Hier ein Restaurant zu eröffnen, noch dazu ein richtig gutes, kann als mutig bis verrückt angesehen werden.
«Ich hätte mal wieder Lust, an die Töpfe zu gehen», sagt Thomas Schanz und seufzt, mitten im Corona-Lockdown. Und das glaubt man umso eher, als der Mann in Piesport wohnt. Ein Ort, den man sich ungefähr so vorstellen muss: ein paar bekannte Weinberge auf der einen Seite der Mosel, ein paar nicht ganz so berühmte auf der anderen. Dazwischen vor allem Langeweile mit Vorgarten, blühend im Mai, golden im Herbst, aber ziemlich grau zwischen November und März. Nach Piesport zieht niemand, der nicht muss oder sich nicht konkrete Vorteile verspricht – oder der so verliebt ist in den Mosel-Riesling, dass er es nicht ohne diesen vor der Haustür aushalten kann. Hier ein Restaurant zu eröffnen, noch dazu ein richtig gutes, kann als mutig bis verrückt angesehen werden. 99 Prozent der Gastronomie zwischen Koblenz, wo die Mosel in den Rhein mündet, und der alten Römerstadt Trier begnügen sich ja mit Pizza-Schnitzel-Einerlei. Wenn es althergebrachte Sattmacher wie Teerdisch gibt, eine regionale Spezialität aus Kartoffeln und Sauerkraut, ist das schon als positiv zu vermerken.
Man kann sich vorstellen, wie sehr die Piesporter irritiert waren. Damals, vor zehn Jahren, als der junge Koch Thomas Schanz zurückkam. Nach einer Ausbildung in der Traube Tonbach in Baiersbronn, dem Drei-Sterne-Paradies im Schwarzwald. Nach Erfahrungen beim ebenso hoch ausgezeichneten Kollegen Klaus Erfort in Saarbrücken. Schliesslich nach Jahren als Souschef im Sonnora, dem berühmten Eifel-Restaurant. Im Nichts ein Gourmetlokal zu eröffnen und erfolgreich zu führen, lernte Schanz spätestens dort.
Teufelskreis Mosel
Ohne den Hintergrund der Familie, die eigene Weinberge besitzt und ein kleines Hotel führt, hätte Schanz 2011 den Schritt zur grossen Gastronomie aber wohl nicht gewagt. Die bedeutende Zeit der Mosel war schliesslich lange vorbei. An jene Epoche, als Heinz Rühmann und die halbe Berliner Jeunesse dorée hierherkamen, um ein paar Wochen Ferien zu verbringen, an die reichen Kaiserreich-Weinhändler mit ihren Villen, erinnern noch Orte wie Bernkastel und Traben-Trarbach, alte Speisekarten und historische Fotos. Dann kamen Kriege und Billig-flüge dazwischen, weshalb die schicken Berliner spätestens in den Siebzigerjahren lieber nach Mallorca flogen, als an die Mosel zu reisen. Aber da war eh schon alles zerstört, was mit gastronomischer Kultur zu tun gehabt hatte. Übrig blieben die Campingwagenfahrer aus den Niederlanden, die sich noch heute wochenlang Stellplätze am Ufer sichern und Dosenravioli aufwärmen, aber nur selten für Umsatz bei den ortsansässigen Wirten sorgen. Was das Angebot nochmals nach unten drückt. Ein Teufelskreis.
Doch man kann ihn durchbrechen. Immer mehr Winzer haben das in den letzten 20 Jahren versucht. Bei Johannes Selbach im nicht weit entfernten Zeltingen schauen seit einiger Zeit immer mal wieder Neugierige aus den USA vorbei, und in den angesagten Restaurants von Kopenhagen oder Stockholm ist Mosel-Wein populärer als in der deutschen Spitzengastronomie.
Wein lockt, Persönlichkeit auch
Wenn die neuen Weintouristen mal da sind, bleiben sie zum Essen. «In den letzten Jahren kamen viele Skandinavier», sagt Schanz, «aber auch Schweizer.» Die Luxemburger reservieren sowieso, schliesslich ist die Grenze nah und wird im Fürstentum traditionell mehr Geld fürs Essen ausgegeben als in Deutschland. Auch untertags. Schanz kann ein gutes Lunchgeschäft vermelden – am Freitag und am Sonntag, wenn das Restaurant auch mittags auf und nicht selten voll ist. Vielleicht ein Fingerzeig darauf, dass ein Trendwechsel bevorsteht.
Auch der Trend zur Klassik mit Individualität ist nicht zu leugnen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Küche verändert. «Man wird mutiger», stapelt Schanz tief. Am Anfang ging es noch klassisch zu, die Kritiker fühlten sich beim einen oder anderen Gang an den Küchenstil erinnert, den Klaus Erfort (Gästehaus Erfort) und Helmut Thieltges (Sonnora) pflegten. Dann kam Eigenes hinzu, immer mehr, und inzwischen gilt Schanz als einer der heissesten Anwärter auf den dritten Stern. Der Gault & Millau kürte ihn eben zum Koch des Jahres, für den Gusto rangiert er nur einen Wimpernschlag hinter der Höchstnote von zehn Pfannen.