10.10.2024

Die Renaturierung eines Berufs

Text: Monsieur Tabasco
Was früher funktionierte, etabliert sich langsam erneut: Monsieur Tabasco glaubt ans Konzept der Hoftötung – auch wenn wir sie dereinst wohl anders nennen werden.
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Als ich Mitte der Achtzigerjahre in meiner Kochlehre steckte, begleitete das Fernsehen SRF, das damals noch DRS hiess, den Fricktaler Störmetzger Otto Ledermann on Tour. Die alten Säcke unter uns werden noch wissen, was ein Störmetzger war, nämlich ein Mitmensch mit robuster Schürze und rustikalem Seelenkostüm, der sich vom Bauern auf dessen Hof bestellen liess, um dort ein Rindli oder ein Säuli, sagen wir mal, zu stören. 

DRS hält beim Ledermann-Otti mit der Kamera voll drauf. Ohne Triggerwarnung, ohne Berührungsängste. Da «bambelen» in der Remise die aufgehängten Sauhälften, die ganze «Blaatere» der Innereien stürzt heraus wie ein Wasserfall, der Kopf der Sau hängt stillschweigend an einem Fleischerhaken an einem ausgemusterten Weinfass, «us däm machemer Gnaaagi». Am Brunnen vor dem Stall spült der Ledermann-Otti sodann die 30 Meter Darm der Sau. Und während der Störmetzger anschliessend das Saubäggli aus dem Schweinskopf herausoperiert, erklärt er seine Haltung: «Ich sage mir: Das ist ein Tier, das gemetzget werden muss, von dem jemand essen will. Das ist mein Beruf. Man sagt von einer Blume, sie sei schön. Man sagt auch von einer gemetzgeten Sau, sie sei schön, wenn sie nicht zu viel Fett hat, also ist es ein schöner Beruf.» Sagts, probiert mit einer Tasse das Blut im Bottich aus Plastik, ist zufrieden und füllt sodann Blut- und Leberwürste in die Därme.

Eine moderne Lebensmittelinspektorin würde angesichts der Umgebung einer solchen Hofmetzgete in Schnappatmung verfallen, und einem braven Mitmenschen von hier und heute, aus dessen Leben man die weniger liebenswürdigen Seiten des Todes ausgelagert hat, wird womöglich schon bei Lektüren wie dieser etwas blümerant. Genau für solche Leute hat die Fleischbranche zwecks Vermeidung von Begriffen wie «schlachten» oder «töten» den hübschen Euphemismus «Fleischgewinnung» erfunden.

Nun ist ja die Störmetzgerei seit einigen Jahren wieder erlaubt, mit weniger Schnappatmung, mehr Würde und noch mehr Hygiene. Die modernen Ledermann-Ottis kommen mit ihrem traktorigen Geländewagen, im Schlepptau einen grossen Anhänger mit ausgeklügeltem geschlossenem Schlachtraum inklusive schwenkbarer Fang- und Fixiervorrichtung, Blutsammelwanne und weiteren so unsentimentalen wie ungemein praktischen Tools, angefahren.

Mittels Kolbenschuss wird das Tier betäubt, es sackt zusammen, die Hebevorrichtung hievt es in den Schlachtraum, in dem der Störmetzger seine Halsschlagader durchtrennt, sodass es ausblutet und dabei stirbt. Zwischen Schuss und Schnitt darf nicht mehr als eine Minute vergehen. Danach fährt der Störmetzger das Tier innert maximal 90 (Schweiz) oder 120 Minuten (EU) in einen Schlachthof, in dem es fachgerecht auseinandergenommen wird. In Entwicklung sind umfassend ausgestattete mobile Kleinschlachthöfe, in denen auch ausgenommen, enthäutet, grob zerlegt, untersucht und gekühlt wird. Die Nennleistung eines modernen Geflügelschlachtmobils liegt bei 500 Hühnern pro Tag. Der Mensch stirbt im Allgemeinen ja lieber friedlich daheim als nach einem Lebendtransport in ein Spital oder in ein Exit-Sterbezimmer in einem Industriequartier. Rinder haben sich nie dahingehend geäussert, aber ihr Verhalten lässt erahnen, dass es ihnen ähnlich geht. Auch Tiere schütten unter Stress Cortisol aus. Letztes Jahr hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) Cortisolwerte bestimmt. Im Fleisch hofgetöteter Tiere lag er 20-mal tiefer als im Fleisch aus industrieller Schlachtung. Je gestresster das Tier bei der Tötung ist, desto eher sei sein Fleisch trocken, zäh und weniger lang haltbar, sagt das Fibl.

Nein, den Unterschied wird man weder in der Pfanne noch im Blindtest feststellen. Und ja, das Fleisch aus Hoftötung ist teurer. Vier, fünf Franken das Kilo. Früher oder später wird sich die Hoftötung aber als Label etablieren, und jene höherpreisigen Restaurants, die darauf setzen wollen, können dann auswählen, ob sie lieber vom besseren Fleisch oder vom glücklicheren Tier sprechen wollen. Oder von beidem. Ethik liegt ja stets im Trend bei denen, die sie sich leisten können, und «lieber weniger, aber besser» ist das unsterbliche Mantra jener, die als Geniesserin respektive Geniesser gelesen werden möchten. Wahrscheinlich pirschen sich die Marketing-Profis bereits an harmlosere Bezeichnungen für «Hoftötung» heran.

Den Ledermann-Otti, der es zu Lebzeiten auf unvergleichliche Art geschafft hat, eine gemetzgete Sau mit einer Blume zu vergleichen, wird es sowieso freuen. Er hat schon immer gewusst, dass es besser ist, wenn das Tier nicht in die Metzgerei muss, sondern wenn die Metzgerei zum Tier kommt.