07.10.2025

Die Gastro ist nicht tot

Interview: Anja Steiner – Fotos: Samir Seghrouchni
Eigene Projekte statt Küchenbrigade: Michaela Frank und Micha Merz haben sich für die Selbstständigkeit entschieden: Ein ehrliches Gespräch über kreative Freiheit, kulinarische Werte und finanzielle Unsicherheit.
Michaela Frank
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Micha Merz
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Zwei Köche, zwei Karrieren und eine grosse Gemeinsamkeit: Michaela Frank und Micha Merz haben sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden. Statt in einer klassischen Küchenbrigade zu arbeiten, gestalten sie ihr Berufsleben projektbasiert. Unabhängig und selbstbestimmt. Ein Gespräch über Wendepunkte, die es manchmal so dringend braucht, über Fachkräftemangel und finanzielle Unsicherheiten. Aber auch darüber, ob das Modell Selbstständigkeit in der Küche salonfähig werden könnte.

Michaela und Micha, wir sitzen in der Zürcher Bar Milieu. Ihr habt hier beide bereits für einige Wochen ein Pop-up betrieben. Wann habt ihr bemerkt, dass ihr aus dem klassischen Küchenbetrieb aussteigen wollt?
Micha Merz: Für mich war das ein natürlicher Schritt. Meine Eltern waren bereits selbstständig und daher war das immer auch meine Vision. Als Koch habe ich versucht, bei allen meinen Stationen möglichst viel Wissen in meinen Rucksack zu packen. Mein erster Versuch in die Selbstständigkeit entstand quasi aus der Not heraus: Während Corona habe ich meinen Job gekündigt, weil ich da nicht mehr glücklich war, und habe spontan ein Take-away auf meinem Balkon eröffnet. Jeden Mittag kamen etwa 35 Leute und ich habe das Essen über eine Dachlatte heruntergelassen. Ein bisschen trashig, klar – aber die Leute hatten Freude. Danach kamen mehrere Projekte in verschiedenen Restaurants und ich habe bemerkt, dass mir viele Gäste folgen, weil sie mich unterstützen wollten und Lust hatten, dort zu essen, wo ich gerade arbeite. Da dachte ich: Warum nicht mein eigenes Ding probieren?

Michaela Frank: Im Restaurant Rank habe ich sehr viel erreicht, aber nie wirklich herausgefunden, was ich wirklich will. Man könnte sagen, eine unfindende Findungsphase. Nachdem ich letztes Jahr gekündigt hatte, legte ich eine Pause ein, genoss den Sommer und kochte hauptsächlich für Freunde. Irgendwann bemerkte ich: Ich will arbeiten, aber trotzdem meine Balance nicht verlieren. Meine Idee war, eine Tour durch die Schweiz zu machen und alle meine Four-Hands-Dinner, die ich im Rank hatte, zurückzugeben. Ich kochte unter anderem in Bern, im Jura und in Zürich – einmal für etwa 300 Leute in einer Brauerei. Das war krass! Danach hat es bei mir klick gemacht, und ich habe mich für die Selbstständigkeit entschieden.

Arbeitet ihr alleine oder im Team?
Micha Merz: Meine Produktionsküche befindet sich im Provisorium in Zürich. Ich mache viele Pop-ups und Caterings ohne festes Team. Dafür engagiere ich Leute projektweise, teils auf Monatsbasis mit Gewinnbeteiligung. Das Coole: Ich bin zwar alleine, aber sehr dynamisch. Wenn eine Anfrage für 200 Leute kommt, rufe ich fünf meiner Kollegen an und die Sache läuft. Wenn eine Anfrage für 19 Leute kommt, koche ich allein.

Und wie steht’s mit eurer kreativen Freiheit?
Michaela Frank: Am Anfang ist das ein grosser Druck. Du musst als Koch oder Köchin etwas aussagen. Ich glaube, ich habe sicher zwei Jahre gebraucht, bis ich sagen konnte: Das Menü, das ist jetzt meins. Als Küchenchefin musste ich immer schauen, was umsetzbar ist und ob es rentiert. Jetzt, als Selbstständige geht es mehr um meine Skills und um das, was ich wirklich will. Aber ich bin auch in der Verantwortung, wenn ein Gericht nicht gut ankommt.

Micha Merz: Ich habe kein Standardangebot. Bei jedem Chef’s Table gibt’s ein komplett neues Menü – ich mag ja auch nicht immer dasselbe kochen. Jedes Projekt ist neu, egal, ob ich für zehn oder 100 Personen koche. Kreativität bedeutet tatsächlich, ständig Druck auf sich selbst zu spüren. Ich bin mein härtester Kritiker. Oft verwerfe ich Gerichte, weil in meinen Augen die entscheidenden letzten zehn Prozent fehlen. Deshalb mache ich gerne Menu Surprise. Das gibt mir die Freiheit, im letzten Moment etwas zu ändern. Zum Glück vertrauen mir meine Gäste.

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Was ist die grösste Herausforderung im Alltag?
Michaela Frank: Zu einer bestimmten Zeit aufstehen.
Micha Merz: Stimmt, ich arbeite auch lieber abends und schlafe morgens aus. Teilweise habe ich vier Events pro Woche in verschiedenen Locations. Da gibt es so viel zu organisieren, das kann ziemlich herausfordernd sein. Dafür weiss ich: Sobald die Projekte vorbei sind, mache ich wieder etwas länger frei. Es gibt dann Phasen, in denen ich weniger Jobs annehme, weil ich Erholung brauche.

Wie kommen eure Aufträge zustande?
Micha Merz: Viel läuft über Folgeaufträge und das Netzwerk. Bei einem Catering ist es oft so, dass jemand, der mitgegessen hat, dann auch seinen Geburtstag mit dir feiern will. Man verkauft nicht nur die Qualität seines Produkts, sondern auch die Persönlichkeit. Am Schluss buchen die Leute jemanden, den sie kennen und weiterempfehlen können.

Michaela Frank: Nach meiner Tour hatte ich sehr viele Anfragen. Mit Garçoa habe ich ein Schokoladen-Pop-up gemacht und jede Woche ein neues Rezeptvideo kreiert und auf Social Media geteilt. Es war sehr cool, und trotzdem habe ich herausgefunden: Social Media ist nicht so meins. Dadurch sind aber nochmals sehr viele Anfragen auf mich zugekommen. Ab diesem Punkt habe ich bemerkt, dass ich mich ein Stück weit exponieren muss, damit Projekte auf mich zukommen.

Habt ihr auch schon Jobs abgesagt?
Michaela Frank: Das gibt es schon manchmal, dass es nicht matcht. Grundsätzlich sage ich aber nur ab, wenn ich bereits gebucht bin. Das kommt schon oft vor. Mein aktuelles Jahr ist bereits verplant – alles andere kommt on top.

Wie geht ihr mit finanzieller Unsicherheit um?
Micha Merz: Wenn nichts reinkommt, dann suche ich etwas und frage direkt bei den Leuten nach. Die Balance ist halt tricky, mal läuft sehr viel, mal nichts, aber das treibt einen auch an und macht es spannend.

Michaela Frank: Ich habe zum Glück keinen Druck, aber auch kein konkretes finanzielles Ziel. Aktuell frage ich mich eher: Wo möchte ich hin mit meinem Business und mir?

Spürt ihr als selbstständige/r Unternehmerin und Unternehmer den Fachkräftemangel?
Michaela Frank: Ja, ich bekomme oft Anfragen von Freunden, ob ich aushelfen kann. Aktuell habe ich nicht viel Zeit und probiere dann, andere weiterzuempfehlen. Und ganz ehrlich: Wir werden auch älter und haben nicht mehr Bock, an einem Sonntag an einem Catering am Ende der Welt auszuhelfen, nur weil man jemanden flüchtig kennt, der dringend Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter sucht.

Micha Merz: Ja, das ist ein Problem. Meistens sind es dann 22 Franken die Stunde und dafür kommt keiner. Wenn man gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht, muss man die Leute auch anständig bezahlen. Als Selbstständiger gebe ich 30 Prozent ab und verlange als Aushilfe 45 Franken pro Stunde. Für einen Gastrobetrieb klingt das erst mal extrem hoch. Wenn man aber Angestellte mit einem Stundenlohn von 33 Franken hat, dann geht das mit den ganzen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen letztlich auch in diese Richtung.

Welche kulinarischen Werte liegen euch am Herzen?
Michaela Frank: Mein Grundsatz ist Bio und ich kaufe allgemein direkt ab Hof. Wenn ich mal einen Auftrag habe, der nicht so nachhaltig ist, wie ich mir das wünsche, versuche ich trotzdem, ein Stück Nachhaltigkeit hineinzubringen. Für mich ist wichtig, dass ich selbst entscheiden kann, mit welchen Produkten ich arbeite.
Micha Merz: Bei mir geht es in erster Linie um Spass. Klar würde ich gerne nur mit den nachhaltigsten Produkten arbeiten, aber dann müsste ich meine Menüpreise nochmals um einiges erhöhen. Leider habe ich nicht die Kunden, die bereit sind, das zu bezahlen. Deshalb muss ich mich in einem Bereich ansiedeln, wo ich vor allem Spass an der Arbeit vermitteln kann. Die Gastro ist nicht tot – für viele Leute macht die Arbeit immer noch sehr viel Freude.

Was nehmt ihr aus eurer bisherigen Erfahrung mit?
Michaela Frank: Ich habe das Gefühl, wir sind gerade im richtigen Moment selbstständig geworden. Ich habe gespürt, dass ein Need da ist für Female Rentable Chefs. Klar, ich werde in erster Linie fürs Kochen angefragt, aber dass ich eine Frau bin, spielt sicher auch mit.
Micha Merz: Du hast auch während deiner Zeit im Rank viel gute Presse bekommen. Du bist die Zürcher Kochversion von Roger Federer. (Beide lachen schallend.) Ein cooles und sympathisches Aushängeschild und nur positive Feedbacks von allen Seiten. Ich würde dich auch buchen, wenn ich eine Firma hätte und ich jemanden bräuchte, der kocht.

Letzte Frage: Ist die Selbstständigkeit als Koch und Köchin ein Zukunftsmodell?
Michaela Frank: Ich glaube, es ist unrealistisch, das auf lange Sicht so weiterzuziehen. Ich mache das, solange es mir Spass macht. Und dann bin ich offen für ein Restaurant – in Baden.

Micha Merz: Ja, ich denke genauso. Wie ich aktuell arbeite, geht das langfristig nicht. Früher oder später braucht man ein Team an seiner Seite. Ansonsten stimmt die Balance irgendwann nicht mehr. Seit zweieinhalb Jahren bin ich selbstständig und finde es teilweise schon anstrengend. Finanziell ist es eindeutig interessanter und ich rate allen, die es ausprobieren wollen: Getraut euch – es macht Spass. Aber rechnet gut und verlangt die Preise, die ihr wert seid.

Michaela Frank startete nach ihrer Kochlehre in der Schweizer Junioren-Kochmannschaft durch, holte sich ein Stipendium im Förderprogramm Fundaziun Uccelin von Andreas Caminada und stand mit Nenad Mlinarevic im Parkhotel Vitznau am Herd. Als jüngste Küchenchefin Zürichs sorgte sie im mittlerweile geschlossenen Restaurant Rank für Furore und erkochte sich 14 Punkte.

Micha Merz begann seine Laufbahn in der Gastronomie mit einer Kochlehre im Hotel Baur au Lac und tauchte danach tief in die Zürcher Gastroszene ein. Er begleitete spannende Konzepte wie Silex, KIN, Spitz oder den Pavillon im Baur au Lac in der Startphase und holte sich parallel mit einer Ausbildung zum technischen Kaufmann die nötigen Business-Skills.

Aktuelle Projekte:
11. Oktober: Slurp, Zürich
15.–18. Oktober: Primo Piano Events, Zürich
28. Oktober–8. November: Belmondo, Zürich