«Hokos nehmen nicht nur die Stimmung eines Gasts wahr, sondern auch, wenn diese umschlägt.»
Einst lockte das Grand Hotel Jungfraublick vornehme Gäste aus aller Welt nach Matten bei Interlaken. Heute ist das Haus ein Schulhotel und heisst Regina. Seit gut 30 Jahren wird im Internat Nachwuchs für das Gastgewerbe ausgebildet – nun stehen Veränderungen bevor. Eine neue Lehre bringt neue Gesichter: Zirka 150 Hotel-Kommunikationsfachfrauen und -männer (Hokos) werden ab August erstmals landesweit ausgebildet. Rund ein Viertel davon absolviert die Berufsschule und die überbetrieblichen Kurse (ÜK) in Blockwochen im Regina. Nicht nur für sie ist die neue Lehre ein Wagnis, auch die Berufsbildner wollen wissen, was sie von ihren Auszubildenden erwarten können. Knapp 20 von ihnen finden Anfang Mai den Weg zu einem Workshop im Speisesaal des Schulhotels. Beim anschliessenden Rundgang mit Rektor Andreas Lohri gewinnt das Berufsbild in den Köpfen der Teilnehmer an Kontur.
Der Rundgang beginnt dort, wo die Hokos am Ende ihrer Ausbildung sein werden: an der Rezeption, beim Gast. Hier dreht sich alles um den ersten Eindruck. Ein gutes Auftreten wird vorausgesetzt und war bei der Vergabe der begehrten Lehrstellen ausschlaggebend: «Kann man die Person vor einen Gast stellen oder nicht?», fragte sich etwa Teilnehmer Thomas Bohli vom Congress Hotel Seepark in Thun. Kathrin Matter vom Hotel Bad Bubendorf wollte hingegen spüren, «dass es den Schnupperlernenden wirklich Spass macht». In drei Jahren kommen die ersten Hokos aus der Lehre. Im Idealfall und je nach Haus und Gast begrüssen sie dann einen Neuankömmling mit einem Cüpli, einer Plauderei oder mit vornehmer Zurückhaltung. Sie sind hochgradig empathisch, nehmen nicht nur die Stimmung eines Gasts wahr, sondern auch, wenn diese umschlägt. Das setzt eine gewisse Gabe, vor allem aber viel Übung voraus: Vom einfachen Smalltalk bis hin zur Königsklasse des Reklamationsgesprächs spielen die Hokos innerhalb der Wände des Regina deshalb alle erdenklichen Gesprächssituationen durch – selbstverständlich mehrsprachig und stets faltenfrei gekleidet. Der Weg zum Ziel ist lang und führt durch viele Stationen und Etagen.
Die mit ÜK-Merkblättern tapezierte Küche sowie die einzelnen Stockwerke passiert Schulleiter Lohri im Schnellzugtempo. Jene, die nicht mehr in den Lift passen, eilen die mit Läufern ausgelegten Treppen hoch. Es sind Stationen, welche die Hokos im ersten Lehrjahr durchlaufen und auf denen sie nicht lange bleiben werden. Nach einem Jahr kennen sie die wichtigsten Handgriffe am Herd, die Ernährungsgrundsätze, die Garmethoden und Convenience-Stufen. Sie können Tische aufdecken und Bestellungen aufnehmen. Auf der Etage ist die Situation ähnlich: Insgesamt 160 Betten in Einer- bis Viererzimmern gibt es im Haus. Pro Schüler ein Tisch, ein Bett, ein Schrank, fünf Kleiderbügel. Gäste gibt es keine, nur Bewohner. Klopfen Touristen an, werden sie an die nächste Adresse verwiesen. Wie man ein Zimmer herrichtet, lernen die Hokos also am eigenen. Kontrolliert wird jeden Morgen.
Es folgt ein kurzer Ausflug zu den Mangeln in der Lingerie und zu den Bilanzen im Backoffice. Damit ist der Rundgang durchs Schulhotel Regina entlang den Stationen des ersten Lehrjahres beendet. Im zweiten Jahr kehren die Hokos mit einem prall gefüllten Rucksäckchen an die Rezeption zurück. Dieses können sie bei Bedarf wieder hervorholen, sie übernehmen aber vermehrt kommunikative Aufgaben. Im Marketing etwa kommentieren sie in den sozialen Medien, behalten Bewertungsplattformen im Auge und reagieren, wenn es nötig ist. Ungleich wesentlicher ist jedoch die interne Kommunikation: «Das Wichtigste an der neuen Lehre ist die Vernetzung», sagt dazu Janine Bolliger, Hoko-Projektleiterin bei Hotelleriesuisse. Die Informationen aus dem ganzen Hotelbetrieb laufen in den Händen der Hokos zusammen. Diese geben in der Küche Bescheid, wenn die Frau eines Gastes Geburtstag oder eine Muschelallergie hat. Sie erinnern sich, wo die Allergiker-Kissen verstaut sind. Am Ende geht es darum, aus einstudiertem Wissen, eingeübtem Können und eigenem Charakter ein stimmiges Gesamtpaket zu schnüren. Wenn ihnen das gelingt, haben sie gelernt, Gastgeber zu sein.