Das theatralische Erlebnis eines Dinners im Kopenhagener Alchemist ist in mehr als einer Hinsicht überwältigend. Nur schon einen Platz zu ergattern, gleicht einem Hindernislauf und beschäftigt Kulinarikfreaks über Wochen. Denn die Plätze werden in Form von Tickets verkauft – und diese alle drei Monate online geschaltet. Ausverkauft sind sie jeweils innerhalb von wenigen Minuten. Die Warteliste umfasst eine runde Million hungriger und zahlungskräftiger Menschen: Das Ticket für den Abend kostet ohne Getränke rund 800 Franken.
Steht man dann endlich vor der überhohen, mit einer tonnenschweren Bronzeskulptur geschmückten Türe, ist man also auf einiges gefasst. Man wird zunächst durch ein digitales Kunstlabyrinth geleitet, in dem ikonische Fotos weltberühmter Menschen gezeigt werden, denen eine Software das Gesicht des Gastes aufzaubert. Man findet sich also in einem dunklen Raum als Charlie Chaplin oder Greta Thunberg wieder. Die Idee für die Instal- lation stammt von Alchemist-Gründer und Küchenchef Rasmus Munk selbst und hat verschiedene Ebenen der Aussage. Eine ist sicher: Du bist heute als Gast im Mittelpunkt, aber denk daran, dass der (digitalen) Welt nicht zu trauen ist.
Das Essen beginnt mit einem Pisco Sour, der sphärifiziert in einem metallenen Gänseblümchen gereicht wird. Man befindet sich für die ersten Snacks in einer eleganten Lounge und hat beim Wegknuspern der hervorragend zubereiteten Leckereien freien Blick in die Testküche. Hier wird tagsüber an neuen Kreationen geforscht. Wie meine nette Bedienung verrät, können nur sechs der rund 35 Köchinnen und Köche im Haus das kleine Omelett-Häppchen aus Eigelb zubereiten, dem sie zu- nächst eine Füllung aus Comté-Käse verpassen, um anschliessend das Einspritzloch mit einer hauchfeinen Scheibe Lardo zu verschliessen. Die Raffinesse und Ästhetik gibt den Ton für den ganzen Abend vor.
Es fällt auch bereits auf, dass Munk gern mundfüllende Portionen reicht. Ich werde mich noch mehrmals während des Abends fragen, wie zaghaftere Esserinnen oder Esser mit den oft happigen Happen zurechtkommen, die teils innen flüssig sind. Spätestens bei einem grosszügig fettigen, aber auch knusprigen «Luftbrot» aus Kartoffelstärke, dem eine Rosenform aus ebenfalls schmelzendem Joselito-Schinken aufgesetzt ist, merkt man: Das hat System. Munk geht gern an die Grenzen des Mach-, aber auch Essbaren.
Munk ist keiner der Sternechefs, die sich nur noch gelegentlich in ihrem Lokal zeigen. Er begleitet das Dinner den ganzen Abend hindurch und erklärt abwechselnd den Gästen einzelne Darreichungen. Dabei kann er sich den Speisenden auf Augenhöhe nähern, weil diese sämtlich an zwei verwinkelten Bars sitzen, die zusammen 52 Plätze bieten. Wir befinden uns nun im Hauptlokal, einer 20 Meter hohen Kuppel, die dem Planetarium gleicht, das Munk in seiner Kindheit als eines von wenigen erinnernswerten Erlebnissen beeindruckte. Nichts deutete damals darauf hin, dass der sympathische und auf den ersten Blick durchschnittlich wirkende Däne ein so verrücktes Projekt aufziehen und in der Kulinarikszene Weltruhm erlangen würde. Befindet man sich aber in seiner Nähe, spürt man ein geradezu übermenschliches Mitteilungsbedürfnis und echtes Interesse am Gesprächspartner.