«Wenn ein Gastronom die Geschichte seines Gerichts erzählt, spricht er auch über uns und unsere Arbeit.»
Fragen wir einen Koch oder eine Köchin nach der Philosophie des Hauses, fällt erfahrungsgemäss mindestens eins der Schlagworte: saisonal, regional, lokal. Daran ist nichts auszusetzen, im Gegenteil. Je mehr Berufsleute sich damit beschäftigen, woher die Lebensmittel stammen, die sie verarbeiten, umso besser. Gern ist in diesem Kontext dann von «kurzen Wegen» und «direktem Bezug» die Rede. Aber auch das ist ein Erfahrungswert: Wer daraus schliesst, Koch und Bauer würden sich persönlich kennen, irrt öfter, als er richtig liegt.
Denn wie es Gründe dafür gibt, als Produzent seine Ware ohne Zwischenschritt ans Gastgewerbe zu verkaufen, gibt es solche dagegen. Mit dem Argumentarium bestens vertraut ist Georg Blunier vom Biohof Dusch im bündnerischen Paspels, der stark auf die Direktvermarktung fokussiert. «Wir verkaufen über unsere eigenen Kanäle das Fleisch von 20 Rindern im Jahr, bewirtschaften rund 120 Gemüseabos, haben Ackerfrüchte wie Linsen und Co. im Angebot, pressen Rapsöl und mehr», sagt er. «Als Hof können wir flächenmässig nicht mehr wachsen, also müssen wir das innerbetrieblich tun.» Dafür spannt Blunier eben auch mit der Gastronomie zusammen – unter anderem mit Andreas Caminada, der bei ihm Gemüse kauft. Ein Vorteil der Direktvermarktung ans Gastgewerbe sei die schiere Menge: «Wenn Andreas 400 Kilo Zwiebeln reserviert oder ein anderer Koch jede Woche sein Gemüse bei uns bezieht, fällt das ins Gewicht.» Blunier schätzt in der Zusammenarbeit mit Köchen aber auch deren Verständnis für Lebensmittel: «Sie können Produkte besser einschätzen als Laien.»
Pluspunkt in der Kommunikation
Dass die Kooperation nicht nur einfach ist, auch für die Gastronomen nicht, sieht Blunier ebenso. «Nicht zuletzt wegen der Verfügbarkeit: Zwiebeln etwa haben wir von Oktober bis Februar – fertig.» Wer als Koch direkt beim Produzenten einkaufen möchte, muss also Zugeständnisse machen: «Man muss das wollen, den Sinn dahinter erkennen und die Möglichkeit haben, den Mehraufwand beim Gast geltend zu machen», sagt Blunier. Stichwort Storytelling. Das lohne sich dann auch für den Produzenten und dessen Sichtbarkeit: «Wenn ein Gastronom die Geschichte seines Gerichts erzählt, spricht er auch über uns und unsere Arbeit.»
Mit dem Mix aus spannenden Produkten wie Speisefarn oder Husarenknöpfen und einer guten Geschichte dazu machte sich in der Branche auch Stefan Brunner vom Brunner Eichhof in Spins einen Namen. 2015 traf der Biobauer auf die Gastroszene, und rasch zeigte sich, wie gut das passt: Was Brunner bislang für sich getan hatte – nämlich mit seltenen Gemüsen experimentieren –, war genau, was die Spitzengastronomie suchte. Brunner stieg voll in die Direktvermarktung an Köche ein (das war zwar nicht rentabel, wuchs aber stetig), führte eine Liefertour nach Zürich ein, übergab die Kommissionierung an eine Mitarbeiterin und fasste den Beschluss, einen zusätzlichen Mitarbeiter einzustellen, um sich um die Nachfrage aus der Gastronomie zu kümmern.
Dann kam Covid-19, der Gastroabsatz brach zusammen. «Am heutigen Punkt können wir uns die zusätzliche Investition, die es bräuchte, um den Gastrozweig durchstarten zu lassen, nicht leisten», sagt Brunner. «Also stellen wir das Angebot im aktuellen Rahmen auf Ende Jahr ein.» Sein Bedauern ist spürbar. «Mit Köchen zusammenzuarbeiten, war total spannend: Ich bekam direktes Feedback – von Menschen, die bei der Lieferung nicht zuerst die Waage auspackten, sondern vorher am Gemüse rochen und reinbissen.»
Diese inhaltliche Ebene prägt die Beziehung von Produzenten und Köchen oft. Es geht um Wertschätzung. Die sieht auch Bergkartoffelunternehmer Freddy Christandl als entscheidenden Vorteil des direkten Verhandelns. Allerdings, sagt er, dauere es, bis sich ein Koch und ein Bauer wirklich kennen – das wisse er aus seiner Zusammenarbeit mit Landwirt Marcel Heinrich. «Auf der einen Seite erwartet der Koch ein tolles Produkt, das im Idealfall über längere Zeit verfügbar ist, während der Produzent auf der anderen Seite unter Umständen mit dem Gedanken beschäftigt ist, ob er überhaupt eine Ernte einfährt.» Nichtsdestotrotz ortet Christandl in der Direktvermarktung Potenzial: «Wenn ein Koch flexibel ist und verarbeiten kann, was gerade da ist, kommt er so allenfalls an Spezialitäten heran, die es nicht in den Grosshandel schaffen.»
Von Normen abweichen
Auch Biobauer Blunier führt die Vielfalt ins Feld. In der Regel, erklärt er, müsse sich die Ware im Grosshandel für die Abfertigung in grossen Mengen, fürs industrielle Förderband eignen. «Eine unrunde Zwiebel oder ein Rüebli mit zwei Beinen passt da genauso wenig rein wie gewisse Tierrassen oder Gemüsesorten ganz allgemein», sagt er. «Die technischen Anforderungen führen zur Normierung.»
Diesen Punkt streicht Tobias Zihlmann, Gründer und Betreiber des digitalen Marktplatzes Ono, heraus. Er nennt den Grosshandel einen «gigantischen Filter für die Vielfalt, einen riesigen Treiber von Abfall und eine CO2-Schleuder». Für ihn ist klar: «Der Handel steht in der Mitte der Wertschöpfungskette und bestimmt über das Angebot – auch wenn er sich das nicht eingestehen würde.» Damit bauten die Grossisten Druck gegenüber den Produzenten auf, die diesen an die Natur weitergäben. Das System von heute, sagt Zihlmann, habe keine Zukunft: «Es verdrängt die Kleinbauern, führt dazu, dass wegen des Optimierungsdrucks und um mehr Menge zu generieren, immer mehr Monokulturen entstehen, unsere Böden erodieren und wir an Biodiversität verlieren.» Zihlmann ist überzeugt: Um diese Entwicklung zu stoppen, braucht es Alternativen. Einen Ansatz bietet er mit seiner Plattform, die für Produzenten und Gastronomen einfache Tools bereitstellt, um direkt miteinander zu geschäften. «Wir wollen die Eintrittshürde für die Direktvermarktung an die Gastronomie so niedrig wie möglich machen.» Aktuell sind dem Netzwerk 40 Produzenten und an die 200 Gastronomen angeschlossen.