«Die enge Verbindung des Neuro Culinary Center zur Wissenschaft macht ihn einzigartig.»
Läuft alles nach Plan, öffnet «das Morgen» im Sommer seine Tore. Sind Sie auf Kurs?
Was die Bauarbeiten und die Gestaltung der Lerninhalte betrifft – auf jeden Fall. Aber da ist natürlich dieses Fragezeichen am Horizont, eine Unsicherheit, die nicht nur uns beschäftigt: Wie sich die Pandemie bis im Sommer entwickeln wird, ist nicht abschätzbar. Aber wir sind zuversichtlich und hoffen, dass wir im August mit den Lehrgängen starten und talentierte junge Berufsleute begrüssen dürfen, die sich am Neuro Culinary Center persönlich und handwerklich weiterentwickeln wollen.
Was erwartet die Studierenden?
Zwei achtmonatige, interdisziplinär ausgerichtete Lehrgänge mit viel unmittelbarem Bezug zum Handwerk – einmal für gelernte Köche, einmal für Restaurationsfachleute. Mit 65 Prozent Praxisanteil pro Lehrgang wollen wir sicherstellen, dass das jeweilige Handwerk in seiner ganzen Tiefe und Bandbreite vermittelt wird.
Sprechen wir zuerst über den Lehrgang Küche, der sich an gelernte Köche richtet. Worum geht es?
Inhaltlich gliedert sich der Lehrgang in die Themenbereiche Food sowie Kochtechnik und Prozesse. Wir setzen aber nicht erst da an, wo es darum geht, ein Gericht zu planen, sondern an der Basis – also den Rohstoffen, mit denen wir arbeiten. Sie stehen beim Schwerpunktthema Food im Zentrum. Diesen Ansatz verfolgen wir übrigens auch im Lehrgang Kulinarik für Restaurationsfachleute: Bevor sie anfangen, Getränkepairings zu studieren oder Cocktails zu mixen, lernen sie, wie man Bier braut, verschiedene Spirituosen brennt oder Kaffee röstet, indem sie Brauer, Brennmeister und Röster bei der Arbeit über die Schulter blicken. Analog dazu ist es unser Ziel, die Produktkompetenz von Köchen zu stärken und ihr Qualitätsverständnis zu schärfen.
Wie?
Im Rahmen der Praxismodule verbringen die Studierenden insgesamt mehrere Wochen bei verschiedenen Produzenten, die ihnen ihr Handwerk näherbringen, ihr Wissen und ihre Leidenschaft weitergeben. Nach jeweils zwei Wochen bei einem Produzenten geht es für die Studierenden für zwei weitere Wochen zu einem unserer Partnerbetriebe in der Gastronomie.
Was steht sonst noch auf dem Lehrplan?
Unser Hauptanliegen ist es, jungen Berufsleuten das beste Rüstzeug für die Verarbeitung und Veredelung von Qualitätsprodukten mitzugeben. Beispielsweise durch alte Kulturtechniken wie Räuchern, Trocknen oder Salzen, aber eben auch durch High-Tech-Methoden mithilfe modernster Gerätschaften, über die wir dank der Infrastruktur im «das Morgen» verfügen werden. Weitere Lerninhalte widmen sich beispielsweise der Schokoladenherstellung, Megatrends wie der pflanzenbasierten Küche oder Ursachen und Vermeidung von Foodwaste. Wir beschäftigen uns mit Sensorik und der Gastrosophie, die Natur- und Kulturwissenschaftliches rund um Kulinarik und Ernährung vereint. Die enge Verbindung des Neuro Culinary Center zur Wissenschaft macht ihn einzigartig.
Wie wird dieser Austausch aussehen?
Mit unserer Partnerin, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), und weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind vielfältige Lerninhalte angedacht, über die geforscht wird. Die Wissenschaft ist für viele von uns Köchen und Gastgeber, die wir in erster Linie Handwerker sind, fremd. Hier Brücken zu schlagen und ihre Erkenntnisse nicht nur greifbar, sondern für unsere Arbeit auch nutzbar zu machen, wollen wir uns am Neuro Culinary Center zur Aufgabe machen. Das ist im deutschsprachigen Raum einzigartig.
Im Lehrgang Genuss sind Restaurationsfachleute das Zielpublikum. Was bieten Sie Ihnen?
Nebst dem Wissen ums professionelle Verfeinern, Verkosten und Kombinieren von Getränken und Speisen spielt in diesem Lehrgang auch die Psychologie des Konsumenten eine zentrale Rolle. Welche Erwartungen und Wünsche hat der Gast von heute, wie beeinflussen seine Sinneswahrnehmungen den Restaurantbesuch? Mit solchen Fragen beschäftigen sich die Studierenden beispielsweise im eigens eingerichteten Reallabor für neue Ideen und Marken, wo sie unter fachkundiger Anleitung an Produktinnovationen tüfteln und deren Marktpotenzial testen können. Sie forschen sozusagen am Gästeerlebnis von morgen, der Zukunft der Gastronomie. Gewisse Themenmodule werden die Studierenden beider Berufsgruppen, Köche und Restaurationsfachleute, gemeinsam besuchen – auch dies im Sinne einer verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit.
Zum Beispiel?
Was die Lehrgänge am Neuro Culinary Center von anderen Weiterbildungsangeboten abhebt, ist der Fokus aufs Individuum. Wir möchten, dass Studierende bei uns nicht nur ihr Handwerk perfektionieren, sondern auch sich selbst besser kennenlernen können. Themen der Persönlichkeitsentwicklung – von mentalem Training über Bewegung und Mobilisierung bis hin zu Team-Leading – erhalten in beiden Lehrgängen relativ viel Gewicht. Weitere Module, die Köche und Restaurationsfachleute gemeinsam besuchen, sind beispielsweise Betriebswirtschaft, Innovation, Social Media oder Fotografie.
Als ehemaliger Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands (skv) waren Sie damals federführend bei der Planung der schweizweit ersten Höheren Fachschule Kulinarik, die im Entlebuch hätte entstehen sollen. Das Projekt scheiterte, weil sich die involvierten Branchenverbände nicht einig wurden.
Auch wenn es am Ende nicht auf Weg gebracht wurde, habe ich aus diesem Projekt viel gelernt. Die Arbeit dafür war keineswegs umsonst: Im Rahmen einer Untersuchung zur finanziellen Machbarkeit des Campus im Entlebuch durfte ich das Konzept damals nämlich auch Peter Pühringer vorstellen, dem Investor und Ermöglicher hinter «das Morgen». Unsere Vision hatten ihm offensichtlich gefallen. Als ich mein Amt beim skv niederlegte und mir eine Auszeit nahm, kontaktierte mich seine Gruppe und fragte, ob ich Interesse hätte, beim Neuro Culinary Center die gastronomische Aus- und Weiterbildung zu übernehmen. Die Aufgabe bereitet mir viel Freude.
Schlägt das Neuro Culinary Center thematisch dieselbe Richtung ein wie damals die damals geplante Höhere Fachschule Kulinarik?
Die Vision ist dieselbe: Leidenschaftliche und talentierte Berufsleute hervorzubringen, die unsere Branche mit viel Können und Herzblut vorantreiben. Was die Lerninhalte betrifft, gibt es sicher einige Überschneidungen, doch auch grundlegende Unterschiede. Ein sehr gewichtiger äussert sich beispielsweise darin, dass wir nicht nur Köche, sondern auch Restaurationsfachleute ansprechen. Ihre Kompetenz und Begleitung ist für ein gelungenes Gästeerlebnis das A und O. Die Branchenverbände sind diesmal beim Start nicht mit im Boot – «das Morgen» inklusive Campus fungiert als eigenständiges wirtschaftliches Unternehmen –, es haben aber bereits einige gemeinsame Gespräche stattgefunden, was mich sehr freut.