«Er ist das einzige wirklich notwendige Essbesteck.»
Einst war es die hohle Hand, die dem Menschen das Essen und Trinken erleichterte. Ihr nachempfunden sind die ersten Löffel aus der Jungsteinzeit, geschnitzt aus Holz und Knochen. Flüssiges rann uns fortan nicht mehr durch die Finger, sondern machte einen Umweg über den Löffel, an dem der Mund ansetzte. Dieses zuweilen geräuschvolle Unterfangen hat dem Gerät vermutlich seinen Namen eingetragen: Das altdeutsche «leffil» leitet sich nämlich von «laffan» ab, dem Verb für «schlürfen».
Im alten Rom gabs den Löffel in zwei Versionen. Das Cochlear, abgeleitet von «kochlos», dem griechischen Wort für «Schnecke», war kleiner und hatte mehrere Funktionen. Die Löffelschale war für Flüssigkeiten gedacht, während sich mit dem spitzen Stiel Eier öffnen oder eben Schnecken aufspiessen liessen. Mit der Ligula, einem grossen Löffel, assen die Römer Getreidebrei. Löffel aus Bronze waren Begüterten vorbehalten, während sich der kleine Mann mit einer Version aus Holz begnügen musste.
Wie die Gabel den Löffel verdrängte
Höhlenmenschen und die alten Römer sind Geschichte, was blieb, ist der Löffel. «Er ist das einzige wirklich notwendige Essbesteck», sagt Martin Hablesreiter. Der Wiener, ursprünglich Architekt, erforscht Form und Funktion von Esswaren und Tischgeräten. «Was die Gabel kann, lässt sich auch mit den Fingern erledigen», sagt er, «das sehen wir in vielen Teilen der Welt. Auch das Messer ist nur in Europa ein dauerpräsenter Tischbegleiter. In den USA etwa wird es weggelegt, sobald das Fleisch geschnitten ist.»
Obwohl multifunktional und in allen Kulturen vertreten, sei der Löffel heute das Stiefkind in der europäischen Bestecktrilogie. «In der Spitzengastronomie spielt er bloss noch eine Nebenrolle», bedauert Hablesreiter, «selbst für Saucen ist die Gabel da, weil es sich nicht schickt, mit dem Löffel zu essen.» Hablesreiter erklärt diese Entwicklung mit Assoziationen, die der Löffel weckt: «Er erinnert an Babykost und Altersheim – ans Gefüttertwerden. Darum halten wir lieber eine Gabel in der Hand.»
Völlig absurd sei das, sagt der Food-Designer, denn wer auf den Löffel und seine grosszügige Ladefläche verzichte, nehme sensorische Einbussen in Kauf. So zeigten wissenschaftliche Untersuchungen, dass es die Textur des Essens sei, die zum Feuerwerk der Sinne im Gaumen den Löwenanteil beitrage. Nicht umsonst habe unsere Esskultur Lebensmittel wie Fladenbrot oder hohle Teigwaren hervorgebracht. «Wie der Löffel ermöglichen sie uns, eine Vielzahl verschiedener Konsistenzen auf einmal aufzunehmen», erklärt Hablesreiter, «das steigert das Sinneserlebnis im Mund.»
Alles aufs Mal, das liebt der Gaumen
Aus diesem Grund gibt Peter Knogl dem Löffel wenn immer möglich den Vorzug. Im Basler Restaurant Cheval Blanc serviert der Drei-Sterne-Koch 90 Prozent aller Gerichte mit dem Löffel. «Der Löffel», sagt Knogl, «bringt alle Geschmacksrichtungen gleichzeitig in den Mund. Mit der Gabel klappt das nicht.» Er sei schweizweit der erste Koch gewesen, der selbst zu Fisch einen Löffel gereicht habe, sagt Knogl. «Die Leute mussten sich umgewöhnen, merkten aber schnell, dass Essen so mehr Spass macht.» Da, wo mit der Gabel hantiert werde, blieben Püree, Jus oder Sauce auf dem Teller zurück. «Das ist schade», sagt Knogl, der saubere Teller retour bekommt, seit er seinem Faible für den Löffel freien Lauf lässt.