14.06.2022 Salz & Pfeffer 3/2022

Ein Duo, eine Vision

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Rolf Neeser
Laura Rod und Toya Bezzola bilden das neue Co-Präsidium von Slow Food Schweiz. Erklärtes Ziel der zwei Frauen: ein offenes Ohr für die Mitglieder und eine starke Stimme für die Organisation.
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«Wir mögen weniger Mitglieder haben als andere Vereine, aber wir haben überdurchschnittlich viele engagierte und innovative Leute in unseren Reihen.»

Seit Ende Mai ist es amtlich: Sie führen Slow Food Schweiz die nächsten zwei Jahre als Präsidentinnen an. Warum ist die jeweils andere genau die Richtige dafür?
Toya Bezzola: Laura bringt nicht nur enorm viel Erfahrung in der Vorstands- und Vereinsarbeit mit, sondern ist auch stark im Beruf verankert: Sie arbeitet täglich als Köchin, ist Unternehmerin und Ausbild- nerin. Das damit verbundene Know-how ist für Slow Food Schweiz ein grosser Ge- winn. Dazu kommt, dass sie mit ihrem Betrieb selbst zur Cooks’ Alliance gehört: Verbindungen von den Projekten in die Vereinsarbeit – und umgekehrt – sind wertvoll. Ausserdem repräsentiert Laura das Welschland: In einem in Regionalgruppen organisierten Verein ist das ebenfalls wichtig.
Laura Rod: Und Toya hat unfassbar viel Talent. Sie verfügt trotz ihres jungen Alters schon über viel Erfahrung mit Slow Food und Slow Food Youth, bringt frischen In- und Output. Mich faszinieren ihre Ruhe und Gelassenheit, die in unserer neuen Rolle entscheidend sein können. Sie weiss, was zu tun ist, sie sagt das auch und sie schafft es, dass die Leute auf sie hören. Toya ist eine geborene Anführerin – mit einem grossen Netzwerk in der Foodbranche und ganz viel Leidenschaft für die Sache.

Sie ergänzen sich also bestens?
Bezzola: Ja, aber nicht nur. Die Passion für die Inhalte von Slow Food, die Laura angesprochen hat, verbindet uns auch.

Wie sieht denn nun Ihre Vision für Slow Food Schweiz aus?
Rod: Die beruht auf vier Punkten, die wir verfolgen möchten. Der erste wichtige Aspekt für uns ist die Sichtbarkeit von Slow Food, die wir mithilfe einer breiten Kommunikation erhöhen wollen. Die Menschen sollen wissen, wer und was Slow Food ist. Dazu passt unser neuer Slogan: I am Slow Food. Denn die Slow-Food-Bewegung ist kein Label, sondern eine Philosophie, eine Einstellung, wir alle, die täglich essen, gehören dazu. Daran muss sich unsere Kommunikation orientieren: Die Menschen sollen übers Essen zusammenfinden. Was uns gleich zum zweiten Ansatz unserer Vision führt.

Erzählen Sie.
Bezzola: Wir möchten das Netzwerk stärken, unsere Mitglieder und Convivien. Der Gemeinschaftsgedanke war bei der Gründung der Slow-Food-Bewegung elementar, heute ist sie global und in 160 Ländern vertreten. Nach wie vor sind die direkten Verbindungen und der Dialog in den lokalen Gruppen aber sehr wichtig. Jahr für Jahr bringen die Convivien Mitglieder und Sympathisanten mit kleinen Produzentinnen zusammen, die unseren Idealen nahestehen. Sie organisieren Besichtigungen von Weinkellereien, Brauereien, Bauernhöfen oder anderen Kleinbetrieben. Wir möchten das Netzwerk, das Slow Food zu bieten hat, für unsere Mitglieder zugänglich machen, und dass die Menschen, die mehr über die Hintergründe unserer Nahrungsmittel wissen wollen, auch die Leute finden, denen sie ihre Fragen stellen können.

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Bezzola: Nehmen wir eine Schweizer Winzerin im Slow-Wine-Projekt: Sie lernt in dessen Rahmen etwa, wie Berufskollegen und -kolleginnen in Frankreich produzieren. Dieser Austausch ist wertvoll, er inspiriert und bringt alle weiter.

Aber wie fördert man ihn ganz konkret?
Bezzola: Slow Food ist eine komplexe Organisation mit vielen Gruppen. Tragendes Element sind die aktiven Mitglieder. Wir mögen weniger Mitglieder haben als andere Vereine, aber wir haben überdurchschnittlich viele engagierte und innovative Leute in unseren Reihen, die sich einbringen. Das ist ein grosses Geschenk und vermutlich die Stärke von Slow Food überhaupt. Als Vertreterinnen der nationalen Dachorganisation ist es eigentlich lediglich unsere Aufgabe, die Convivien in ihrer Arbeit mit den Mitgliedern zu unterstützen. Dafür haben Laura und ich uns vorgenommen, als Vorbilder zu agieren und eine starke Kultur des Zuhörens zu etablieren. Wir wollen wissen, was die Mitglieder von Slow Food Schweiz bewegt, wollen erfahren, was passiert.
Rod: Zu unserer Vision gehört aber als dritter Punkt auch ein nach aussen gerichteter Aspekt: das politische Engagement. Das wollen wir sanft angehen, nicht aggressiv, aufbauend auf den Punkten Kommunikation und Netzwerk.

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Wir sprechen über Lobbyarbeit?
Bezzola:
Das nicht, nein. Als Organisation ist die politische Arbeit in dem Sinn nicht unsere Hauptaufgabe und wir haben gar nicht die Mittel, um grosse Abstimmungen zu gewinnen. Unser Ziel ist vielmehr,  passende Kooperationen zu finden und zu fördern – mit anderen Institutionen, die ebenfalls ein Interesse daran haben, das Foodsystem nachhaltig zu gestalten. Wir sind, was die Ernährung angeht, an einem kritischen Punkt.

Wie meinen Sie das?
Bezzola: Es spielte noch nie eine so grosse Rolle, was wir essen, wie heute. Denken wir an die Klimakrise, an den wachsenden Hunger in der Welt. Die Art, wie wir uns ernähren, hat daran einen grossen Anteil – sie kann aber genauso zur Lösung beitragen. Slow Food hat in diesem Zusammenhang einiges zu bieten.
Rod: Zum Beispiel, indem wir Wissen vermitteln. Bildung ist der vierte Pfeiler unserer Vision. Das Slow Mobil, in dem Kinder etwas über Ernährung lernen, ist ein guter Anfang, mit dem wir die Primarschulen erreichen. Ebenso wichtig ist es, das Know-how in die Berufsschulen zu tragen, zu angehenden Köchinnen und Köchen zum Beispiel.

Ein gutes Stichwort: Welche Rolle spielt die Gastronomie für Slow Food Schweiz?
Rod: Sie ist ein entscheidender Faktor – weil es im Restaurant zunehmend darum geht, besser zu essen. Das ist ein wachsendes Bedürfnis der Gäste, auch weil diverse Dokumentarfilme aufzeigen, wie schrecklich die Produktionsbedingungen in der Lebensmittelindustrie sind. Das kommt Slow Food entgegen, genauso wie die Tatsache, dass ernährungspolitische Themen nicht zuletzt auf Bundesebene vermehrt diskutiert werden. Slow Food Schweiz mit 3300 Mitgliedern und 112 Cooks’- Alliance-Betrieben, die sich an den Grundsätzen der Bewegung orientieren, kann da viel beitragen.

Slow Food trifft den Zeitgeist, bedient aktuelle Themen, müsste also total im Trend liegen. Trotzdem wirkt es zumindest in der Schweiz so, als sei die Organisation kaum präsent.
Rod: Ein richtiger und wichtiger Punkt, den ich auch anmerkte, als ich mich bei Slow Food zu engagieren begann: Keiner weiss von uns.

Woran liegt das?
Rod: Kommunikation ist sicher ein Schlüsselelement. Slow Food ist eine Bewegung, die nicht tonnenweise Geld dafür hat. Mit Social Media et cetera gibt es im Vergleich zu früher heute zwar günstigere Wege, um nach aussen zu kommunizieren, aber dafür braucht es viel Zeit – und die fehlt immer. Dennoch, ich bin absolut einverstanden mit dem Einwand, Slow Food sei in der Schweiz zu wenig präsent. Ich glaube an die Sache und will, dass die Menschen Bescheid wissen.

Wer sind eigentlich Ihre Mitglieder?
Rod: Alle. Wir sind eine sehr durchmischte Gruppe. Vielleicht fehlen uns noch ein bisschen die Kinder, aber vermutlich ist schlicht zu wenig bekannt, dass es auch für sie eine Mitgliedschaft gibt.
Bezzola: Ich finde aber schon, dass wir das Thema Diversität auch im Hinblick auf unsere Mitgliederstruktur immer wieder anschauen sollten. Wir brauchen eine breite Abstützung – gerade auch entlang der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln, damit wir Produzenten und Konsumentinnen miteinander vernetzen können. Und wenn das gegeben ist, haben wir so viele Möglichkeiten.
Rod: Ja. Wir bringen den Fun zurück!

Ist der zwischenzeitlich verloren gegangen?
Rod: So war das nicht gemeint, nein. Aber es ist eine Tatsache, dass in solchen Bewegungen gewisse Leute irgendwann nicht mehr mitmachen mögen, weil die Sache ihnen zu seriös geworden ist. Natürlich ist unser Thema sehr ernst, aber heutzutage muss man auch ein solches mit Spass ansprechen. Die Menschen wollen etwas erleben, Bildung soll Freude machen.
Bezzola: Und mit Essen ist das ja kein Problem. Ich denke da ans Konzept des Disco Soup Day von Slow Food Youth International: Da werden Nahrungsmittel gerettet, von Freiwilligen geschnippelt und verarbeitet, während ein DJ Musik auflegt. Die Freude darin finden, etwas Gutes zu tun: Das ist der Schlüssel.

Nun haben Sie vorerst zwei Jahre Zeit, sich als Co-Präsidium zu bewähren. Wo soll die Organisation Slow Food Schweiz nach Ihrer ersten Amtsperiode stehen?
Bezzola: Wir haben noch keine Ziele in dem Sinn definiert. Aber ich glaube, es ist einfach zusammengefasst: Die Slow-Food-Bewegung soll in der Schweiz bekannt und im Kern der Diskussionen rund um Nahrungsmittel präsent sein. Weil sie eine wichtige Stimme ist – und Wichtiges zu sagen hat.

Das Interview fand im Restaurant Baseltor – Mitglied bei Slow Food Schweiz seit über zehn Jahren – in Solothurn statt. Herzlichen Dank für die unkomplizierte Gastfreundschaft.

In Buenos Aires kam Toya Bezzola (30) mit der Slow-Food-Bewegung in Kontakt, als sie im Anschluss an ihr Soziologie- und Wirtschaftsstudium im Restaurant Colectivo Felix in der Küche arbeitete. Da erkannte sie, dass sich ihre soziologischen und gesellschaftspolitischen Interessen mit ihrer Leidenschaft für die Gastronomie und gute Lebensmittel verbinden lassen. In der Folge schloss sie einen Master in internationalem Hotel- und Tourismusmanagement an der Oxford Brookes University ab. Aktuell lebt die erklärte Heimweh-Bernerin in Zürich, wo sie als Projektmanagerin für Bildung und Forschung am World Food System Center der ETH Zürich arbeitet. Daneben ist sie selbstständig für verschiedene Food-Projekte in Beratungsfunktionen tätig – und in unregelmässigen Abständen auch im Service von Markus Stöckles Restaurant Rosi im Lochergut anzutreffen.
foodofchange.ch

Laura Rod (45) ist gelernte Köchin und Hotelfachschulabsolventin. Sie war sowohl die erste Frau im Kanton Waadt, die ein eidgenössisches Dip- lom als Küchenchefin erlangte, als auch die erste Köchin der Schweiz in der Bewegung Euro-Toques. Seit 15 Jahren führt Rod einen Restaurant- und Cateringbetrieb in Lausanne, mit dem sie der Cooks’ Alliance von Slow Food Schweiz angehört. Zudem engagiert sie sich für die Branche: Sie bildet Lernende aus, unterrichtet überbetriebliche Kurse für angehende Köchinnen und Köche sowie an zwei Landwirtschaftsschulen zum Thema zeitgemässe Ernährung. Seit 2017 präsidiert sie die Sektion Lavaux-Oron von Gastrovaud, seit diesem Jahr ist sie Teil der Schweizer Kommission für Entwicklung und Qualität im Kochberuf. Rod lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Ropraz.
lauraworld.ch

Slow Food ist eine Bewegung mit rund 100000 Mitgliedern in 160 Ländern auf allen fünf Kontinenten. Sie postuliert ein Recht auf gutes Essen für alle, fördert die nachhaltige Landwirtschaft und Fischerei, die artgerechte Viehzucht, das traditionelle Lebensmittelhandwerk sowie die Erhaltung der regionalen Geschmacksvielfalt. Ins Leben gerufen hat sie der Italiener Carlo Petrini 1986 aus Protest gegen die Industrialisierung des Essens. Die Schweizer Dachorganisation existiert seit 1993: Sie zählt inzwischen über 3300 Mitglieder sowie rund 20 Convivien (Regionalgruppen) und 20 Presidi-Projekte (Produkte). Mit der Cooks’ Alliance pflegt Slow Food Schweiz ein Gastronetzwerk, mit Slow Wine fokussiert der Verein auf Winzerinnen und Winzer und mit dem im Wallis lancierten Projekt Slow Food Travel bringt er verschiedene Akteurinnen und Akteure durch Reiseerlebnisse zusammen.
slowfood.ch