«Routine ist wirklich überhaupt nicht mein Ding.»
Improvisation scheint im Stazione Paradiso geradezu Programm zu sein.
Margaretha Jüngling: Total. Man kommt am Morgen an, und vielleicht ist im Frigo gerade wieder alles eingefroren, weil es in der Nacht minus 15 Grad war, der Strom fällt regelmässig aus, und einmal brachten wir den Gasherd nicht an, weil es um die Flaschen herum zu kalt war.
Was dann?
Wir begannen mit drei Stunden Verspätung zu kochen. Es war die Zeit für den Dampfkochtopf und den Schnellgarer.
Aber das Restaurant blieb offen?
Ja, so wie auch an dem Tag, als wir plötzlich kein Wasser mehr hatten. Wir kochten einfach so, dass wir möglichst wenig Geschirr brauchten. Es war spannend, weil wir sehr umweltbewusst arbeiteten. Andererseits wende ich hier sehr viel Zeit und Energie auf, um Lösungen für technische Probleme zu finden, die ich dann nicht in die Teller investieren kann.
Sie sagen, Routine sei nichts für Sie. Und jetzt kochen Sie doch einen zweiten Winter im Stazione Paradiso.
Routine ist wirklich überhaupt nicht mein Ding. Ich habe vor allem zugesagt, weil ich mit Samuel Envall Utbult in der Küche stehe. In diesem Winter ist es ein gemeinsames Projekt. Wir haben in Kopenhagen zusammengearbeitet und versuchen herauszufinden, ob wir das auch in Zukunft tun könnten. Ich merke aber auch, dass ich mich mega darauf freue, im Frühling weiterzuziehen.
Hat sich in dieser Saison etwas für Sie verändert?
Ich arbeite viel effektiver, weil mich die technischen Probleme nicht mehr so viel Energie kosten. Auch dank Samuel sind die Teller noch reduzierter und noch präziser geworden. Wir kommen aus der gleichen Schule, haben ein gleiches Niveau, darum können wir irgendwie konzentrierter arbeiten. Dann war ich letztes Jahr relativ begeistert von Innereien und ganzen Tieren, dieses Jahr nicht mehr unbedingt. Ich hatte zwar noch zweimal ganze Rehe mit Fell, die wir vor dem Wagen auseinandernahmen, aber die negativen Aspekte des Fleischkonsums beschäftigen mich stark. Das wirkt sich auf mein Kochen aus: Es gibt sehr viel Gemüse und weniger Fleisch oder Fisch.
Die soziale Verantwortung ist Ihnen wichtig?
Extrem. Als Köchin versuche ich, so viel Einfluss zu nehmen wie möglich. Gleichzeitig glaube ich, dass biologisch hergestellte Lebensmittel oft auch einfach besser schmecken.
Ihr Werdegang ist ungewöhnlich: abgebrochenes Studium, abgebrochene Kochlehre und dann Anstellung in einer Sterneküche in Kopenhagen.
Das Studium der Szenografie war super, aber es forderte mich zu wenig. Darum begann ich eine Kochlehre bei Dominic Lambelet im Restaurant Rollerhof in Basel. Nach einem Jahr wechselte er das Lokal und pausierte zwei Monate lang. Ich wollte aber nicht warten und bewarb mich für eine Stage im Restaurant Relæ in Kopenhagen, zuerst für einen Monat.
Aus dem dann drei Jahre wurden.
Ich verliebte mich ins Restaurant und in die Art, wie dort gearbeitet wird. Als sie mir im Relæ einen Job anboten, brach ich die Lehre ab. In Kopenhagen arbeitete ich die ersten sechs Monate für einen Lehrlingslohn, danach hatte ich Praktikanten unter mir. Man wird dort stark gefördert und lernt unglaublich schnell.
Wie muss man sich das vorstellen?
Wir waren damals ein sehr kleines Team mit fünf Festangestellten und zwei Praktikanten. Das Restaurant hatte eben erst einen Michelin-Stern erhalten. Wir arbeiteten sehr viel mit der Stoppuhr und hinterfragten ständig Arbeitsabläufe, um schneller und effizienter zu werden. Jede Woche bekam man eine neue Aufgabe. Zum Beispiel musste ich eine Verwendung für Orangenschalen finden, damit man sie nicht wegwerfen muss, oder ein veganes Dessert konzipieren. Die Idee dahinter ist, dass man als Koch ja viele monotone Arbeiten ausführen muss, dabei kann man über die nächsten Ferien nachdenken, aber als Arbeitgeber darf man auch fordern, dass sich die Köche in dieser Zeit nützliche Dinge für das Restaurant überlegen.
Da wird keine Sekunde verschwendet?
Nein, es war ein einziges Herumrennen, von neun Uhr bis zwei Uhr morgens. Wie im Krieg, dachte ich mir manchmal. Man rannte, weil man wusste, wenn ich nicht durchkomme, wird der Chef laut. Der Unterschied für mich war, dass man zwar zusammengestaucht wurde, weil man einen Arbeitsprozess falsch gemacht hatte, nicht aber, weil man als Person falsch war. Damit konnte ich gut umgehen.