29.08.2023 Salz & Pfeffer 4/2023

Ein Bier für jeden Geschmack

Text: Carole Gröflin – Fotos: Tina Sturzenegger, z. V. g.
Während Wein im Getränke-Pairing traditionell die Hauptrolle spielt und alkoholfreie Alternativen sich langsam etablieren, ist Bier bislang kaum ein Thema. Dabei hätte es einiges zu bieten.
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«Bier hat viel mehr Facetten als Wein.»

Zu einem feinen Essen auf dem Teller gehört das ergänzende Flüssige im Glas. Wobei dieses längst nicht mehr auf der Weinkarte stehen muss: Der grossen Biervielfalt ist es zu verdanken, dass es heutzutage zu jeder Speise auch den passenden Gerstensaft gibt. Um diesen zu finden, stehen etwa Biersommeliers oder Biersommelièren beratend zur Seite. Einer von ihnen ist Greg the Beer Coach, mit bürgerlichem Namen Gregor Völkening. Der 43-Jährige erreichte 2021 den zweiten Rang bei den Schweizer Meisterschaften der Biersommeliers. Er braut selber in der Freizeit Bier und absolvierte vor fünf Jahren die Ausbildung zum Biersommelier an der Doemens Akademie. Diese beiden Tätigkeiten seien für ihn prägend gewesen: «Durch das Brauen setzte ich mich intensiver mit dem Produkt auseinander», erinnert sich Völkening. Die Ausbildung habe ihn schliesslich sensorisch derart bereichert, dass er heute Mühe habe, «einfach so ein Bier zu trinken». Stets analysiert er das Genussmittel.

Beim Treffen in einer Zürcher Bierbar stellt Völkening sogleich ein längliches Brett mit vier kleinen Biergläsern auf den Tisch – einen sogenannten Flight. Dieser hat wenig mit Aerodynamik und viel mit Ausprobieren zu tun: Die Auswahl von verschiedenen Bieren wird parallel und in Verkostungsportionen serviert. Völkening freut sich, die ihm unbekannten Biere, die hier abwechslungsweise selber gebraut werden, zu verkosten, die Faszination fürs Genussmittel steht ihm ins Gesicht geschrieben. «Bier hat viel mehr Facetten als Wein. Letzterer besteht aus vergorenem Fruchtsaft, während Bier die Ausprägungen bitter, süss, sauer, salzig und umami haben kann», erläutert er (siehe Box).

Mehr möglich beim Dessert
Bier bietet also vielfältigere Optionen? Völkening führt seine Argumentation am Beispiel des Desserts aus, das mit Wein schwierig zu pairen sei. «Meist wird da einfach die Süsse mit einem Dessertwein verstärkt.» Beim Bier hingegen, so der Experte, könne man ausweichen, zum Beispiel auf ein belgisches Kriek-Bier, das nach Kirsche schmeckt und säuerlich ist. «Oder aber man greift zu einem Imperial oder Pastry Stout. Diese kräftigen Biere überzeugen mit ihrer Röstmalzaromatik, die sich mit Noten von Kaffee oder Schokolade zeigt», schwärmt Völkening.

Für das Pairing in einem Menü empfiehlt der Fachmann, mit leichten Bieren zu starten, dann immer schwerer und vielschichtiger zu werden. Wichtig auch: Bei einem Mehrgänger dazwischen neutralisieren. «Beim Essen macht man das mit Sorbet. Das Äquivalent in Bierform ist ein Sauerbier», erklärt Völkening. Damit werden die Geschmacksknospen komplett freigemacht, sodass mit der Komplexität wieder von vorne gestartet werden kann. Für eine würdige Präsentation eignen sich – bierstilübergreifend – Teku-Gläser.

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Genuss gut verkaufen
Grundsätzlich gibt es beim Pairing drei verschiedene Lehrmeinungen: Man kombiniert Geschmäcker entweder gleich mit gleich, gegensätzlich oder verstärkend. Völkening hat hier kein festgefahrenes Muster, obwohl er gerne Gleiches mit Gleichem paart. «Ich mag es, wenn sich Geschmäcker gegenseitig erhöhen und so Nuancen erlebbar werden.» So sei dies etwa der Fall, wenn man ein belgisches Lambic zu Muscheln geniesst: «Da gahsch abe!» Und was tun, wenn ein Pairing doch mal misslingt? Völkening schmunzelt und sagt: «Entweder gut verkaufen oder ein neues Bier holen. Es ist am Ende Geschmackssache, ob jemandem eine Paarung zusagt.» Er habe mehrfach erlebt, dass ein Gast ein Bier zum Essen genial fand, während am gleichen Tisch jemand anderes sass, dem es überhaupt nicht zusagte. «In solchen Fällen gehe ich in den Keller und organisiere einen Ersatz.»

Die stiefmütterliche Behandlung von Bier im Gastgewerbe ist Völkening ein Dorn im Auge: Auf der Getränkekarte stünden meist die Weine, während die Biere weiter hinten zusammen mit den Soft Drinks aufgeführt seien. «Dabei wäre es so einfach, Genussmenschen auch mit Bier eine Freude zu machen», so der Beer Coach. «Zum Beispiel mit einem Bierkühlschrank mit einer interessanten Auswahl. Drei IPAs, etwas Dunkles und einige grosse Flaschen – das wäre der Hit.»

Und in der Praxis?
Auf den Biergeschmack gekommen ist man bereits im Gasthof Gyrenbad. Zum ersten Mal führte das Team im Zürcher Restaurant Anfang August ein Beer & Dine durch. «Wir merkten im Herbst letzten Jahres bei einem Wild-Pairing-Anlass, dass die Gäste solche Veranstaltungen schätzen», erklärt Geschäftsführer Polykarpos Papadopoulos. Zudem habe eine neue Servicemitarbeiterin die Biersommelier-Ausbildung von Gastrosuisse absolviert, sodass sie für die Idee sofort Feuer und Flamme gewesen sei. Im Rahmen des August-Events wurde ein mehrgängiges Menü serviert, zu dem vier bis sechs Biere aus dem Hause Feldschlösschen ausgeschenkt wurden. Am 22. September wird es im Gyrenbad dann noch lokaler: Unter dem Motto «Wild trifft Bier und Wein» kommt unter anderem Bier aus der Brauerei Hopfenfisch aus Neftenbach ins Glas. Der Brauer selbst wird anwesend sein und sein Produkt vorstellen. «Menschen lernen gerne mehr über Lebensmittel und darüber, weshalb diese miteinander harmonieren», so Papadopoulos.

Die Bausteine
Bier besteht in der Regel aus Hopfen, Getreidemalz, Hefe und Wasser. Aus diesen vier Komponenten lässt sich eine Vielzahl von Bierstilen brauen. Der Hopfen liefert die Bitterkeit sowie einen blumigen bis harzigen Geschmack und sorgt nebenbei für die Schaumkrone sowie die Konservierung. Das Malz ist für den Malzkörper verantwortlich und bestimmt unter anderem die Restsüsse sowie den Alkoholgehalt. Die Hefe rundet je nach Fermentation (ober- oder untergärig) das Ergebnis mit Komplexität ab. Ausserdem prägt der Hefepilz den Charakter eines Biers. Und das Brauwasser kann diesem durch die gelösten Mineralien einen leicht salzigen Eindruck verleihen (bei Gose indes wird Salz hinzugegeben). Derweil entsteht die Umami-Note aus einer Kombination von verwendeten Malzen (hauptsächlich dunklen) und Gärprozess. Säure indes gelangt über Milchsäurebakterien oder weitere Mikroorganismen, die in Ergänzung zur Hefe arbeiten, ins Bier.

Kongeniale Partner
Beer Coach Gregor Völkening schlägt drei Biere zum Essen vor – und liefert dazu passend konkrete Pairing-Empfehlungen.

Abbaye de Saint Bon-Chien, Brasserie des Franches Montagnes: «Ideale Begleiter sind Braten oder geschmorte Speisen mit Kartoffeln. Also deftige Speisen, die dem dominanten Geschmacksprofil entgegenhalten.»

Duchesse de Bourgogne, Brouwerij Verhaeghe: «Das Bier funktionert als Essigersatz in Salatsaucen. Es passt aber auch gut zum Dessert, etwa einem Fruchtkuchen. Oder zu schweren Umami-Gerichten wie Braten. Die Säure im Bier neutralisiert die üppigen Aromen gut.»

Sweet Baby Jesus Chocolate Peanut Butter Porter, Duclaw Brewing Co.: «Etwas Bier über eine Kugel Vanilleglace geben und als Dessert servieren. Ein Kollege ist durchgedreht, als ich ihm das bei mir serviert habe. Er hat das Dessert sofort in sein Repertoire aufgenommen.»