Der Sterne-Koch, angeschlagen und übermüdet, sieht alles über sich hereinbrechen.
Chefkoch Andy Jones steckt in der Misere. Zwar ist sein hippes Londoner Restaurant jeden Abend ausgebucht. Doch in der Küche brodelt es buchstäblich: Vom Lebensmittelinspektor gibt es schlechte Noten, die Managerin schäumt vor Wut und die Crew ist überarbeitet. Krampfhaft versucht Andy, die Balance zwischen Arbeits- und Privatleben nicht zu verlieren. Letzteres liegt in Scherben, und seine psychische Gesundheit ist angeschlagen. Dann taucht auch noch ein alter Freund und Rivale auf – in Begleitung einer aalglatten Restaurantkritikerin.
Unbeschönigt und packend
Nervenaufreibend ist das Wort, mit dem sich dieser Film am besten beschreiben lässt. Zwar gibt es Momente, in denen Andy, ganz der erfahrene Patron, kurz Herr einer chaotischen Lage zu werden scheint. Doch diese Momente dauern Millisekunden. Dann schlägt die Stimmung um, es türmen sich Probleme auf Probleme, und der Sterne-Koch, angeschlagen und übermüdet, sieht alles über sich hereinbrechen. «Boiling Point» ist weit weg von anderen Feel-Good-Movies über Essen und Restaurants. Sinnliche Kochszenen in Zeitlupe und leidenschaftlich schwadronierende Köche sucht man hier vergebens. Stattdessen zeichnet Regisseur Philip Barantini ein authentisches und packendes Porträt der zeitgenössischen Sterne-Gastronomie.
Hautnah dabei ohne Schnitt
Die Intensität des Filmes ist dabei auch der Art der Aufnahme geschuldet. 90 Minuten ohne Schnitt, gefilmt mit einer Kamera, erlaubt einer Filmcrew – genau wie in der Sterne-Küche – fast keine Fehler. Erstaunlicherweise wirkt der Film aber nicht durchorchestriert, sondern glaubwürdig. Das Publikum wähnt sich mittendrin in der brummenden Abendschicht des Londoner Szene-Restaurants.
Für viel Echtheit sorgt die brillante Darstellung von Chefkoch Andy Jones. Stephen Graham spielt den ausgebrannten Koch mit einer solchen Überzeugung, dass man ihm den kratzbürstigen Charme, aber auch die drohende Nervenkrise jederzeit abnimmt. Mal weckt er Empathie, wenn er sich für seine Fehler entschuldigt, dann sorgt er für Ärger, weil er versucht, sich davonzustehlen. In diesem Film ist der Hauptcharakter alles andere als sympathisch, und doch möchte man ihm gut zureden, dass er doch mehr auf sich schauen solle, weil sonst ganz sicher eine Katastrophe droht.