«Man muss sich fragen, was unrentabel in der Gastronomie bedeutet.»
Ihr Firmenname Desillusion verspricht Enttäuschung. Sind Gastronomen blauäugig?
Lukas von Bidder: Nein, das kann man nicht generell sagen. Was man sagen kann, ist, dass die Gastronomie starke Emotionen weckt. Der Reiz, in die Branche einzusteigen, ist relativ hoch. Wer hat nicht schon vom eigenen Szenekaffee oder von der gemütlichen Quartierbeiz geträumt? Solche romantischen Visionen und Vorstellungen von der Gastronomie, bei denen kein knallharter Businessplan dahintersteckt, haben wenig Erfolgschancen.
Wie werden solche Ansagen von Ihren Kunden aufgenommen?
Positiv wie auch negativ. Wir haben eine klare Position und sagen, wie es ist, ohne dabei persönlich zu werden. Es ist unsere Pflicht als Berater, die Kunden auf solche Sachen hinzuweisen und ihre Visionen und Ideen auf eine gesunde Basis zu stellen. Am Schluss entscheiden sie.
Was braucht es denn für einen erfolgreichen Betrieb?
Das Wichtigste ist es, die beiden Kostentreiber Mitarbeiter- und Warenaufwand im Griff zu haben. Sie machen zusammen rund 80 Prozent der Gesamtkosten aus. Dafür braucht es eine smarte Warenbewirtschaftung und flexible Arbeitsmodelle. Ersteres bedingt etwa eine monatliche Inventur, Zweiteres einen guten Mix zwischen Fixangestellten und Mitarbeitenden im Stundenlohn. Für den Wirt heisst das: Sind wenig Gäste im Restaurant, muss er Mitarbeiter auch nach Hause schicken können. Ausserdem gibt es immer noch viele Gastronomen im Markt, die keine Budgets machen. Die Kosten zu kontrollieren, genügt aber nicht. Es braucht klare Konzepte, keine 30-seitigen Speisekarten. Erfolgreiche Restaurants heben sich mit reduzierten Karten, hochwertigen Produkten und einer eigenen, klar erkennbaren Identität von der Konkurrenz ab.
Gemäss dem aktuellen Branchenspiegel von Gastrosuisse schreiben über 60 Prozent der Betriebe rote Zahlen. Trotzdem flacht das Gründungsfieber nicht ab. Wie erklären Sie sich das?
Zunächst einmal bin ich der Meinung, dass es in der Schweiz rund 10000 Betriebe zu viel gibt. Trotz dem schwierigen Marktumfeld bleibt die Gastronomie gerade auch für Quereinsteiger attraktiv: Essen und Trinken fasziniert Menschen seit Jahr und Tag. Zudem sind die Eintrittshürden auf den ersten Blick relativ tief.
10000 sind mehr als ein Drittel aller Betriebe.
Man muss sich fragen, was «unrentabel» in der Gastronomie bedeutet. Sind es nur jene, die kurz vor dem Konkurs stehen oder in ihren Büchern einen Verlust ausweisen? Oder sind es auch die, bei denen sich der Wirt den Unternehmerlohn kürzt oder streicht, damit er in die schwarzen Zahlen kommt? Das Problem ist, dass Gastronomen, die sich keinen oder nur wenig Lohn auszahlen, auch ihre Altersvorsorge vernachlässigen. Das ist dann immer hart, wenn man jemanden aus seiner stattlichen Wirtewohnung in eine Sozialwohnung begleiten muss.
Sie haben das schon miterlebt?
Ja. Wenn man in der Analyse merkt, dass über Jahre hinweg am Unternehmerlohn gespart wurde – das ist schwierig.
Wie kann man so über Jahre hinweg leben?
Das ist relativ einfach. Man geht nicht in die Ferien, arbeitet ständig und lebt praktisch von den Einnahmen des Vorabends. Es gibt Wirte, die am Morgen mit dem Auto in den CC fahren, mit diesem Geld Aktionen einkaufen und so ihr Mittagsmenü zusammenstellen.
«Ein Dorf kann sich nicht einen Bären, einen Sternen und eine Sonne leisten.»
Das klingt chaotisch.
Ja, auch in ländlichen Regionen sind heute klare Konzepte gefragt. Gerade weil es zu viele Gastronomiebetriebe gibt. Ein Dorf kann sich nicht einen Bären, einen Sternen und eine Sonne leisten, zumal die Leute auch weniger in Vereinen aktiv sind und diese immer häufiger eigene Lokale besitzen.
Welche Trends beobachten Sie in urbanen Zentren wie Zürich oder Basel, wo Sie besonders aktiv sind?
Als erfolgreich haben sich wandelbare Konzepte erwiesen: Angebot, Service-Design und damit auch die Atmosphäre werden dabei laufend an die Bedürfnisse der Gäste angepasst. Am Mittag muss es gesund sein – und schnell gehen. Hier erkennt man auch einen Trend zur Abschaffung des Servicemitarbeiters. Es gibt immer mehr teilbediente Konzepte, bei denen sich der Gast beteiligt, indem er etwa an der Theke bestellt und dann das Essen am Tisch serviert bekommt. Am Abend darf es dann ausgedehnter und erlebnisorientierter sein, Raum und Angebot werden inszeniert. Auffallend ist auch der Trend zur Uniformisierung: Man sieht ähnliche Gartenmöbel, ähnliche Materialen, ähnliche Stilrichtungen.
Was halten Sie davon?
Ich fühle mich wohl in solchen Konzepten. Sie funktionieren, weil der Gast ein Bedürfnis hat, sich in solchen Räumen aufzuhalten. Entsprechend viele Gastronomen wissen um ihr Potenzial. Sie müssen heute mutiger sein als noch vor zehn Jahren – das höre ich immer wieder in Gesprächen mit etablierten Gastronomen. Früher reichte es, ein bestehendes Konzept etwas anzupassen, heute muss man sich klarer differenzieren.