«Wir haben alles, was der Wiener zum Überleben braucht.»
Rund 800 Kilometer sind es von der Deutschschweiz bis nach Wien. So weit muss aber gar nicht erst reisen, wer die österreichische Hauptstadt zumindest kulinarisch erleben will. Am Bodensee gibts nämlich eine Wiener Enklave, die sich ganz den lukullischen Genüssen aus der Heimat verschrieben hat: «Wir haben alles, was der Wiener zum Überleben braucht», sagt Tatjana Mahr vom Wiener Café Franzl in Romanshorn. Die Wienerin meint damit aber mehr als Mehlspeisen, Kaffeeklassiker und Schnitzel: «Ein Kaffeehaus ist ein zweites Wohnzimmer, es ist Treffpunkt und Zufluchtsort zugleich. Ins Kaffeehaus geht, wer abschalten oder arbeiten, wer diskutieren, lesen oder auch einfach allein sein will, das aber lieber in Gesellschaft.»
Dem kleinen Stück Wien, das Tatjana und Norbert Mahr im Thurgau aufgebaut haben, ist letztes Jahr grosse Ehre zuteil geworden: Das Café Franzl wurde im renommierten «Klub der Wiener Kaffeehausbesitzer» aufgenommen und darf sich damit neben grossen Namen wie Sacher, Ritter oder Landtmann in den illustren Reigen der rund 150 «Kaffeesieder» einreihen, die Wien zu seinen besten zählt. Der Katalog an Kriterien, die Neumitglieder erfüllen müssen, ist lang, und er reicht vom typischen, vom Historismus geprägten Interieur der Häuser über das Leseangebot bis hin zur Speisekarte.
Heute ist das zentrale Anliegen des 1955 gegründeten Klubs vor allem die Erhaltung und Förderung der Wiener Kaffeehauskultur, die die Unesco seit 2011 offiziell als immaterielles Weltkulturerbe anerkennt. Somit verkörpert auch das Café Franzl einen Teil dieses Erbes – und das bis heute als einziger Betrieb ausserhalb Wiens. «Das macht uns richtig stolz», sagen die Mahrs, die ihr Café seit 2016 betreiben und die Gastronomie als Quereinsteiger eroberten. Tatjana Mahr war früher Coiffeuse und ihr Mann Norbert in der Modebranche tätig, bevor er sich wieder dem Konditorhandwerk zuwandte, das er im Wiener Familienbetrieb seines Vaters erlernt hatte.