«Hilfreich wäre ein Wüstling-Fragebogen.»
Früher war es ja so, gell: Kreuz-Wirt, Rössli-Gerda und Löwen-Ruedi wählten freisinnig bis konservativ. So wie Ernst und Schorsch und Fredli am Stammtisch. Gib deinem Stammgast das Gefühl, dass er so was von verdammt Recht hat, dann bestellt er noch eine Stange. Ein gemeinsamer Feind schweisst zusammen, und wenns nur Emanzen oder Kommunisten sind. In der Filterblase von damals konnte man wenigstens noch den Durst löschen, ihr Kollateralnutzen war ein guter Umsatz, und der abgesonderte rassistische und sexistische Bockmist der Stammgäste blieb in der Beiz, in der Blasmusik, im Dorf. Heute sind die Stammtische ausgestorben, und der Bockmist (neudeutsch Hate Speech) erbricht sich auf Twitter und in der Kommentarspalte von «20 Minuten». Gelegentlich beschleicht einen die dumpfe Ahnung, dass der modernen Demokratie die Ventilfunktion des Stammtisches fehlt.
Und jetzt also das. Ein paar hundert Kölner Gastgeber und Clubbetreiber bedrucken 200 000 Bierdeckel mit dem Slogan «Kein Kölsch für Nazis, kein Raum für Rassismus – Kölner Kneipen und Kulturschaffende gegen Rassismus und Rechtspopulismus». Und auf ihrer gemeinsamen Website sind sie sehr, sehr, sehr fest «Gegen Populismus von rechts und menschenverachtende rassistische Hetze!». «Mutig, mutig!», denkt man da. Sie verpflichten sich also, all jenen Gästen kein Kölsch auszuschenken, die das Gasthaus mit dem Hitlergruss betreten, die eine Naziuniform tragen oder die den Betreiber des Kulturzentrums begrüssen mit «Tach, ich bin ein menschenverachtender rassistischer Hetzer und krieg ein Kölsch.» Da sprudeln die Umsätze aber ganz schön in den Keller.
Nun gut. Dass man mit einem Händedruck weiterkommt als mit dem Hitlergruss, hat sich seit 1945 auch rechts aussen herumgesprochen. Die teilnehmenden Wirte müssen die menschenverachtenden rassistischen Hetzer unter den Gästen wohl selber aussortieren. Beim Eingang. Ein Nazi-Scanner ist noch nicht entwickelt, ein scharfer Prüfblick muss also genügen. Und warum nicht auch gleich die Raser aussortieren? Und die Vergewaltiger, die Prügelväter, die Frauen, die ihre Männer falsch bezichtigen, die IS-Sympathisanten, die Hate-Speech-Kanoniere?
Wieso richtet sich die Aktion in Köln eigentlich nur gegen Populismus «von rechts»? Haben denn jene jugendlichen Hohlköpfe ein Kölsch verdient, die sich «antifaschistisch» nennen, aber nur darauf aus sind, im Kielwasser friedlicher Kundgebungen Schaufenster zu zertrümmern? Da wird die Grenzziehung schnell kompliziert. Es sind ja nicht mal alle Gäste gleichermassen schuldfähig, manch einer kann nichts dafür, dass das Leben ihn bloss mit dem IQ eines Pflastersteins ausgestattet hat.
Im Wirtealltag muss die Gesinnungsprüfung der Gäste natürlich praktikabel sein. Hilfreich wäre hier ein Wüstling-Fragebogen. Wer in die USA reist, füllt im Flieger oder im Internet schliesslich auch ein Formular aus, in dem er bestätigt, dass er keinen Terrorakt begehen will und noch nie für Völkermord verurteilt wurde. Sollen sich die Kölner Wirte doch so ein Formular zulegen. Warum nicht auf den Bierdeckel oder das Tischset drucken und dem Gast dazu einen Kugelschreiber reichen? Je nach Punktezahl gibt es Kölsch ohne Obergrenze, nur Kamillentee oder einen Rauswurf. Und die Mitmenschen mit einem reinen Herzen bekommen ein Schöggeli.
Bei den Kölner Gastgebern, die an dieser Aktion teilnehmen, bleiben wohl kaum viele «menschenverachtende rassistische Hetzer» im Filter hängen. Da nehmen vermutlich ja nicht jene Gastgeber teil, die von den Gästen ganz rechts aussen leben. Denen, die mitmachen, gefalle halt das aktuelle gesellschaftliche Klima nicht, und darum auch nicht die AfD, die dieses fördere, erklärte einer der prominenteren Sprecher der Aktion, notabene Betreiber eines Kulturzentrums. Dafür hat Mr. Tabasco grösstes Verständnis, ihm gefallen die Hate Speeches und das taktlose Gebell und wehleidige Geplärr der AfD auch nicht.
Und doch hat die Kölner Aktion ein Gschmäckle. Ein PR-Gschmäckle. Für die meisten Wirte ist sie vermutlich umsatzneutral. Nicht wenige holen sich Schulterklopfen von den Gästen, Likes auf Social Media, Lob von nationalen und internationalen Medien. Schliesslich blieben sie beim Dagegensein netter als die Antifa mit ihrem Getöse während des AfD-Bundesparteitages am 22. April.
Bereits im Februar hatte der Wirt im Gasthaus zur Post im niederbayrischen Deggendorf keine antirassistischen Bierdeckel aufgestellt, sondern in seinem Saal eine AfD-Versammlung bewirtet. Er bewirte auch CSU und SPD, und er könne es sich nicht leisten, unter einem Parteienstreit zu leiden, er müsse Ende Jahr schauen, dass die Finanzen passen, sagt der 23-jährige Wirt mit dem hübschen Namen Engel. Für die 200 AfD-Schnäuze im Saal kassierte der Engel ein paar Dutzend böser E-Mails, Foreneinträge, Drohungen, Anrufe. Er habe viele Berliner Vorwahlen auf dem Telefondisplay gehabt, sagt er, vermutlich sei das organisierter Widerstand gewesen.
Da hockt man dann und fragt sich, ob ein Wirt die Welt verbessern sollte, oder ob er sie nur schon dadurch verbessert, dass er ganz einfach ein guter Wirt ist. Und denkt sich, dass der Jesus, wäre er nicht als Schreiner in Nazareth, sondern als Beizer in Köln geboren, womöglich ein «AfD welcome!» an die Wirtshaustür gepappt hätte. Dass er aber, wenn es gruusig geworden wäre, auch hingestanden wäre und Tacheles geredet hätte. Wie ein guter Wirt mit Rückgrat.