15.11.2017 Salz & Pfeffer 8/2017

Der rote Faden

Text: Virginia Nolan – Fotos: Njazi Nivokazi
Seit zehn Jahren baut Silvia Bossard im Aargau Safran an. Was als belächelter Versuch begann, geniesst in der gehobenen Küche heute viel Anerkennung.
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«Sind die Blüten da, muss es schnell gehen.»

Es ist Ende Oktober und ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch. Der Wald trägt alle Farben, die Sonne taucht Wiesen und Felder in goldenes Licht. Das Auge entdeckt erst auf den zweiten Blick, was nicht so recht ins Bild passt: Krokusse, die aus dem Gras schiessen. Wo Frühlingsboten im Herbst blühen, hatte Silvia Bossard die Hände im Spiel. Seit zehn Jahren baut die 57-Jährige in Aristau und Hendschiken auf 8000 Quadratmetern einen noblen Verwandten des hiesigen Krokus an. Der Crocus sativus, ursprünglich im Orient beheimatet, birgt in seiner Blütenröhre einen Schatz: drei sogenannte Stempelfäden, dünn wie Spinnenbeine, rot wie Feuer, teurer als Gold. Ihr charakteristischer Duft entlarvt sie als Safran, die Königin der Gewürze.

Handarbeit von A bis Z
«Keine gute Idee», lautete das Urteil ihres Vaters, als Silvia Bossard dem Landwirt vor elf Jahren eröffnete, sie wolle einen Versuch mit Safranknollen wagen. Die Jahrzehnte als Bauer hatten den Vater eines gelehrt: Mit Handarbeit kommt nicht weit, wer überleben will. Die Tochter versuchte es trotzdem, und der Vater leistete, allen Bedenken zum Trotz, Schützenhilfe. Er stellte vier Testfelder zur Verfügung, und zusammen mit Freunden grub Bossard 600 Knollen eigenhändig in den Boden ein. Dass ein Teil davon gedieh, war für die gelernte Maschinenzeichnerin Grund genug, weiterzumachen. Im Jahr 2007 pflanzte Bossard 15 000 weitere Knollen. «Von Hand», sagt sie, «zwei Wochen lang.» Weder zerstörerische Raupen, gefrässige Ameisen noch das Kopfschütteln der anderen konnten Bossard von ihrer Beharrlichkeit abbringen. Heute ist sie mit ihrem Unternehmen Tagora und einer Jahresernte von zwei bis drei Kilogramm die grösste Safranproduzentin der Schweiz.

Das Safranfeld mutet an wie eine gewöhnliche Wiese. Bei näherem Hinsehen zeigen sich filigrane Blüten zwischen Grashalmen. Drei Frauen sind gekommen, um die Blütenköpfe zu pflücken. Im weit verzweigten Netz von Dorffrauen, die bei der Ernte helfen, gehört Emmy Kuhn zum harten Kern. Während vier bis sechs Wochen geht die 62-Jährige täglich aufs Feld, manchmal sind über 20 andere Helferinnen dabei. «Sind die Blüten da, muss es schnell gehen», sagt sie. Narbenfäden von verblühten Blumen sind unbrauchbar, und Regennässe erschwert die Handarbeit im Anschluss an die Ernte. Dieses Jahr fing der Safran bereits Ende September an zu blühen, früher als sonst. «Wir trugen sackweise vom Feld», sagt Kuhn und blickt etwas verlegen auf die magere Ausbeute im Papiersack. Immerhin, sagt die Rentnerin, müsse sie heute nicht bis zur Geisterstunde fädeln.

150 Blütenköpfe für ein Gramm
Fädeln, so nennen die Frauen die Arbeit, zu der sie sich nach der Ernte am langen Tisch versammeln. Vor ihnen liegen gut drei Dutzend Blütenköpfe. Jetzt gilt es, die roten Stempelfäden vorsichtig herauszulösen. Der Farbstoff im Safran ist so intensiv, dass nach kurzer Zeit alle Helferinnen goldgelbe Fingerkuppen haben. «Fädeln dauert jeweils doppelt so lang wie Ernten», erklärt Kuhn die Faustregel. An dieser Stelle wird auch klar, warum Safran höhere Preise erzielt als Gold: Für ein einziges Gramm braucht es die Stempelfäden von 150 Blütenköpfen, aussortiert in Handarbeit. Anschliessend werden Safranfäden wie Tee bei niedrigen Temperaturen getrocknet.

Bis ins 14. Jahrhundert hinein wurde Safran in der Schweiz angepflanzt, verschwand dann aber von der Bildfläche. Eine Ausnahme bildet Mund, ein Walliser Bergdorf, das den Crocus sativus seit Jahrhunderten kultiviert. Zu kaufen gibt es den Safran dort aber ausschliesslich vor Ort und für Auswärtige nur unter der Hand. Im Mittelland war Silvia Bossard die Erste, die heimischen Safran einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte. Im Lauf der Jahre sind Nachahmer auf den Markt gekommen, von denen viele das Geschäft wieder eingestellt haben. «Vermutlich, weil Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis zueinander stehen», sagt Bossard. Ihr Betrieb habe das gleiche Problem, sagt die Safran-Pionierin, die ihre Firma ohne Businessplan und Buchhaltung startete und ihre unternehmerische Standfähigkeit aus barer Liebe zur Sache schöpft. Dank dem Safran hat Bossard nämlich auch den roten Faden in ihrem Leben wieder aufnehmen können, das nach einem Flugzeugabsturz aus den Fugen geraten war. Ihr Mann, ein Zuger Unternehmer, war beim Unglück ums Leben gekommen, Bossard selbst überlebte mit schweren Verletzungen. Es folgten Jahre der Rehabilitation, schliesslich die Frage: Wie weiter?
 

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Pionierin auf dem Feld: Silvia Bossard war die Erste, die Schweizer Safran einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte.
Pionierin auf dem Feld: Silvia Bossard war die Erste, die Schweizer Safran einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte.
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Teures Gut, billige Fälschungen 
Zum Safran ist die Bauerntochter zufällig gekommen – ein Zeitungsartikel weckte ihre Begeisterung dafür. Vor allem schien der Anbau der Pflanze mit Bossards eingeschränkter Leistungsfähigkeit vereinbar zu sein: «Einmal im Jahr vier Wochen lang anpacken, sagte ich mir, das schaffe ich.» Bossard macht keinen Hehl daraus, dass Safran ihre Beschäftigungstherapie ist. «Trotzdem», sagt sie, «müssen wir wirtschaftlicher werden.» Den Löwenanteil ihrer Einnahmen machen die Frauen mit Safrankreationen wie Likör, Sirup oder Gebäck, die sie an Märkten verkaufen. Mit der Fachhochschule Nordwestschweiz spannt Bossard zusammen, um gesundheitsfördernde Eigenschaften von Safran besser zu erforschen. Auf der Basis zellerneuernder Wirkstoffe aus den Blüten hat Tagora etwa eine Tagescreme entwickelt, weitere Produkte sollen folgen. Flaggschiff, aber auch Sorgenkind des Unternehmens bleiben die Safranfäden. Mit den 48 Franken, die Bossard für ein Gramm verlangt, deckt sie ihre Kosten nicht: «Trotzdem haben die Leute das Gefühl, es sei zu teuer.» 

Dass günstiger Safran ein Ding der Unmöglichkeit ist, belegt ein Ordner mit der Aufschrift «Kuriositäten». Darin befinden sich Verkaufsmuster von Safran aus dem In- und Ausland, die Bossard untersuchen liess. Die Laborberichte sind vernichtend: Da entpuppten sich Safranfäden als Rindfleischfasern und als Sandelholzsplitter, als eingerollte Blütenblätter von Färberdistel, Ringelblume und Arnika. Safranpulver wurde derweil mit Paprika, Ziegelmehl, Kreide oder Kurkuma gestreckt. Verschiedene Experten gehen davon aus, dass es sich bei bis zu 90 Prozent des weltweit gehandelten Safrans um gefälschte Ware handelt.

Viel Zuspruch aus der Küche
Einer geschulten Nase kommt das nicht in die Tüte. Albi von Felten vom Landhotel Hirschen in Erlinsbach, Schweizer Wegbereiter der regionalen Küche, gehört zu Bossards Kunden der ersten Stunde. «Ihr Produkt ist fein, ausgereift und vielseitig einsetzbar», sagt der Gastronom. Sein Küchenchef verfeinere mit Aargauer Safran Suppen und Saucen, Crèmes und Sorbets, Konfitüren oder Kartoffelstock. «Silvia ist es gelungen, das Angebot unserer Region mit einem ganz neuen Schwerpunkt zu bereichern», freut sich von Felten, der im Hirschen einen lokalen Fokus pflegt. «Zudem steckt dahinter eine starke Geschichte, die ich meinen Gästen erzählen kann.» Die zählt auch für Jan Gassen, der als Küchenchef die drei Restaurants im Hotel Chesa Rosatsch in Celerina verantwortet. «Früher ging der Gast essen», sagt er, «heute will er eine Story erleben.» Der Slow-Food-Koch stellt seine Kleinproduzenten auf der Speisekarte vor, bald sollen sie sogar mit Bild im Restaurant vertreten sein. Auch von Silvia Bossard wird es ein Foto geben. «Mittlerweile hat sie Nachahmer», sagt Gassen, «aber ich halte von ihrem Produkt nach wie vor am meisten. Sie hat nicht einfach eine Marktidee, sondern ist der Qualität verpflichtet. Das schmeckt man.»

Auch Nenad Mlinarevic setzte im Park Hotel Vitznau auf Aargauer Safran, sei es im Rüeblikuchen oder in der Eiscrème, in Suppen oder in einer Weissweinsauce, die er etwa zu geschmortem Fenchel oder gebratenem Ziegenkäse reichte. Der ambitionierte Sternekoch tut es Bossard gleich und rät, die Safranfäden lange genug in Flüssigkeit einzuweichen, damit sie Geschmack und Farbe entfalten können. «Ich lasse sie sogar über Nacht in der Sauce ziehen, bevor ich diese passiere», sagt Mlinarevic. «Dann kriegt man diese knallgelbe Farbe und einen unglaublich intensiven Geschmack.»

Ab 2018 darf der Aargauer Safran das Bio-Label tragen. Bossard hofft, dass sie dann nicht mehr ganz so häufig erklären muss, warum ihr Safran seinen Preis hat. Der Durchschnittskonsument mache da ohnehin einen kategorischen Denkfehler, findet Gastronom Albi von Felten. «Über Preise wissen alle stets Bescheid», sagt er, «was fehlt, ist die Kenntnis vom Wert einer Sache. Wir sollten anfangen, uns auch dafür zu interessieren.»

Tagora, Kapfstrasse 29, 5628 Aristau, 056 670 96 16, www.tagora.ch