«Jetzt brichts endgültig aus, das Mitleid mit der Crew. Das dürfte nie passieren.»
Manchen Hoteliers gnüegelets mit diesem Samih Sawiris. Oder eher: mit dem Jubel, den der Heilsbringer aus Ägypten bekommt. Wenn er wenigstens zum Hassobjekt taugen würde, aber nein, der Mann ist nicht nur gmögig, sondern auch zäh wie die Üürschner. Und nachdem er Andermatt tatsächlich zur Ganzjahresdestination gestemmt hat, möchte auch unsereins einen Augenschein nehmen. Nicht etwa im Hotel Chedi – im zerkratzten Peugeot-Diesel möchte man nicht vorfahren, und der Maserati-SUV ist im Service –, sondern im Radisson Blu.
Als mein wonnig Eheweib und ich das Vier-Sterne-Haus betreten, spüren wir a) die relaxten Vibes in der Lobby und b) den Blick des jungen Mitmenschen an der Rezeption, der auf Opfer wartet. Wir checken ein und stellen fest: Der Mann ist mehrsprachig. Er spricht mehr als nötig. «Wenn etwas nicht gut ist, geben Sie uns bitte ein Echo. Denn ich kann leider nicht hellsehen, so weit bin ich noch nicht.» Plattwitz beherrscht er akzentfrei.
Der Gockel, der uns auf dem Weg zum Lift grell-freudig einen tollen Aufenthalt wünscht und ebenfalls einen kostenlosen Flachgag mitgibt, wirkt fast noch glücklicher über sich. Ein Walliser, dem Dialekt nach? Nein, kann nicht sein. Walliserdialekt garantiert ja eine angenehme bis kantige Trockenheit. So betritt man den verspiegelten Lift, sieht sich in die Augen und denkt: Zwei eitle Schwätzer reichen schon für eine Trübung der Laune, haben wir die Mens oder was? Wir haben doch weiss Gott schon schlimmere Narzissten überlebt.
Das Hotel gefällt. Tolles Lichtkonzept. Spannendes Resort. Die Briefkästen der Apartmenthäuser sind fast durchwegs benamst, ein halbes Dutzend Häuser sind im Bau. Auch wir würden uns so eine Lodge gönnen, wenn nicht der Maserati-SUV grad im Service wäre. So setzen wir halt aufs Hotel und geniessen anderntags das Zmorge im hauseigenen Restaurant Spun. Die Mitmenschen im Service sind freundlich und gehetzt. Corona, Unterbesetzung miese Organisation. Entweder fehlt ein Dirigent, oder er kanns nicht. Dafür markiert der Gockel wieder den Platzhirsch. Eigentlich ist er ein Platzgockel.
Zum Znacht im Spun bestelle ich zwei Gänge, mein wonnig Eheweib einen, wobei sie den dazu gehörenden Salat gern vorab möchte, damit ich meine Vorspeise nicht alleine kaue. Sie bekommt zwei Salate. Bedient werden wir von vier freundlichen Mitmenschen verschiedener Zuständigkeiten, deren linke Hände nicht wissen, was die rechten Hände tun. An andern Tischen ist es ähnlich. Wir haben Zeit zum Beobachten. Ziemlich genau zwei Stunden. So lange brauchen die vier Mitarbeitenden für unsere zwei Gänge.
Auch beim zweiten Zmorge fehlt der Dirigent. Dafür kündigt ein lauter Schritt im Gang den lauten Auftritt des Platzgockels an. Er taucht auf, helikoptert durchs Restaurant, begrüsst in Überlautstärke Gäste, und zappenduster wirds in unseren Gästeseelen: Der Platzgockel ist der Dirigent. Jetzt brichts endgültig aus, das Mitleid mit der Crew. Das dürfte nie passieren.
Draussen auf der Piazza bauen sie ein herziges Buffet auf. Ein halbes Dutzend Marktstände, Kräuterrabatten und einen Smoker. Für sechs Mann bedeutet das eine Stunde Arbeit, aber die sind schon seit gestern Nachmittag dran. Sie machens zum ersten Mal, keine Frage, aber der Platzgockel hat kein Konzept und die Männer wirken ratlos. Auch das Aufräumen nach dem Event am frühen Abend wäre an sich schnell erledigt. Diesmal wirken sie nicht rat-, sondern lustlos. Irgendwie verdünnisieren sie sich, um sieben Uhr steht einer allein dort, im weissen Hemd, verloren im Regen, verschiebt ein paar Bretter von A nach B, bis auch er sich vom Acker macht. Die Bretter bleiben bis am andern Mittag auf der Piazza liegen, als Mahnmal der Desorganisation für die Gäste an Dutzenden Zimmerfenstern.
Nach unserem letzten Zmorge voller Mitleid merken wir beim Auschecken an, was wir beobachtet haben. Der brave Mann am Desk nickt nach drei Sätzen und seufzt: «Ich weiss, äh, ich kann schon versuchen, das weiterzuleiten, aber viel bringen wird’s wohl nicht, mit Kritik hat der Betreffende es nicht so.» Läuft eine solche Verbrüderung mit dem Gast noch unter treuherzig oder doch schon unter verzweifelt? Auf dem Heimweg konsultiert unsereins Tripadvisor. Von den 33 Restaurants in Andermatt liegt das Spun auf Rang 27. Note 3,5. Die Kritiken betreffen primär organisatorische Fragen. Auf keine der Kritiken hat ein Gastgeber reagiert.
So manche Gäste dieseln also heim, denken beim Stichwort Andermatt weiterhin an Samih Sawiris und lassen sich die Erinnerung an ihren Besuch von einem Geschehen überschatten, mit dem dieser überhaupt nichts zu tun hat. Nicht der Besitzer stellt die Leute ein, sondern der Betreiber. Aber wer ein Unternehmen verkörpert, kriegt halt nicht nur den Jubel, sondern auch die Haue ab. «Fahren wir doch in einem Jahr wieder rauf», bemerkt das wonnige Eheweib, «um nachzusehen, ob dem HR vom Radisson Blu auch was aufgefallen ist.»