«Seit wir am neuen Standort sind, gab es schon drei Einbruchsversuche.»
Die letzte Saison war so ergiebig, dass selbst ungeübte Pilzler nach kurzer Zeit randvolle Körbe aus den Wäldern schleppten. Mit Wildpilzen allein lässt sich die von Jahr zu Jahr steigende Nachfrage allerdings bei weitem nicht stemmen. Zumal der Hunger nach frischen Schwämmen nicht mit dem Herbst vergeht. Und die ewigen Champignons – mit rund 95 Prozent noch immer die wichtigsten Speisepilze der Schweiz – auf Dauer nicht glücklich machen. Die Zucht neuer Sorten liegt auf der Hand, doch der Weg dahin ist kein leichter. Manche Arten lassen sich überhaupt nicht kultivieren, andere entpuppen sich als divenhafte Wesen: Ein Grad oder Lufthauch zu wenig und schon wächst der Pilz nicht mehr so schnell und schön, wie er sollte.
Die Hauptaufgabe des Züchters besteht also darin, seine Pilze zu verstehen. Erst wenn er ihren Charakter, mitsamt allen Schrullen und Allüren, kennt, kann er ein Milieu schaffen, in dem sie optimal gedeihen. Dazu gehören eine auf den Pilz abgestimmte Diät, sprich die Zusammensetzung des Nährbodens, sowie perfekt temperierte, befeuchtete und belüftete Räume. Bis es so weit ist, können gut und gerne 20 Jahre verstreichen. So war es jedenfalls bei Patrick Romanens, Gründer der Fine Funghi AG im zürcherischen Gossau, der in der Schweiz beim Shiitake die Pionierrolle übernahm. Weil der asiatische Würzpilz viel natürliches Glutamat enthält, gilt er als wahre Umami-Bombe.
In China schlugen die Pilzbauern mit Stöcken an die Bäume, um das Wachstum des Shiitakes auszulösen. Bei Romanens geht das wesentlich sanfter durch das Rollen der Pilzwagen: «Feinste Erschütterungen genügen.» Es sind solche Eigenheiten, welche die Zucht des einen Pilzes vom anderen unterscheiden. Das Prinzip bleibt jedoch dasselbe (siehe Box). Gerade beim Kräuterseitling, der punkto Popularität am meisten zugelegt hat, seien die Erträge anfangs miserabel gewesen: «Ich musste viel üben und zweimal nach Asien reisen, um herauszufinden, was ich falsch mache.»
Mittlerweile weiss Romanens den Pilz richtig zu hätscheln: «Ich massiere das Myzel an der Oberfläche des Substrats, das steigert den Ertrag um 20 Prozent.» Der feinwürzige Kräuterseitling erinnert optisch an Steinpilze, seine Beliebtheit hat aber einen anderen Grund: «Er ist eine gute Wahl für alle, die das Schlabberige der Pilze nicht mögen.» Der Pilz bleibt lange frisch und beim Kochen fest. In Scheiben geschnitten kann er wie ein Stück Fleisch zubereitet werden. Als Ersatz taugt er indes nur bedingt: «Um auf dieselbe Menge Protein zu kommen, muss man sehr viel davon essen.»
Mit dem nussigen Pioppino nahm Patrick Romanens vor zwei Jahren eine neue Sorte in Zucht: «Die ersten zwei Jahre kosten Geld, das gehört dazu. Die Zucht lohnt sich, wenn man pro Woche ein paar 100 Kilo verkaufen kann.» Nicht zuletzt dank Tipps von der Konkurrenz vervierfachte sich der Ertrag beim Pioppino: «Niemand sagt alles, doch mit der Summe des Bisschen kommt man weiter.»
Zu den Stammkunden zählt das Restaurant Jakob in Rapperswil, das von Gault & Millau mit 15 Punkten bewertet und zur Entdeckung des Jahres 2018 gekürt wurde: «Als strikt regionales Restaurant sind wir auf die Pilze aus Biozucht angewiesen», sagt Küchenchef Markus Burkhard. Für einen aktuellen Gang mit Kräuterseitling, Sellerie und Eigelb confiert er den Pilz in Rapsöl und schneidet ihn zu einem Carpaccio auf. Generell hat Neues auf dem Markt jedoch einen schweren Stand. Wegen des Was-der-Bauer-nicht-kennt-Problems verkauft Romanens die neue Sorte in gemischten Schalen.
Sepp Häcki von der Kernser Edelpilze GmbH kennt die Schwierigkeit. Nichtsdestotrotz ist er entschlossen, jede Saison eine neue Sorte zu lancieren. Die Enoki-Episode zeigt, dass sich selbst ein Aufwand von 15 Jahren lohnen kann: Letzten Sommer brachte Häcki die ersten Enoki aus europäischer Zucht auf den Markt. Der feine, langstielige und nach Orange duftende Pilz, der häufig roh auf Salat serviert wird, sorgte nicht nur an Fachkongressen für Aufregung: «In der Gastronomie ist der Enoki ein Renner, der Absatz hat sich in drei Monaten verzwanzigfacht.»
Ebenfalls sehr gut laufe der Pom Pom Frisé. Ein Pilz, der aussieht wie eine Koralle und zu den natürlichen Lebensmitteln mit den meisten Aromastoffen zählt. Beim Kochen fällt er allerdings etwas zusammen und verfärbt sich gelblich. Seit zehn Jahren züchtet Häcki zudem den kompakten und etwas schleimigen Nameko, der in Misosuppen oder Nudelgerichten gut aufgehoben ist: «Es gibt einen Trend zu ganzen Pilzen im Gericht.»