«Sind die Blüten da, muss es schnell gehen.»
Es ist Ende Oktober und ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch. Der Wald trägt alle Farben, die Sonne taucht Wiesen und Felder in goldenes Licht. Das Auge entdeckt erst auf den zweiten Blick, was nicht so recht ins Bild passt: Krokusse, die aus dem Gras schiessen. Wo Frühlingsboten im Herbst blühen, hatte Silvia Bossard die Hände im Spiel. Seit zehn Jahren baut die 57-Jährige in Aristau und Hendschiken auf 8000 Quadratmetern einen noblen Verwandten des hiesigen Krokus an. Der Crocus sativus, ursprünglich im Orient beheimatet, birgt in seiner Blütenröhre einen Schatz: drei sogenannte Stempelfäden, dünn wie Spinnenbeine, rot wie Feuer, teurer als Gold. Ihr charakteristischer Duft entlarvt sie als Safran, die Königin der Gewürze.
Handarbeit von A bis Z
«Keine gute Idee», lautete das Urteil ihres Vaters, als Silvia Bossard dem Landwirt vor elf Jahren eröffnete, sie wolle einen Versuch mit Safranknollen wagen. Die Jahrzehnte als Bauer hatten den Vater eines gelehrt: Mit Handarbeit kommt nicht weit, wer überleben will. Die Tochter versuchte es trotzdem, und der Vater leistete, allen Bedenken zum Trotz, Schützenhilfe. Er stellte vier Testfelder zur Verfügung, und zusammen mit Freunden grub Bossard 600 Knollen eigenhändig in den Boden ein. Dass ein Teil davon gedieh, war für die gelernte Maschinenzeichnerin Grund genug, weiterzumachen. Im Jahr 2007 pflanzte Bossard 15 000 weitere Knollen. «Von Hand», sagt sie, «zwei Wochen lang.» Weder zerstörerische Raupen, gefrässige Ameisen noch das Kopfschütteln der anderen konnten Bossard von ihrer Beharrlichkeit abbringen. Heute ist sie mit ihrem Unternehmen Tagora und einer Jahresernte von zwei bis drei Kilogramm die grösste Safranproduzentin der Schweiz.
Das Safranfeld mutet an wie eine gewöhnliche Wiese. Bei näherem Hinsehen zeigen sich filigrane Blüten zwischen Grashalmen. Drei Frauen sind gekommen, um die Blütenköpfe zu pflücken. Im weit verzweigten Netz von Dorffrauen, die bei der Ernte helfen, gehört Emmy Kuhn zum harten Kern. Während vier bis sechs Wochen geht die 62-Jährige täglich aufs Feld, manchmal sind über 20 andere Helferinnen dabei. «Sind die Blüten da, muss es schnell gehen», sagt sie. Narbenfäden von verblühten Blumen sind unbrauchbar, und Regennässe erschwert die Handarbeit im Anschluss an die Ernte. Dieses Jahr fing der Safran bereits Ende September an zu blühen, früher als sonst. «Wir trugen sackweise vom Feld», sagt Kuhn und blickt etwas verlegen auf die magere Ausbeute im Papiersack. Immerhin, sagt die Rentnerin, müsse sie heute nicht bis zur Geisterstunde fädeln.
150 Blütenköpfe für ein Gramm
Fädeln, so nennen die Frauen die Arbeit, zu der sie sich nach der Ernte am langen Tisch versammeln. Vor ihnen liegen gut drei Dutzend Blütenköpfe. Jetzt gilt es, die roten Stempelfäden vorsichtig herauszulösen. Der Farbstoff im Safran ist so intensiv, dass nach kurzer Zeit alle Helferinnen goldgelbe Fingerkuppen haben. «Fädeln dauert jeweils doppelt so lang wie Ernten», erklärt Kuhn die Faustregel. An dieser Stelle wird auch klar, warum Safran höhere Preise erzielt als Gold: Für ein einziges Gramm braucht es die Stempelfäden von 150 Blütenköpfen, aussortiert in Handarbeit. Anschliessend werden Safranfäden wie Tee bei niedrigen Temperaturen getrocknet.
Bis ins 14. Jahrhundert hinein wurde Safran in der Schweiz angepflanzt, verschwand dann aber von der Bildfläche. Eine Ausnahme bildet Mund, ein Walliser Bergdorf, das den Crocus sativus seit Jahrhunderten kultiviert. Zu kaufen gibt es den Safran dort aber ausschliesslich vor Ort und für Auswärtige nur unter der Hand. Im Mittelland war Silvia Bossard die Erste, die heimischen Safran einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte. Im Lauf der Jahre sind Nachahmer auf den Markt gekommen, von denen viele das Geschäft wieder eingestellt haben. «Vermutlich, weil Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis zueinander stehen», sagt Bossard. Ihr Betrieb habe das gleiche Problem, sagt die Safran-Pionierin, die ihre Firma ohne Businessplan und Buchhaltung startete und ihre unternehmerische Standfähigkeit aus barer Liebe zur Sache schöpft. Dank dem Safran hat Bossard nämlich auch den roten Faden in ihrem Leben wieder aufnehmen können, das nach einem Flugzeugabsturz aus den Fugen geraten war. Ihr Mann, ein Zuger Unternehmer, war beim Unglück ums Leben gekommen, Bossard selbst überlebte mit schweren Verletzungen. Es folgten Jahre der Rehabilitation, schliesslich die Frage: Wie weiter?