10.09.2019 Salz & Pfeffer 6/2019

Die Essenz des Lebens

Text: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi – Unterstützt von: Schweizer Rapsöl
Baum- und Haselnüsse, aber auch Raps, Sesam, Pistazien, Kürbiskerne oder Leinsamen: In der Mühle von Sévery extrahiert die Familie Bovey seit sechs Generationen das Beste aus Nuss und Saatgut, kalt oder à l’ancienne.
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Jean-Luc Bovey mit Tochter Maveline
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«Nur dank der Grossmutter überlebte die Mühle und mit ihr das alte Handwerk 

«Morgen», lautet die prompte Antwort von Jean-Luc Bovey auf die Frage, wann er die Leitung der Moulin de Sévery an seine zwei Töchter Maveline (22) und Dessilia (24) abgebe. Ein kleiner Scherz des 51-Jährigen, natürlich, aber einer, der zeigt, wie unverkrampft die am Rande des 200-Seelen-Dörfchens Sévery lebende Familie mit dem Thema Nachfolge umgeht.

Allerdings haben die Boveys auch ziemlich viel Übung darin. Bereits Jean-Luc Boveys Urururgrossvater presste ab 1810 Öl, hauptsächlich aus Baumnüssen, von denen es im Kanton Waadt seit jeher mehr gibt als in allen anderen Regionen der Schweiz. Aber nicht immer war den Boveys das Glück hold. Jean-Luc Boveys Grossvater starb früh, nur dank der Grossmutter überlebte die Mühle und mit ihr das alte Handwerk. Als dann Bovey 2002 selbst das Ruder übernahm, stand der Familienbetrieb kurz vor der Pleite.

Dass die siebte Generation in den nächsten Jahren ein gesundes Unternehmen weiterführen kann, liegt vor allem an der neuen Strategie, die Jean-Luc Bovey ab 2005 umzusetzen begann. Früher machte die Mühle gerade mal 15 Prozent ihres Umsatzes mit der Ölproduktion. Haupteinnahmequelle waren unterschiedliche Futtermehle für die Landwirtschaft. «Heute konzentrieren wir uns auf das Pressen von insgesamt 18 Pflanzenölen und auf die Herstellung von Essig sowie Senf», so Bovey. Die Umstellung sei alles andere als leicht gewesen. Um das neue Sortiment bekannt zu machen, nahm Bovey jahrelang an unzähligen Bauernmärkten und Messen teil, von Genf bis Zürich.

«Wir sind die einzige traditionell arbeitende Mühle in der Schweiz, die noch das ganze Jahr über produziert», betont Bovey gleich mehrmals. Der Raum, in dem das berühmte Baumnussöl à l’ancienne entsteht, ist erstaunlich klein und mit wenigen Schritten durchquert. Die Mitte besetzt noch immer die historische, einst mit Wasserkraft betriebene Presse. Wann genau sie eingebaut wurde, weiss niemand mehr, seit 1982 dient sie als Dekoration. Ihre Nachfolgerin steht gleich daneben, ist nur etwa halb so gross, basiert aber auf der gleichen Technik.

Die traditionelle Art, Öl herzustellen (à l’ancienne), geht so: Die geschälten Nüsse – neben Hasel-, Erd- und Baumnüssen verwendet Bovey auch Pinien- und Sesamkerne sowie Pistazien – werden zu einer Paste verarbeitet. Diese kommt bei 140 Grad in den Ofen und wird so lange geröstet, bis sie die richtige Konsistenz hat und richtig duftet. «Wann genau das ist, entscheiden unsere Mitarbeiter, es ist Gefühlssache», so Bovey. Das anschliessend aus dieser Paste gepresste Öl kann zwar nicht mit dem Vitaminreichtum von kaltgepressten Ölen mithalten, verfügt dafür aber über ein extrem verdichtetes Aroma, das insbesondere in der Profiküche – für die kalte Anwendung – sehr geschätzt wird.

Zu den Kunden der Mühle von Sévery gehören denn auch einige der besten Gastronomen der Region, zum Beispiel Drei- Sterne-Koch Franck Giovannini aus Crissier oder Avantgarde-Koch Denis Martin aus Vevey. Der grösste Teil von Boveys Kundschaft sind aber Private und Bauern, die ihre Nüsse und Saaten bei Bovey pressen lassen, um sie anschliessend im eigenen Hofladen oder auf dem Markt zu verkaufen. 70 Tonnen Baumnüsse verlassen die Mühle von Sévery pro Jahr in verflüssigter Form.

Für das Baumnussöl à l'ancienne wird die Nusspaste vor dem Pressen geröstet.
Für das Baumnussöl à l'ancienne wird die Nusspaste vor dem Pressen geröstet.
50 Tonnen Westschweizer Bioraps verarbeiten die Boveys pro Jahr, dafür reicht diese Schneckenpresse nicht aus.
50 Tonnen Westschweizer Bioraps verarbeiten die Boveys pro Jahr, dafür reicht diese Schneckenpresse nicht aus.
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Das hitzebeständige, aber kaltgepresste Holl-Rapsöl von Jean-Luc Bovey scheint nur auf den ersten Blick paradox.
Das hitzebeständige, aber kaltgepresste Holl-Rapsöl von Jean-Luc Bovey scheint nur auf den ersten Blick paradox.
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Klar auf dem Vormarsch befindet sich seit einigen Jahren einheimisches Rapsöl. Neben herkömmlich produziertem landen in Sévery auch 50 Tonnen Bio-Raps – das entspricht 80 Prozent der Westschweizer Ernte. «Kaltgepresstes Rapsöl ist reich an Vitamin E und ungesättigten Fettsäuren. Viele unserer Kunden wählen es mittlerweile anstelle von Olivenöl», so Bovey. Allerdings war 2019 ein schwieriges Jahr für den helvetischen Bio-Raps- Anbau. Wegen des schlechten Erntewetters müssen die insgesamt 14 Mitarbeiter der Mühle die schwarzen Samen heuer besonders umständlich säubern, trocknen und auslesen.

Eine Besonderheit ist das kaltgepresste Holl-Rapsöl, das Jean-Luc Bovey vor eineinhalb Jahren erstmals produzierte. Die Rapssorte Holl (High Olec Low Linolenic) ist dank ihrer Fettsäurestruktur sehr hitzebeständig. Nun scheint es einigermassen sinnlos, einen für die obere Grenze der heissen Küche konzipierten Raps kalt zu pressen. «Probieren Sie es aus», entgegnet Bovey mit einem Schmunzeln. Denn das Resultat sei verblüffend. «Das kaltgepresste Holl-Rapsöl eignet sich hervorragend zum Braten oder für die Fritteuse.» Pommes frites etwa würden damit irrsinnig gelb («fast schon psychedelisch»), wobei das Öl absolut geschmacklos bleibe.

Mit viel Geschmack ausgestattet sind dafür die sogenannten Aigredoux der Familie Bovey. Dabei handelt es sich um sehr milde Fruchtessige. Der Säuregehalt beträgt gerade mal 4,5 Prozent, wobei das beigefügte Fruchtmark für eine harmonische Balance zwischen Süsse und Säure sorgt. Für die diversen Senfe und Saucen, die es im Laden der Mühle oder online zu kaufen gibt, kollaboriert Jean-Luc Bovey übrigens mit der in Aigle angesiedelten Firma Reitzel sowie einem Gastronomen aus der Region.

Doch was meint eigentlich die siebte Generation dazu? Der Schritt ins elterliche Unternehmen sei natürlich verlaufen. «Es wäre schade, wenn diese Tradition aussterben würde», sagt Maveline Bovey. Sie wird künftig den administrativen Teil des Unternehmens führen, während ihre Schwester Dessilia dereinst die Produktion leiten soll. Dass dies nicht schon morgen der Fall sein wird, darüber sind alle froh: der Vater wie auch seine Töchter.

Erstmals schriftlich erwähnt wird die Moulin de Sévery 1228, nämlich in einer Bestätigung der jährlichen Spende von Pierre de Sévery über 600 Kilo Mehl an den Abt von Lac de Joux. Seit 1810 wird die Mühle von der Familie Bovey betrieben. Mit Jean-Luc Bovey steht die sechste Generation in der Verantwortung. Seit 2005 konzentriert er sich auf die Herstellung von hochwertigen Ölen, extrahiert aus aktuell 18 unterschiedlichen Nusssorten und Ölsaaten. Berühmt ist die das ganze Jahr produzierende Moulin de Sévery für ihr Baumnussöl. Weniger bekannt ist, dass die Boveys einen Grossteil der Westschweizer Bio-Raps-Ernte verarbeiten. 2013 gründete Jean-Luc Bovey eine Stiftung mit dem Ziel, das Know-how des alten Handwerks für künftige Generationen zu sichern. Mit Maveline und Dessilia Bovey steht die siebte in den Startlöchern.

www.moulindesevery.ch