionskasse von Gastrosuisse existiert seit 1974. Sie ist mit 171 890 versicherten Arbeitnehmern und 20 677 angeschlossenen Betrieben die grösste der Branche. Mit 66 Franken pro Destinatär weist die Kasse zudem erstaunlich tiefe Verwaltungskosten aus. Nebst der Beratung von Selbstständigerwerbenden und Firmen bietet Gastro Social jeweils im Januar auch Kurse über die Änderungen im Sozialversicherungsbereich und in dem dazugehörenden L-GAV-Teil an.

Deckungsgrad (2018): 121,6 ProzentTechnischer Zins: 2,75 Prozent
Technischer Zins: 2,75 Prozent
Verzinsung Guthaben (2018): 1,5 Prozent
www.gastrosocial.ch

Hotela
Die Pensionskasse von Hotelleriesuisse war 1996 noch mit einem Deckungsgrad von 125 Prozent ausgestattet, erlebte anschliessend aber schlechte Jahre (auch weil sie ihren Mitgliedern weiterhin hohe Zinsen auszahlte). Nach der Finanzkrise 2007 sank der Deckungsgrad auf 80 Prozent. Eine neue Führung sanierte die Hotela (über die eigenen Mittel) und brachte den Deckungsgrad 2017 wieder auf 106 Prozent. 2018 schrumpfte dieser dann aber aufgrund des schlechten Aktienmarkts wieder auf 99,3 Prozent.

Deckungsgrad (2018): 99,3 Prozent
Technischer Zins: 3 Prozent
Verzinsung Guthaben (2018): 1 Prozent
wwww.hotela.ch

Personalvorsorge-Stiftungen der SV Group

Die SV Group unterhält seit 75 Jahren eine firmeneigene Vorsorgelösung, die in eine BVG- und eine zusätzliche überobligatorische Personalvorsorgestiftung aufgeteilt ist. 2018 waren ihr insgesamt 4544 Personen angeschlossen, davon waren 1252 pensioniert. Das Anlagejahr der Personalvorsorge-Stiftungen des SV war ebenso wie für die meisten autonomen Pensionskassen enttäuschend. Der Deckungsgrad sank 2018 bei beiden Stiftungen. Der Anschluss an die überobligatorische Lösung ist nur für Schlüsselmitarbeiter möglich.

Deckungsgrad (2018): 111,5 Prozent (BVG), 122,7 Prozent (PV-Stiftung)
Technischer Zins: 2,25 Prozent (BVG + PV-Stiftung)
Verzinsung Guthaben (2018): 1 Prozent (BVG), 2,5 Prozent (PV-Stiftung)
www.pksv.ch