19.11.2024 Salz & Pfeffer 6/2024

Die Brückenbauerin

Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Von der Executive Chefin zur F & B-Direktorin? Michéle Müller war das nicht genug: Im Kempinski Palace Engelberg besetzt sie heute eine Funktion, in der sie sowohl in der Küche als auch im Service mitentscheidet.
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Ihr Titel mag sich sperrig lesen, be­inhaltet dafür auch viel: Director of Food and Beverage in Charge of Culinary Operations. Was verbirgt sich dahinter?
Michéle Müller: Es handelt sich um eine moderne Funktion, welche die Bereiche F & B und Küche verbindet. Mir war das unheimlich wichtig: Ich hatte zuvor 26 Jahre als Köchin am Herd verbracht – und das mit viel Leidenschaft. Und obwohl ich beschlossen hatte, in Richtung Food and Beverage zu wechseln, wollte ich die Verbindung zur Küche unbedingt behalten. Das war für mich vor allem anfangs entscheidend. Inzwischen liegt mein Hauptaugenmerk auf der F & B-Sparte, in der ich mich mittlerweile sehr wohl fühle.

Warum hat sich das so entwickelt?
Das liegt sicher mit daran, dass zum Zeitpunkt meines Funktionswechsels im Mai 2023 ja auch ein neuer Executive Chef seine Arbeit aufgenommen hat. Ich wollte also Platz machen. Natürlich stand ich meinem Nachfolger mit Rat und Tat zur Seite – gern auch mal ungefragt ... Nein, im Ernst: Ich habe mir wirklich Mühe
gegeben, nie zu sagen: Ich habe das früher so und so gelöst.


Wie haben Sie sich stattdessen eingebracht?
Indem ich gefragt habe, ob ich einen Vorschlag anbringen darf. Die Situation war für alle Parteien nicht immer einfach. Für die Person, die von mir übernahm und ihrer Kreativität freien Lauf lassen wollte – im Wissen darum, dass ich den Job mit dem gleichen Team und in der gleichen Küche schon zweieinhalb Jahre erfolgreich gemacht hatte. Und eben auch für mich, die ich ja genau wusste, wie es mit diesem Team in dieser Küche funktionieren kann. Ich bilde mir aber wirklich ein, mir viel Mühe gegeben zu haben, nicht reinzugrätschen.

Wobei hinzukommt, dass Sie nun eh die übergeordnete Chefin sind.
Das war sicher der Fall, ja. Inzwischen haben wir es allerdings geschafft, uns zu finden, und wir wissen, wie wir am besten miteinander arbeiten. Die Küche macht das, was sie am besten kann, und ich konzentriere mich auf den Service. Auch wenn es mir manchmal sehr schwerfällt, weil die Küche ein Teil von mir ist, ist es wichtig, den Menschen Raum für ihre Eigenständigkeit zu lassen.

Sie bewegen sich nun also an der spannen­den – und mitunter spannungsgeladenen – Schnittstelle zwischen Küche und Service. Wie läuft es da?
Zum Glück gab es bei uns keinen Graben zwischen den beiden Bereichen, den ich hätte schliessen müssen. Ich legte schon in meiner Funktion als Executive Chefin grossen Wert auf eine gute Zusammenarbeit. Dieses chronische Neinsagen, das in manchen Küchen gegenüber dem Service etabliert ist, gab es unter meiner Leitung nicht. Meine Philosophie war und ist: Wir sagen nicht einfach Nein – wenn etwas gar nicht geht, bieten wir eine Alternative an. Heute fungiere ich oft als Kommunikatorin zwischen Küche und Service – und verstehe beide Seiten gut. Bei schwierigen Events zum Beispiel stelle ich mich von Anfang an auf der Serviceseite an den Pass, sodass ich das grosse Ganze im Blick habe.

Inwiefern prägt Ihre langjährige Erfahrung als Köchin Ihren Job heute noch?
In der Küche arbeitet man sehr mise-en-place-orientiert und ist den ganzen Tag damit beschäftigt, die Vorbereitungen fertig zu haben. Ich bin entsprechend organisiert und strukturiert unterwegs und bringe das heute zum Beispiel auch im Service ein: Wir arbeiten da nun ebenfalls vorausschauend, mit einer guten Planung – und bereiten Veranstaltungen vielleicht nicht erst am Morgen des Events vor, sondern am Tag zuvor. Auf der anderen Seite muss ich zugeben: Ich erkenne heute Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe.

Zum Beispiel?
Wenn ich als Köchin anrichte, suche ich mir für mein Gericht den am besten passenden Teller aus – und bestimme vielleicht, dass die Beilagen à part geschickt werden sollen. Mir ist erst jetzt so richtig klar geworden, wie kompliziert es für den Service effektiv sein kann, das alles zu tragen und auf dem Tisch den Platz dafür zu finden ... Also suche ich heute Wege, um die Küche in ihrer Kreativität nicht zu beschneiden, aber gleichzeitig sicherzustellen, dass der Service in der Lage ist, einen guten Job zu machen.

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Es macht den Anschein, als wären Sie ein natürliches Führungstalent.
Ich glaube tatsächlich, dass es mir liegt, ein Team zu führen. Ich mache das sehr gern.

Worauf legen Sie dabei besonders Wert?
Eine meiner Stärken ist auf jeden Fall, ein Team zu einer Familie zu machen. Das war in meiner aktuellen Funktion auch mein erstes Ziel, in das ich viel Arbeit investiert habe. Entscheidend dafür ist eine offene Kommunikation: Niemand soll das Gefühl haben, ein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen – auch nicht mir gegenüber. Das bewerbe ich stark: Bei mir gibt es sofort ehrliches Feedback, auf beide Seiten. Ausserdem nehme ich mir Zeit für meine Leute und lasse sie ein Stück weit in mein Leben, indem ich zeige, wer ich bin: nicht nur als Chefin, sondern auch als Mensch. Ich bin sehr herzlich – ich kann aber auch streng.

Inwiefern haben Sie im Kempinski Palace En­gelberg mit dem grassierenden Fachkräfte­mangel zu kämpfen?
Wir sind verhältnismässig gut aufgestellt. Überhaupt halte ich die Schweiz nach wie vor für einen attraktiven Arbeitsmarkt, den es deutlich weniger hart getroffen hat als Deutschland oder insbesondere Österreich. Aber wir müssen auch hierzulande viel tun, damit die Menschen weiterhin in der Hotellerie und in der Gastronomie arbeiten möchten.

Was machen Sie konkret?
Ich passe auf, dass wir die Arbeitszeiten einhalten. In der Zeit, in der die Leute arbeiten, erwarte ich viel – ich bin aber auch diejenige, die meine Angestellten darauf aufmerksam macht, wenn ihre Schicht zu Ende ist, und sie bittet, nach Hause zu gehen.

Wie wählen Sie neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus?
Entscheidend ist die Leidenschaft. Erfahrung und Arbeitswissen sind sekundär, das lässt sich alles lernen. Und dann schaue ich, wo die Stärken einer Person liegen, und versuche, sie dementsprechend in der richtigen Position einzusetzen. Wir haben hier im Haus viele Möglichkeiten, die Leute zu fördern, das ist toll.

So wie Sie eine Perspektive erhalten haben. Was hat Sie an Ihrer heutigen Funktion ur­sprünglich am meisten gereizt?
Sicher die zusätzliche Verantwortung und die Möglichkeit mitzuwirken. Ich finde es spannend, neue Konzepte zu entwickeln und diese umzusetzen. Das ist genau das Richtige für mich. Wobei ich nach wie vor auch im Tagesgeschäft Aufgaben übernehme. Ich habe zwar für jede Abteilung jemanden in der Verantwortung, aber unterstützend bin ich immer noch dabei: Wenn viel zu tun ist, stehe ich abends am Pass und unterstütze den Service. Wenn wir mehrere Events haben, bin ich diejenige, die nachts die Räume nochmals umbaut. Hauptsächlich aber ist es inzwischen meine Aufgabe, Wege zu finden, wie wir über die Kulinarik mehr Gäste ins Hotel bekommen. Wie wir das Haus sichtbarer und den F & B-Bereich so attraktiv machen, dass uns deswegen möglichst viele Menschen besuchen. Und das ist gar nicht so einfach: Nur weil man ein neues Hotel aufmacht, kommen die Leute nicht automatisch angestürmt.

Welche Vision haben Sie dahingehend für das Kempinski Palace Engelberg?
Ich wünsche mir natürlich, dass das Haus immer voll mit glücklichen Gästen ist, dass diese aus der ganzen Schweiz anreisen – und zwar wegen dem Speise- und Getränkeangebot. Ich bin überzeugt, dass wir viel zu bieten haben. In jedem Outlet gibt es ein anderes Menü, legen wir einen an- deren Fokus: Im Restaurant Cattani fahren wir ein schweizerisch-französisches Brasserie-Konzept, die Palace Bar ist international und mit einem asiatischen Touch ausgerichtet, im Wintergarten gibts einen wunderbaren Afternoon Tea, und mit spannenden Pop-up-Projekten sorgen wir punktuell für noch mehr Abwechslung. Das ist auch mein persönlicher Anspruch: Ich will den Gästen kulinarisch so viele verschiedene Optionen wie möglich bieten.

Karriere in der Hotellerie

Gleich mit der ersten Station nach der Ausbildung zur Köchin, die sie in einem Cateringunternehmen in ihrer Heimat Berlin absolviert hatte, stellte Michéle Müller (43) die Weichen für ihre berufliche Zukunft: Sie heuerte im Grand Hotel Kronenhof in Pontresina an – und entdeckte ihr Flair für die Hotelküche. Es folgten Stationen in der internationalen Hotellerie, unter anderem in Irland und Italien, in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. 2017 wurde Müller zur Executive Souschefin im Hotel Adlon Kempinski in Berlin ernannt, vier Jahre später zog es sie erneut in die Schweiz: Im Kempinski Palace Engelberg, das damals neu eröffnete, übernahm sie den Posten der Executive Chefin – und war in dieser Funktion die erste Frau in einem Schweizer Luxushotel überhaupt. Seit 2023 nun besetzt Müller im Haus die eigens für sie geschaffene Position des Food and Beverage Director in Charge of Culinary Operations. Sie führt ein Team von knapp 60 Angestellten. 

kempinski.com/engelberg