16.10.2018 Salz & Pfeffer 7/2018

Der Zukunft auf der Spur IX

Text: Martin Jenni – Fotos: Claudia Link
Auf unserer Talentsuche gehts nicht um Köche, die ein Mikado an Mikroelementen anrichten, sondern um reelle Bratkünstler, die bei der Zubereitung eines luftigen Omeletts nicht gleich überfordert sind. Drei Geschichten – und einige Gerichte.
Marko Merker
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Ragout vom Kaninchen mit Joghurt-Minze-Sauce und blauen Schwedenkartoffeln
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«Die gleiche Hingabe, die ich ins Kochen stecke, wünsche ich mir von meinen Gästen.»
Ein Restaurant zu führen ist schwierig, und wer sich auf ein solches Risikogeschäft einlässt, beweist Mut – oder ist von Sinnen. Denn wer schlägt sich schon gern täglich mit den Marotten seiner Kochdiven herum? Dazu kommen die Vorschriften, die Kontrollen, die Banken, die keine Kredite mehr geben, und die Gäste, die immer komplizierter werden. Letztere sind oft Quälgeister, die alles besser wissen und das auf Tripadvisor festhalten müssen. Einige werden dabei zu kleinen Inquisitoren, die ihre in Wort und Schrift verfasste Blutspur im Netz zurücklassen, andere entwickeln sich beim Restaurantbesuch zu Hypochondern, die hinter jedem persönlichen unerwarteten luftigen Tönchen eine Unverträglichkeit erkennen.

Was aber hat das mit Talent zu tun? Sehr viel. Zahlreiche Jungköche kehren heute der Gastronomie nach ihrer Ausbildung den Rücken, verkriechen sich in die Küchen von Tagesstätten oder Altersheimen, weil hier die Arbeitszeiten geregelt und reklamierende Gäste selten sind. Gottlob gibt es Ausnahmen: teamfähige Schaffer mit Ideen im Kopf. Salz & Pfeffer hat drei solchen Talenten über die Schultern und dabei nicht aufs Alter geschaut.

Langfristige Hingabe: Marko Merker
Der Werdegang von Marko Merker gehört in die Sparte speziell. Er wuchs in Sachsen auf, lernte Maurer und diente acht Jahre in der Bundeswehr, davon einige Zeit in Afghanistan. Danach schloss er eine Ausbildung zum Jugend-und Heimerzieher ab und setzte sich als Chauffeur ans Steuer. Nicht gerade ideale Voraussetzungen, um erfolgreich am Herd zu stehen und eine spannende Urküche von Berg und Tal zu zelebrieren. In der Küche begann Merker als Spüler, wechselte zur kalten Küche und zur Patisserie, bevor er sich entschloss, den Beruf Koch zu erlernen – mit allem, was dazugehört. «Auch, nochmals die Schulbank zu drücken mit Schülern, die meine Kinder sein könnten», wie Merker salopp bemerkt.

Dass er heute in der Mühle in Geschinen als Küchenchef und Geschäftsführer tätig ist, hat auch mit Klaus Leuenberger vom Restaurant Erner Garten zu tun, der sein Schwager ist. «Bei ihm habe ich schnell gelernt, dass Kochen nicht einfach kochen ist, sondern schmoren, glasieren, dünsten, braten, garen und, und, und ...» Die ersten Kochversuche gefielen ihm gut, obschon die Arbeitszeiten und die Zimmerstunden anfangs ungewohnt waren. «Und die Hitze in der Küche, die war sehr gewöhnungsbedürftig», ergänzt er. Nun, Merker ist angekommen, hat nach Jahren der Suche seinen Beruf, sein Glück gefunden. Ja, und Klaus Leuenberger ist sein Vorbild. «Sein Verständnis von Typizität, von Regionalität beeindruckt», sagt Merker.

Leuenberger, der geniale Koch mit wachem Geist, war den Trends schon immer voraus. Seit Jahrzehnten kocht er eine lokale, regionale, aussergewöhnliche und inspirierende Küche. Kein Wunder trägt Marko Merker den Kochvirus in sich, bei solch einem Lehrmeister und Freund. In seiner Kindheit war es die Oma, die ihn mit einfachen Gerichten überzeugte, während seine Jugend geprägt war von Pizza, Pasta und Fast Food. Und auf einmal war das Wallis da. Sonnig, bergig, Natur satt – mit Gerichten und Zutaten, die Merker so nicht kannte. Er lernte, was Cholera ist und wie sie schmeckt, dass Dachs und Fuchs essbar sind, wie in der Küche von Leuenberger alles verwertet wird. «Als ich mich das erste Mal mit Tannenspitzenglace beschäftigte, kam mir unweigerlich meine Kindheit und das Fichtennadelschaumbad in den Sinn», erinnert sich Merker lachend. «Heute rieche ich die Nadeln, wenn ich im Goms durch die Wälder streife oder im Binntal mit dem Velo unterwegs bin.»

Die Mühle in Geschinen und Marko Merker haben sich gefunden. Frech, überraschend, spannend ist seine Küche, in der er schon mal das Lamm zu Tatar, Consommé und Frikassee verarbeitet, oder ab zwei Personen auf Vorbestellung Keule und Rücken vom Gommer Lamm à la Cäsar Ritz am Tisch flambiert. Langweilig wirds dem anspruchsvollen Gaumen in der Mühle nicht. Auch bei Wirsing-Rouladen und Alpenfladen nicht. Auf die Frage, was ihn eigentlich in seinem Alter noch dazu motiviert habe, den Kochberuf zu lernen, sagt Marko Merker: «Ich wollte die Grundfertigkeiten besser verstehen und anwenden können.» Einen deutlichen Wunsch richtet er auch an die Gäste: «Kochen ist meine Leidenschaft, ist ein Handwerk und benötigt Zeit. Die gleiche Hingabe, die ich ins Kochen stecke, wünsche ich mir von meinen Gästen.» Wenn das keine Ansage ist.

Zweierlei Tatar von Kartoffel mit Zitrone und Steinbock, garniert mit in Verjus eingelegter Sonnenblumenknospe
Zweierlei Tatar von Kartoffel mit Zitrone und Steinbock, garniert mit in Verjus eingelegter Sonnenblumenknospe
Geräuchertes Eglifilet auf Dinkelsalat mit wilden Heidelbeeren
Geräuchertes Eglifilet auf Dinkelsalat mit wilden Heidelbeeren
Mady Wattiau
Mady Wattiau
Grüner-Apfel-Tarte-Tatin
Grüner-Apfel-Tarte-Tatin
Sacher Torte – etwas anders
Sacher Torte – etwas anders
Himbeerschnitte mit weisser Schokoladencreme
Himbeerschnitte mit weisser Schokoladencreme
Sebastian Hartmann
Sebastian Hartmann
Kalbsbrust mit geräucherten und konfierten Tomaten
Kalbsbrust mit geräucherten und konfierten Tomaten
Konfierter Saibling mit geschmorten Randen, Sellerie und saurem Apfel
Konfierter Saibling mit geschmorten Randen, Sellerie und saurem Apfel
Gurkenkaltschale mit Fenchel und Joghurt
Gurkenkaltschale mit Fenchel und Joghurt

Neugier und Passion: Mady Wattiau
Manches Schleckmaul pilgert für die süsse Musse der Patisserien ins Elsass. Umso besser, wenn einige der exzellenten Patissièren von dort in die Schweiz kommen. Wie Mady Wattiau, die im elsässischen Obernai aufwuchs und seit knapp zwei Jahren im Hotel Restaurant Bad Schauenburg Arbeitgeber und Gäste begeistert. «Ohne einen morgendlichen Kaffee läuft bei mir nichts», erklärt sie zur Begrüssung. Und erzählt: «Meine Ausbildung absolvierte ich in der Hostellerie des Châteaux in Ottrott, einem Betrieb, in dem man sich Zeit für die Lernenden nimmt und diesen eine umfassende Ausbildung ermöglicht.» Wattiau spricht über eine perfekte Lernzeit: «Wir durften früh Verantwortung mittragen und Caterings, Hochzeiten, Bankette und Seminare organisieren.»

Das prägt. Mady Wattiau ist eine sympathische Person, die gern ausbricht, um ihre Neugierde auf fremde Kulturen zu befriedigen. Nach ihrer Prüfung verliess sie Frankreich, wollte nach London und landete durch einen Jugendfreund im chinesischen Guangzhou, wo sie die dortigen Gourmets mit ihren Delikatessen verwöhnte. Danach reiste sie nach Hongkong und arbeitete in einer Konditorei. «China war ein unglaubliches Abenteuer», sagt Wattiau. «Meine Lieblingsküche ist eh die asiatische, mein Leibgericht Tom Kha Gai, der thailändische Suppenklassiker.» Nach ihrer Zeit in Asien kehrte sie nach Frankreich zurück. Aber nicht für lange. Ein Jahr später arbeitete sie in einem luxuriösen Fünf-Sterne-Hotel auf Bora Bora, bevor sie innerhalb der gleichen Hotelgruppe in Abu Dhabi und dann in Neukaledonien (einer französischen Inselgruppe im Südpazifik) tätig war.

Mit diesen vielseitigen kulinarischen Erkenntnissen trat Wattiau ihre Stelle im Traditionshaus Bad Schauenburg an, das zu dieser Zeit gerade umfassend saniert und renoviert wurde. Mittlerweile zeigt sich der Betrieb in neuem Glanz, und Spitzenkoch Francis Mandin und Patissière Mady Wattiau freuen sich über ihre neue Rolls-Royce-Küche. Geleitet wird das Haus von Stéphanie Häring, der Tochter von Patron Fredi Häring, und Maître d’hôtel Urs Hischier, der seit 30 Jahren an Bord ist. Die beiden sympathischen Gastgeber werden auch dann nicht nervös, wenn Grandseigneur Fredi Häring im Haus zugegen ist und die Stammgäste herzlich begrüsst.

«Wir sind wie eine grosse Familie» sagt Wattiau. «Und jeder Tag in der Gastronomie ist ein Abenteuer.» Schon die Jugendzeit war für sie spannend, hatten ihre Grosseltern doch eine Bäckerei und Konditorei, in der es viel zu sehen und zu naschen gab. «Ihr Können und ihre Leidenschaft gaben sie an meine Mutter und an mich weiter. Ja, wir sind eine Familie von grossen Feinschmeckern», sagt Wattiau. Eine solche Leidenschaft, ein solches Ausnahmekönnen benötigt die Gastronomie: Sie sind das Salz in der Suppe – oder der Zucker in der Torte. Mady Wattiau hat Freude an ihrem Beruf, es ist ihre Berufung. Ihre Passion und ihr Können beweist sie täglich mit ihrer süssen Kunst. Abends erholt sie sich bei einem Gin Tonic (immer, wie der Morgenkaffee ein Must) und sinniert über die Physiologie des Geschmacks.

Arnaud Barberis, der heute im Château Hochberg bei Strassburg kocht, hat Mady Wattiau in ihrer gemeinsamem Zeit im Belle Vue in Saulxures schwer beeindruckt. «Seine kühne und kreative Küche, seine persönliche Art sind unvergessen, ich habe von ihm viel gelernt und die gemeinsame Zeit war die eindrücklichste in meinem bisherigen Leben.»

Leise Töne: Sebastian Hartmann
Caroline Hügi Mazzotti und Marco Mazzotti haben die Quartierbeiz Zum Wilden Mann entrümpelt, sie von Kitsch und Plunder befreit, den talentierten Jungkoch Sebastian Hartmann an Bord geholt und die patinierte Beiz im Juni 2018 eröffnet. Gemütlich ist es in der Stube, in der ein schwarzer Flügel und eine Benno-Hunziker-Fotografie des Wilden Manns ins Auge stechen. Kulinarische Langeweile kommt hier nicht auf. Erst recht nicht an den Kulturabenden, wenn sich Marco Mazzotti an den Flügel setzt, von Saxofon und Kontrabass begleitet wird – und das Jazz-Menü den Rest macht.

Sebastian Hartmann ist ein Koch der leisen Töne – die lauten finden in der stimmungsvollen Quartierbeiz unter den Gästen statt. Er ist bescheiden, zurückhaltend und eher in sich gekehrt als ein grosser Erzähler. Er war Küchenchef in der kleinen, feinen Brasserie Haudenschild in Biel, amtete als Truppenkoch in der Armee und verdiente seine Sporen im Grand Hotel Bad Ragaz sowie in der Schlüsselzunft in Basel ab. Seine Berufslehre hatte er zuvor im Seniorenzentrum Aumatt in Reinach absolviert, in dem ihn sein Lehrmeister und Küchenchef Peter Jakob sowie der Berufsschullehrer Christoph Kohler beeindruckten. Alles in allem gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere.

Heute tauscht Hartmann sich gern mit seiner Partnerin, die Italienerin ist, aus, da deren Verwandtschaft nicht nur liebe Grüsse und Ratschläge aus Italien schickt, sondern auch Tomatensugo, Olivenöl, Salami, Käse und mehr. Das regt den Appetit genau wie auch die Sinne und die Ideen an. «Oft inspiriert mich der Geschmack von etwas relativ Alltäglichem, das ich esse, rieche oder sehe, und ich komme dann oft mit vollem Mund zu meinen kulinarischen Ideen und Zielen», sagt Hartmann (mit leerem Mund). Seine Passion ist spürbar: «Koch ist der geilste Beruf der Welt. Wenn er jetzt noch besser bezahlt wäre, wäre das für mich der Sechser im Lotto», unterstreicht er seine Ambitionen, seiner Tätigkeit treu zu bleiben und irgendwann einmal in der eigenen Beiz am Herd zu stehen. Vorerst aber steht der Zum Wilden Mann im Vordergrund. «Wir wollen die Quartierbeiz in Basel werden»: grosse Worte, gelassen ausgesprochen. Mit dem innovativen Gastgeberpaar wirds wohl tatsächlich so werden, das sagen zumindest die Basler Gastro-Auguren, und die täuschen sich selten.

Einen langen Tisch und ein Menü, das gibts im Zum Wilden Mann manchmal donnerstags auf der Gartenterrasse, was nicht nur die Gastgeber und die Gäste lieben, sondern auch der Küchenchef mag. «Aus dem Vollen zu schöpfen, zu kochen, worauf ich Lust habe, das schätze ich», sagt Hartmann. Da kommen der Suppentopf und die Flaschen auf den Tisch und werden Fremde zu Freunden – sprich: was in der Quartierbeiz zählt, ohne dass sich die Gäste gleich verbrüdern müssen.

Und sonst? Eine neue spannende Idee von Koch und Gastgeber, die Omnivore begeistert, ist der Tisch 13: ein Glas, zwei Weiss-und zwei Rotweine, je zwei Vor-, Haupt-und Nachspeisen sowie zwei Schnäpse. Es gibt Gäste, die kommen am Tisch 13 auf 13 Positionen. Schön so.

Marko Merker
Alter
44
Stellung Küchenchef und Geschäftsführer
Restaurant Stil-und stimmungsvoll mit viel Holz – kein Wunder bei einem Schreiner als Hausbesitzer.
Kochen Beruf und Berufung
Freizeit Unterwegs mit dem Velo durchs Binntal
Zukunft Noch mehr Zutaten und Produzenten entdecken und alte Klassiker neu interpretieren
Philosophie «Es ist egal, woher du kommst oder wer du warst. Wichtig ist allein, wohin du gehen und wer du sein möchtest.»

Restaurant Mühle
Seestrasse 26
3985 Geschinen
027 973 19 20
www.muehle-geschinen.ch

Mady Wattiau

Alter
30
Stellung Patissière
Restaurant Geschichtsträchtiges Haus aus dem 15. Jahrhundert, mitten in der Natur
Kochen Leidenschaft, Spass und Freiheit
Freizeit Basteln, Handarbeit oder mit Freunden bei einer Flasche Wein über die Betrachtungen des höheren Tafelvergnügens sinnieren
Zukunft Das eigene britisch-affine Tearoom eröffnen, in dem der Afternoon Tea nach allen Regeln der Kunst zelebriert wird
Philosophie «Nutze den Moment!»

Hotel Restaurant Bad Schauenburg
Schauenburgerstrasse 76
4410 Liestal
061 906 27 27
www.badschauenburg.ch

Sebastian Hartmann

Alter
26
Stellung Küchenchef
Restaurant Quartierbeiz mit Charakter und Steinway-Flügel
Kochen Leidenschaft, Liebe und Leben
Freizeit Wandern mit Freundin und Familie oder allein, entspannt auf dem Sofa mit einem Buch
Zukunft Irgendwann die eigene Beiz
Philosophie «You never get a second chance for a first impression.»

Restaurant Zum Wilden Mann
Oetlingerstrasse 165
4057 Basel
061 601 24 19
www.restaurant-zumwildenmann.ch