20.11.2016 Salz & Pfeffer 4/2014

Der Fischernetzwerker

Text: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Als «Botschafter für Fisch und Seafood aus der nachhaltigen Fischerei» unterstützt Arne van Grondel findige Köpfe für die gute Sache. Dass die Schweizer Fischzucht zunehmend in Bewegung kommt, freut nicht nur ihn.
vangrondel-1019.jpg

«Die Schweiz ist ein Wasserschloss.»

Rekord! Satte 9,1 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte vertilgten Herr und Frau Schweizer letztes Jahr im Schnitt – so viel wie noch nie. Die gesamte Konsummenge hierzulande ist in den vergangenen 25 Jahren um rund 60 Prozent auf fast 75 000 Tonnen gestiegen. Die Erkenntnis, dass wir immer mehr Fisch und Seafood essen, ist also nicht neu: Die aktuellen Zahlen untermauern eine Tendenz, die sich seit Jahrzehnten abzeichnet. Dass dem so ist, freut einen ganz besonders. Arne van Grondel fungiert seit drei Jahren mit Leib und Seele als «Botschafter für Fisch und Seafood aus der nachhaltigen Fischerei» der Schweizer Fischhandelsfirma Marinex. Der 61-Jährige liebt Fisch, preist dessen geschmackliche Eigenständigkeit und Vielfalt sowie sein Potenzial zur Ernährung der Weltbevölkerung. Und er sieht gerade in der Gastronomie noch vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten. «Fisch wird gerne auswärts gegessen», sagt er. «Wirte und Köche sollten ihm deshalb mehr Aufmerksamkeit schenken. Dabei ist die Qualität allerdings entscheidend.» Er rät Gastronomen, genau zu vergleichen. «Im Fischhandel sorgen massive Preisunterschiede immer wieder für Verwirrung. Aber wenn man sorgfältig schaut, woher ein Produkt kommt und wie es hergestellt wird, erklären sich diese von selbst», sagt er. «Ich erlebe oft, dass sich die Leute dann sogar lieber für ein teureres Angebot entscheiden.»

Der gelernte Koch und jahrzehntelange Geschäftsführer der Michel Comestibles AG hat sich dem Thema mit einer bemerkenswerten Vehemenz verschrieben: Unablässig tingelt der passionierte Hobby- angler durch die Branche, knüpft sein grosses Netzwerk immer dichter, unterstützt Projekte, kommuniziert, tüftelt, lanciert. Dass der Bündner mit holländischen Wurzeln und einem urbanen Bauernhaus auf Sardinien vor neun Jahren eigentlich in den Ruhestand ging, hält ihn nicht davon ab, «aus Nächstenliebe» für Ideen einzustehen, die der Schweizer Fischwelt seiner Ansicht nach guttun. Er denkt mit, berät und verkuppelt – und gibt in regelmässigen Abständen Empfehlungen an Händler und Gastronomen ab. Da verwundert es nicht,dass er aus dem Stegreif eine Handvoll Projekte aufzählt, die die Fisch- und Meeresfrüchtebranche hierzulande in absehbarer Zukunft bewegen dürften.

Spannend zum Beispiel: Im Bündnerland ist die erste Schweizer Zucht von atlantischem Lachs, dem hierzulande am meisten konsumierten Fisch notabene, in Planung. Und in der Zentralschweiz haben sich in der künftigen Genossenschaft «Regiofisch Luzern» Bauern zusammengeschlossen, die in leer stehenden Ökonomiegebäuden auf Bauernhöfen in der Region Luzern Zander in geschlossenen Kreislaufanlagen produzieren wollen. Weitere Fischarten sind derzeit in Abklärung. Noch stecken diese Projekte in den Kinderschuhen. Sie zeugen aber, wie van Grondel sagt, vom Erfindergeist, der die Schweizer Fischerei beflügelt. «Es gibt innovative Menschen, die sich die Frage stellen, was wir künftig essen – und entsprechende Projekte lancieren.» Das haben auch sechs junge Herren im Solothurnischen getan: Sie bauen aktuell die erste Shrimpszucht der Schweiz auf und gehen damit gerade in die Pilotphase (siehe Seite 102). Von ersten Erfahrungen profitiert man indes bereits bei der Firma «OceanSwiss Alpine Seafood AG». Im deutschen Völklingen war im Januar letzten Jahres eine Aquafarm-Produktion in Betrieb genommen worden, aus der vor Ostern nun die ersten Fische verkauft wurden. «Die Qualität ist hervorragend», sagt Verwaltungsrat Peter Zeller. Beim Betrieb in Deutschland handelt es sich quasi um ein Pilotprojekt für die geplante Produktion in Buttisholz im Kanton Luzern. Dort sollen im Jahr 2016 Edelfische wie Wolfsbarsch, Dorade und Kingfisch «nachhaltig, umweltfreundlich und wirtschaftlich erfolgreich» gezüchtet werden. «OceanSwiss» ist als grösster Aquafarm-Betrieb der Schweiz konzipiert: Rund 1500 Tonnen pro Jahr will man hier dereinst produzieren.

vangrondel_int_1027.jpg

Van Grondel ist erwartungsgemäss begeistert von den Projekten, denen eins gemein ist: der Fokus auf Nachhaltigkeit. «Und die», sagt der Botschafter, «steht für mich immer im Zentrum.» So zitiert er gern den renommierten britischen Wirtschaftswissenschaftler Sir Paul Collier, der in seinem Buch «Der hungrige Planet» (Siedler Verlag, 2011) die bestechende These vertritt: «Die Natur ist eine Fabrik, die unendlich produzieren kann.» Collier hinterfragt den vermeintlich unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie. Wenn die Menschheit von dem lebt, was sich erneuert, sagt er etwa, kann sie die Rohstoffe ewig nutzen – unter der Voraussetzung, dass sie einen genug grossen Grundstock davon bewahrt. Van Grondel vertieft an dieser Stelle: «Fisch und Seafood wachsen bekanntlich nach; sie bekommen Nachwuchs. Und es ist wahnsinnig, wie schnell sich ein Fischbestand erholt, wenn man ihn richtig befischt!»

Der einstige Comestible-Händler kennt in dieser Frage kein Pardon und weibelt für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen des Meeres: «Wenn wir lernen, konsequent auf die nachhaltige Fischerei zu setzen, sehe ich darin grosses Potenzial», sagt er. Und die Entwicklungen geben ihm recht. Tatsächlich ist der Schweizer Konsument zunehmend für das Thema sensibilisiert, die Diskussion im Gang. «Entsprechend wächst die Nachfrage nach Fisch aus nachhaltiger Produktion», weiss van Grondel. «Nachhaltigkeit ist kein läppischer Modetrend.» Eine wichtige Rolle spielen für ihn in diesem Zusammenhang unabhängige Umweltlabel wie MSC und ASC. «Sie garantieren die Kette der Rückverfolgbarkeit.» Weiter preist er das Engagement der WWF Seafood Group: «Ihr sollten sich alle Fischhändler anschliessen.»

Bleibt eine Grundsatzfrage. Braucht ein Land wie die Schweiz – ohne Meerzugang – wirklich Seafood? Van Grondel ist kein unerbittlicher Verfechter von Regionalität, obwohl er einräumt, dass diese mit Nachhaltigkeit sehr wohl zusammenhängt. «Aber die Schweizer reisen viel, lernen Meeresfrüchte kennen und schätzen», sagt er. «Wir können uns diesen Luxus hier nun einmal leisten.» Fakt ist, dass die Schweiz ihren Bedarf an Fisch und Seafood zu 95 Prozent mit Ware aus dem Ausland deckt. «Was also in einem ersten Schritt zählt, ist, dass diese Produkte nach ökologischen Grundsätzen hergestellt werden.» Denn Tatsache ist auch, dass rund 80 Prozentder kommerziell genutzten Fischbestände im Ausland überfischt oder davon bedroht sind. Global gesehen sind aktuell gerade einmal zehn Prozent der Fischereibetriebe MSC-zertifiziert. Und traurig, aber wahr: Im Mittelmeer gibt es bislang keine einzige Fischerei, die das Label tragen darf.

«Es gibt rund um den Globus aber auch positive Beispiele», schiebt van Grondel nach, «Fischereien, die verantwortungsvoll betrieben werden, den Erhalt der Bestände garantieren und zum Schutz des Lebensraums Meer beitragen.» Und die, sagt er, gelte es eben zu unterstützen. «Für mich hat darum auch ein vietnamesicher Shrimpsbauer, der einen guten Job macht und naturnahe produziert, eine Berechtigung auf dem Schweizer Markt», erklärt er. «Im Zürichsee leben halt keine Black-Tiger-Crevetten.»

Nichtsdestotrotz sind in der Schweiz ansässige Produktionsbetriebe aus ökologischer Sicht nur schon wegen der kürzeren Transportwege sowie der strengen Vorschriften vielversprechend. «Und gerade im Bereich der naturnahen Aquakultur mit tiefen Besätzen und ohne den Einsatz von Antibiotika haben wir viele Möglichkeiten», sagt van Grondel. «Denn die Schweiz ist ein Wasserschloss – wir haben Wasser in bester Qualität. Was also will man mehr als Fisch, der darin aufgewachsen ist?»

Solothurner Krustentiere
Fangfrische Shrimps aus der Schweiz? Für manchen mag das schräg klingen – genau das ist aber die Vision von sechs findigen Jungunternehmern, die seit 2010 an einem entsprechenden Projekt für eine ökologische Aquakultur tüfteln. «SwissShrimp» beinhaltet, was der Name verspricht: hierzulande hergestellte Shrimps, frische Ware aus ökologischer Produktion. Für ihre Idee hat die visionäre Truppe 2013 den Businessplanaward der Universität Bern erhalten. Noch steckt das Projekt in seinen Anfängen, doch es geht vorwärts – und schaut vielversprechend aus. So ist beispielsweise die Finanzierung der Pilotphase, die gerade startet, dank Aktionären und Darlehensgebern gesichert.

Geplant ist eine jährliche Produktion von 50 Tonnen Shrimps. Damit würde das Startup-Unternehmen 0,6 Prozent des Schweizer Markts decken. Einen Standort für die Pilotanlage hat «SwissShrimp» auf dem ehemaligen Areal der Borregaard im solothurnischen Luterbach gefunden. Nach erfolgreicher Pilotphase wollen sich die Aquakulturpioniere im Umfeld eines Industriebetriebs einquartieren, der viel Abwärme produziert. Eben diese soll nämlich das Salzwasser, in dem die Shrimps aufwachsen, konstant auf 30 Grad erwärmen, während «SwissShrimp» als Durchlaufkühler für den Industriebetrieb dient, der so Energierecycling betreiben kann. Bestehen wird die Anlage aus mehreren Becken, in denen zeitlich gestaffelt zertifizierte, aus Florida importierte Larven ausgesetzt und aufgezüchtet werden. Die Shrimps werden mit bio-zertifizierten Pellets gefüttert, der Einsatz von Antibiotika ist kategorisch ausgeschlossen. Das Wasser wird mechanisch und biologisch aufbereitet und dann wieder in den Salzwasserkreislauf eingespeist.

In diesen Tagen wird die Pilotanlage in Betrieb genommen, um Teilprozesse der Energie, das Wachstum der Tiere sowie die Abläufe in Bezug auf Ernte, Tötung und Verpackung zu untersuchen. Die ersten Larven kommen frühestens Ende Juni in die Becken, wenn sich der Kreislauf aufgebaut hat. Laufen soll der Pilotversuch bis Ende 2015. Für Planung und Bau der «echten» Anlage ist bis zu einem Jahr eingeplant, nach deren Inbetriebnahme dauert es weitere sechs Monate, bis die ersten Shrimps das Erntegewicht von rund 30 Gramm erreicht haben. Premiere feiern wollen die Jungunternehmer 2017: Dann soll die erste Lieferung frischer Schweizer Shrimps die Produktionsstätte verlassen.

SwissShrimp AG, Jurastrasse 11, 4542 Luterbach, www.swissshrimp.ch