Sie sind auf einem landwirtschaftlichen Grossbetrieb aufgewachsen. Welches ist Ihre prägendste Kindheitserinnerung?
David Müller: Die wahrscheinlich wichtigste ist eine, die mir erst aufgefallen ist, als ich zum ersten Mal auswärts gewohnt habe: Als Kind war es für mich selbstverständlich, dass meine Mutter jeden Tag frisch und mit selbst produzierten Lebensmitteln kochte. Ich kannte schlicht nichts anderes. Was für ein Privileg wir damit hatten, begriff ich erst viel später. Heute weiss ich: Wenn ich meinen eigenen Kindern nur etwas mitgeben könnte, wäre es genau das. Gutes und gesundes Essen ist für mich das höchste Gut und damit meine ich nicht nur die Produkte an sich, sondern alles, was dazu gehört. Meine Söhne sollen wissen, was es für einen Kopfsalat und ein gutes Stück Fleisch braucht, welche Arbeit da drinsteckt. In einer Zeit, in der Lebensmittel kaum noch Wert haben, dünkt mich das wichtiger denn je.
Was meinen Sie damit?
In meiner Kindheit fielen durchschnittlich 30 Prozent der Ausgaben aufs Essen. Aktuell sind es noch fünf bis acht Prozent. Essen wird oft nur noch als Sättigung des Magens verstanden und soll möglichst wenig kosten. Mit diesem Anspruch habe ich Mühe. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich weiss, was es heisst, eine Familie zu ernähren – ich habe selbst drei Kinder. Aber irgendetwas ist da in den letzten Jahren arg aus der Balance geraten. Solange es um Autos, Handys und Ferien geht, scheint der Preis keine Rolle zu spielen – bei Lebensmitteln dafür umso mehr. Das zeigt sich auch im moralischen Spagat vieler Menschen.
Erzählen Sie.
Wählerin und Konsument sind zwei Paar Schuhe. Die Abstimmungsresultate sind klar pro Natur. In der Migros landet dann trotzdem das günstigste Produkt im Korb. Das kann nicht aufgehen. Genauso wenig wie die Idee, dass wir Landwirte möglichst ökologisch produzieren und unsere Produkte gleichzeitig zu Spottpreisen verkaufen sollen. Hier täte ein gesellschaftliches Umdenken not: mehr Qualität, weniger Wegwerfgesellschaft.
Trotzdem betreiben Sie einen eigenen Hof. Welchen Weg haben Sie für sich in diesem Spannungsfeld gefunden?
Derzeit ist die Schweizer Landwirtschaft so ausgerichtet, dass die ganz Grossen und die ganz Kleinen überleben können. Jene dazwischen gehen im Preisdruck kaputt. Die Grossen kommen dank Digitalisierung und Mechanisierung vorwärts, können sehr viel automatisieren. Die Kleinen, zu denen wir gehören, halten sich mit einer dynamischen Hofführung über Wasser. In unserem Fall heisst das: Angefangen haben wir mit viel Gemüseanbau und zwei Schafen, die uns meine Eltern geschenkt hatten. Damals waren wir auf vier Wochenmärkten präsent, hatten drei Hektaren Freilandgemüse, ein Gemüseabo – das volle Programm. Das funktionierte anfangs wunderbar, nicht zuletzt dank Corona. Genauso krass brach das Geschäft allerdings danach wieder ein und wir merkten: Mit nur einem Standbein machen wir uns zu abhängig.
Wie haben Sie diversifiziert?
Wir haben den Fokus nach und nach vom Gemüse zu den Schafen verschoben, unsere Märit-Präsenz eingeschränkt, das Gemüseabo eingestellt und den Schafbestand ausgebaut. Schafe sind in der Schweiz ein Nischending und haben einen netten Nebeneffekt: Gemüsebetrieben fehlen oft die Tiere zum Abweiden ihrer Wiesen. Unsere Schafe übernehmen das mit Vergnügen und bereiten den Boden dabei wunderbar auf die nächste Gemüseaussaat vor. Sie brauchen nur rund zehn Prozent der Grasnährstoffe, der Rest gelangt zurück in den Boden.