12.06.2018 Salz & Pfeffer 4/2018

«Dieser Prozess ist im Gang»

Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Rudi Bindella lässt langsam los. Mit der Gewissheit, dass es die Jungen mindestens so gut können wie er. Im Interview spricht der Patron über seine Werte und blickt darauf zurück, wie es damals war, als er das Ruder übernahm.
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«Ich bin sehr, sehr positiv überrascht, wie das Projekt meinem Sohn gelungen ist.»

Am 23. April, einen Tag nach Ihrem 70. Geburtstag, übergaben Sie unter anderem die operative Leitung der Bindella-Gastronomie an Ihren Sohn Rudi junior. Wieso genau jetzt?
Rudi Bindella:
Bundesrat Furgler sagte einmal, zu einer guten Führung gehöre auch der richtige Zeitpunkt, um das Zepter weiterzugeben. Ich habe mir immer vorgenommen, diesen Schritt nicht zu spät zu machen. Die Übergabe an meinen ältesten Sohn geschah fliessend. Wir arbeiten nun schon acht Jahre zusammen. Ich habe ihn überall nachgezogen und reinschauen lassen, speziell auch in die Gastronomie, mit der er sich am liebsten beschäftigt.

Und nun? Golfplatz?
Ich arbeite genau gleich weiter. Das Weingeschäft, die Handwerksbetriebe und die Finanzen habe ich immer noch bei mir. Es gibt also überhaupt kein Problem mit meiner Auslastung. Aber bei der operativen Verantwortung braucht es einen sauberen Schnitt, da gibt es keinen Graubereich. Für unsere Restaurants haben wir diesen Schritt vollzogen.

Da ziehen Sie sich also zurück?
Ich werde immer noch in den Restaurants sein und zum Beispiel auch weiterhin die Reklamationen bearbeiten. Neu ist einfach eine klare Abgrenzung. Mein Sohn Rudi ist ab sofort der Ansprechpartner für unsere Geschäftsleitung Gastronomie unter Daniel Müller. Wir werden aber noch immer das Dreiergespräch führen. Ich bin gerne weiterhin dabei, weil es mich interessiert. Mit dem Unterschied, dass ich bei entsprechenden Entscheidungen keine Stimme habe, also im Zweifelsfalle überstimmt werden könnte.

Welche Werte haben Sie Ihren Kindern vermittelt?
Respekt finde ich wichtig. Bescheidenheit, Demut, Fleiss, Begeisterung, Leidenschaft und Qualitätsbesessenheit, wenn das denn ein Wert ist. Und Verlässlichkeit. Bei Wilhelm Tell gibts einen Satz, der mich bereits als 16-Jähriger beschäftigt hat und den ich als Verantwortlicher eines Unternehmens oder als Vater einer Familie zu leben versuche: «Der brave Mann denkt an sich zuletzt.»

Wie erlebten Sie die Übergabe von Ihrem Vater an Sie?
Es war eine ähnliche Ablösung wie jetzt. Ich begann als Zehnjähriger im Geschäft mitzuhelfen. Zum Beispiel wusch, befüllte und etikettierte ich Flaschen oder lieferte Pakete aus. So wuchs ich an der Seite meines Vaters auf. Ich hatte ihn gern, verehrte ihn und fand toll, wie er das macht. Ganz unabhängig von der Branche wollte ich einfach auch einmal so eine Persönlichkeit werden wie er. Vor der Übergabe arbeiteten wir dann sieben Jahre Schulter an Schulter. Das war eine gute, sehr anspruchsvolle Zeit.

In welcher Situation befand sich die Bindella-Gastronomie damals?
Wir hatten sieben Restaurants, eine ziemlich bunte Palette, darunter ein Kleinhotel und einen Nachtbetrieb. Ich versuchte, eine klare Italienkompetenz aufzubauen, was mir weitgehend gelang. Die neue Generation übernimmt sicher ein Unternehmen mit einem klareren Marktprofil. Wobei ich das nicht bewerten will. Es gibt andere Gastronomen, die je nach Standort und Konzept etwas anderes machen und damit Erfolg haben. Wir fanden einfach, dass Italien zu uns passt, beim Wein wie auch bei der Gastronomie.

Im Terrasse in Zürich oder im National in Winterthur fehlt dieser Italienfokus allerdings.
Stimmt, das Gleiche gilt für den Berner Kornhauskeller. Aber das sollen Ausnahmen bleiben. Gerade weil es heute so viele Ideen, Strömungen und Konzepte gibt, kann der Weg eines Unternehmens auch sein, noch stärker bei einer Sache zu bleiben, um sich von anderen abzuheben. Den Italienfokus wollen wir darum nicht aufbrechen. Geöffnet haben wir uns dafür in Bezug auf Essensgewohnheiten. Es war mein Sohn, der mit den beiden Restaurants Più unsere ersten Take-away- und Selbstbedienungskonzepte initiierte.

An der Eröffnung des ersten Più vor dreieinhalb Jahren hielten Sie eine etwas besorgt wirkende Rede. Erinnern Sie sich daran?
Nicht im Detail. Aber ich versuchte damals, eine gewisse Vorsicht walten zu lassen. Wir begaben uns in ein neues Geschäftsfeld. Sohn Rudi war sehr überzeugt, dass das gut kommt. In meinem Alter ist man natürlich vorsichtiger als mit 30. Das war mit mir und meinem Vater nicht anders gewesen. Mit dem ersten Più merkten wir schnell, dass der Standort und die Liegenschaft gut sind. Ich bin sehr, sehr positiv überrascht, wie das Projekt meinem Sohn gelungen ist. Es ist ja immer schwierig, wenn man im Schatten eines Vaters aufwächst. Aber alles, was er bis jetzt angerührt hat, ist ihm gelungen. Und wenn Sie sehen, dass es die Jungen genauso gut, wenn nicht besser machen, können Sie auch plötzlich loslassen. Dieser Prozess ist nun voll im Gang.

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Was sollte Ihr Sohn als Nachfolger anders machen als Sie?
Ich finde es am wichtigsten, dass jeder zu sich findet und nicht versucht, den Vater oder den Bruder zu kopieren, sondern den Mut hat zu sagen: Ich weiss, wo mein Weg durchgeht. Als ich von meinem Vater übernahm, hiess es auch, ich würde nie so sein wie er. Und das wird es immer heissen. Der Sohn muss aber auch nicht sein wie der Vater, er muss sich selbst sein. Ich glaube, bei Rudi ist das der Fall. Er geht zwar den Pfad, den ich eingeschlagen habe, weiter, macht aber gewisse Sachen auf seine Art, das finde ich gut.

Gab es unter Ihren vier Söhnen eigentlich Diskussionen, wer welche Rolle im Unternehmen übernimmt?
Dieser Prozess ist gut verlaufen. Sie waren sich relativ schnell einig. Ich sagte ihnen, sie sollen sich selbst darauf verständigen. Und sie teilten sich genauso auf, wie ich es auch gemacht hätte. Das hat mich noch erstaunt.

Wie beurteilen Sie das aktuelle wirtschaftliche Umfeld?
Die Prüfung für alle Marktteilnehmer ist der Wohlstand. Wir haben von allem zu viel. Zu viele Restaurants, zu viele Friseure, zu viele Journalisten, zu viele Weinhandlungen. Der Verdrängungswettbewerb ist sehr viel härter als noch vor 30 Jahren. Darauf muss man sich einstellen. Die Antwort in einem gesättigten Markt ist immer die Qualität, nur so kann man bestehen.

Nach welchen Kriterien wählen Sie neue Restaurants aus?
Wir suchen nach Lokalen an sehr gut frequentierten Lagen, in städtischen Zentren, wenn möglich in einer Liegenschaft mit schönen Räumen und einer Geschichte. Früher war es das Ziel, in einem Restaurant gut zu essen, heute ist es die Bedingung. Das Bedürfnis heute ist, einen Raum anzutreffen, der Wohlbefinden ermöglicht. Noch wichtiger ist die «Gastherzlichkeit», das Gefühl, willkommen zu sein.

Ihre Restaurants gelten als sehr kinderfreundlich. Wie lautet da die Weisung?
Zu Italien gehört die Familie und zur Familie die Kinder. Wir wollen generell ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten, aber ein speziell gutes für Familien. Darum essen Kinder bis zwölf Jahre bei uns, je nach Restaurant, für neun bis 15 Franken alles Gewünschte aus der Speisekarte der «Grossen». Da legen wir vielleicht drauf, aber so können auch Eltern mit zwei Kindern und tieferem Einkommen bei uns essen. Und ich bin überzeugt, es kommt auf anderen Wegen wieder zurück.

Haben Sie einen Gegenspieler, einen Konkurrenten, der Sie dazu anstachelt, besser zu werden?
Jeder tüchtige Mitbewerber ist ein Gegenspieler. Ich finde, Michel Péclard macht seine Sache sehr gut. Er ist fantasievoll, mutig und tut uns gut. Aber auch Candrian oder die Caterer aus der Gemeinschaftsgastronomie sind sehr gut organisiert.

Sie gelten als Patron alter Schule, eine aussterbende Art.
Wenn Sie für ein Familienunternehmen tätig sein können, haben Sie eine andere Zeitachse. Da gibt es ganz andere Visionen, an denen man länger arbeiten kann. Einem Manager von heute geht es, glaube ich, nicht darum, eine Vision umzusetzen, weil er dafür in der Regel nicht lange genug im Betrieb bleibt. Ich arbeite nun seit 40 Jahren an meiner Vision.

Hat sich diese mal verändert?
Eigentlich nicht. Wir haben einen starken Bezug zur Erde. Die Bearbeitung des Bodens, die Handarbeit ist wichtig. Unser Leitmotiv lautete lange Zeit «terra, vite, vita», also «Boden, Reben, Lebensfreude». Nach 30 Jahren änderten wir das Ganze auf «la vita è bella». Alles, was wir machen, ist auf diesen Satz ausgerichtet. Dabei ist die Formulierung sehr philosophisch, die Umsetzung aber sehr einfach. Wir wollen, dass unsere Gäste einen schönen Raum antreffen, gut essen und feinen Wein trinken.

Rudi Bindella studierte Wirtschaftswissenschaften an der HSG in St. Gallen. Dort erwarb er auch den Doktortitel. 1975 trat der heute 70-Jährige in das Gastronomie- und Weinunternehmen der Familie ein und leitet dieses seit 1982 alleinverantwortlich. Neben Gipser- und Malerbetrieben umfasst die Bindella-Gruppe 43 Restaurants sowie einen Weinhandel. Importiert werden (neben den eigenen) Weine von über 40 renommierten italienischen Weinproduzenten, zum Beispiel Antinori, Ornellaia, Masi oder Braida. Rudi Bindella wohnt in Zürich, ist verheiratet und hat vier erwachsene Söhne sowie eine kleine Tochter. Am 23. April übergab Bindella die operative Leitung der Gastronomiesparte, des Marketings und der Personalabteilung an seinen ältesten Sohn Rudi Bindella junior.
www.bindella.ch